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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Begünstigung des Branntweinconsums.“ Gleichartige Zeugnisse der unparteiischen Wissenschaft ließen sich hundertfach anführen.

Dies etwa sind in großen Zügen die Mittel und Wege, um die Trunksucht zu bekämpfen. Von dem so gewonnenen Standpunkte aus mag schließlich noch ein kurzer Blick auf den neuesten Reichsgesetzentwurf über die Trunkenheit geworfen werden. Derselbe bedroht erstens den Trinker, der in trunkenem Zustande öffentliches Aergerniß erregt, mit theilweise harten Strafen, worüber oben schon das Nöthige gesagt worden ist. Er will zweitens auch diejenigen Verbrechen, welche in einem die freie Willensbestimmung des Thäters ausschließenden Zustande der Trunkenheit begangen worden sind, strafrechtlicher Ahndung unterziehen, doch ist die juridisch-technische Fassung dieser an sich nicht unberechtigten Bestimmung so verunglückt, daß sie den lebhaften Widerspruch der namhaftesten Juristen selbst aus conservativer und ultramontaner Seite erregt hat. Drittens endlich soll mit Geldbuße oder Haft bestraft werden, wer bei Verrichtungen, die zur Verhütung von Feuers- oder Lebensgefahr besondere Aufmerksamkeit erfordern, sich betrinkt oder betrunken in andern als in Nothfällen solche Verrichtungen vornimmt, wogegen sich nichts einwenden läßt. Das Gesammturtheil über das Gesetz läßt sich dahin zusammenfassen, daß seine nützlichen Bestimmungen entweder nebensächliche Punkte betreffen oder aber einstweilen unbrauchbar gefaßt sind, während sein Hauptschlag gegen die Trunksucht mit der äußerlichsten, schwächlichsten und erfahrungsgemäß wirkungslosesten Waffe geführt wird.

Daß eine so unreife Frucht der Gesetzgebung so unzeitig das Licht der Welt erblickt hat, ist nur durch den reactionären Lärm über die drohende Zunahme der Trunksucht erklärlich, womit der liberalen Gesetzgebung etwas angehängt werden soll. Die Wahrheit dieses Geschreies ist keineswegs erwiesen und bei dem Mangel einer erschöpfenden Statistik auch gar nicht erweisbar; vielmehr sprechen mannigfache Gründe äußerer und innerer Natur dafür, daß unter der liberalen Gesetzgebung die Trunksucht nicht unerheblich abgenommen hat; ihr sichtbares Schwinden während des letzten Jahrzehnts stellt auch Doctor Baer als ganz zweifellos hin. Doch sei dem, wie ihm wolle – der Schaden ist jedenfalls noch immer sehr brennend und sehr groß; kann ihn die clerical-reactionäre Bundesgenossenschaft an der Wurzel ausreißen, so gebührt ihr zweifellos der Ruhm, in einer allerwichtigsten Frage des öffentlichen Wohls die liberalen Parteien glänzend überflügelt zu haben. Leider muß dahin gestellt werden, ob sie es kann – denn einstweilen will sie es noch gar nicht. Geht man nämlich ihrem Lärmen auf den Grund, so entdeckt man nichts, als den alten Kniff, ein sinnbethörendes Geschrei zu erheben, das einen sittlichen Klang hat, um diejenigen Maßnahmen zu hindern, die eine sittliche Wirkung haben würden. Oder wie soll man es anders nennen, wenn die Reaction mit dem rostigen Spieße der Polizei einige leere Lufthiebe gegen die Trunksucht führen will, während sie ihr thatsächlich einen nur um so breiteren Weg in's Volk bahnt, indem sie sich einerseits hartnäckig jeder Erhöhnung der Branntweinsteuer widersetzt und andererseits die gesunden oder unschädlichen Genuß- oder Nahrungsmittel den arbeitenden Classen entweder schon, wie Brod, Fleisch, Kaffee, vertheuert hat oder aber, wie das Bier, noch vertheuern will? Bei den altpreußischen Junkern mag eine derartige Taktik durch ihr Classeninteresse zwar nicht entschuldigt, aber erklärt werden, allein wie christliche Geistliche von dem Schlage des „Gottesmanns“ Stöcker, der auf Grund solcher „Socialreform“ sich als „zweiter Luther“ aufspielt, daran sich betheiligen können, ist unverständlich. Oder aber auch – es ist nur zu verständlich. Spricht doch schon dasjenige Buch, welches die Heuchler und Pharisäer so viel auf den Lippen und so wenig im Herzen tragen, das tiefe und wahre Wort. „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“




Spargelbau in Braunschweig.

Vielerlei reiche Gaben sind es, welche der Frühling uns spendet; Schneeglöckchen und Primeln, Anemonen und Veilchen erscheinen als Sinnbilder poetischer Schönheit. Aber auch für unsern Tisch sorgt er; mancherlei Salate kündigen seinen Willen, zu geben, zuerst an; das früheste Gemüse, das er uns schenkt, ist der Spargel. Vielleicht hat dieser Umstand dazu beigetragen, dem Spargel seine Beliebtheit zu sichern, aber er besitzt auch an und für sich Eigenschaften, die es erklären, daß seine Cultur sich immer weiter ausbreitet. Unter den feinsten und geschätztesten Gemüsepflanzen steht der Spargel mit in erster Reihe; er ist von hohem Wohlgeschmack, leicht verdaulich und von nicht geringem Nährwerth; in der Zubereitung bietet er Gelegenheit zu der mannigfachsten Abwechselung, und seine edle Natur zeigt er auch darin, daß er im höchsten Grade empfindlich gegen die Verhältnisse ist, unter welchen er aufwächst. Nur wo Boden, Klima und Pflege ihm vollkommen zusagen, entwickeln sich alle seine Vorzüge, wo aber diese drei Erfordernisse nicht vereinigt wirken, da wird der Spargel stets ein so mangelhaftes Product bleiben, daß er sich selbst kaum mehr ähnlich ist.

Die ursprüngliche Heimath der Spargelpflanze ist Asien, aber auch in Europa findet sich jetzt wilder Spargel; in Italien und an der englischen Küste, namentlich in Cornwall und Lincolnshire, gedeiht er in großer Menge und findet auch als Nahrungsmittel Verwendung. Den veredelten Spargel baut man in Frankreich, England, Holland, ganz besonders aber in Deutschland, und in größerer Ausdehnung beschäftigen sich mit Spargelcultur die Städte Ulm, Kolmar, Darmstadt, Erfurt, Braunschweig und neuerdings auch Berlin und Stettin. Jede einzelne dieser Städte liefert ein verschiedenartiges Product, und nach dem individuellen Geschmack geben die Consumenten bald dieser, bald jener Stadt den Vorzug. Wenn aber die Lebhaftigkeit der Nachfrage in allen fünf Erdtheilen, sowie der fortwährend sich steigernde Anbau einen Beweis für die Güte des Productes liefern, so dürfte der Braunschweiger Spargel von keinem andern Producte der Welt übertroffen werden.

Die Anfänge des Spargelbaues in der Umgegend von Braunschweig reichen bis zum Beginn dieses Jahrhunderts zurück. Der vortrefflich geeignete Boden im Norden und Osten der Stadt begünstigt den Anbau in hohem Grade. Hier zeigt der einstige Meeresboden weitgedehnte Flächen jenes milden, lehmigen, tiefgründigen Sandes auf durchlassendem Untergrunde, der allein von allen Bodenarten geeignet erscheint, alle Vorzüge des Spargels zur höchsten Vollkommenheit zu entwickeln.

Nur auf diesen Flächen wird hier Spargel gebaut. Man zieht ihn aus Samen, den man von den stärksten und schönsten Pflanzen eingesammelt. Der Boden, auf dem eine Spargelplantage angelegt werden soll, wird durch tiefes Rajolen sorgfältig zubereitet; die eigentliche Anlage macht man im Frühlinge. Dazu zieht man neben einander lange Gräben, etwa sechszig bis achtzig Centimeter breit und ebenso tief, und schichtet die ausgehobene Erde an den Seiten sorgsam auf. In einer Entfernung von achtzig bis hundertzwanzig Centimeter setzt man in den stark gedüngten Boden die jungen Pflanzen ein und breitet die Wurzeln regelrecht aus. Wenn nun die Gräben aufgefüllt werden, so dient der nicht rajolte Erdboden als Weg zwischen den Beeten. Natürlich sind diese Wege so schmal wie möglich. Man verwendet bei neuen Anlagen nur einjährige Pflanzen, niemals mehrjährige, und zur Düngung bedient man sich vor Allem des Pferdedüngers, auch des Kuhdüngers. Fäcalstoffe verwendet man nicht gerne; ja, in den größeren Plantagen wird von ihrem Gebrauche ganz abgesehen. In Zeiträumen von zwanzig Jahren müssen die Anlagen erneuert werden. Im Winter erhalten die Beete keinerlei Bedeckung, denn der Frost schadet den Pflanzen nicht. Die Plantagen liegen ohne Umzäunung im freien Felde, und ein in der Nähe gelegenes Bretterhäuschen dient dem Wächter, der zur Spargelzeit Tag und Nacht auf seinem Posten ist, zum Aufenthalte; auch verwahrt man die nöthigen Geräthschaften darin. Freie, sonnige Lage der Plantagen ist besonders erwünscht. Die größte derselben ist dreihundert Morgen groß, und die Gesammtfläche, welche in der näheren und weiteren Umgebung der Stadt mit Spargel bestellt ist, umfaßt etwa 2200 Morgen. Die erste Anlage einer Plantage ist mit viel Arbeit und bedeutenden Kosten verknüpft, sie rentirt aber bei guter Pflege sehr reichlich, auch gewährt sie den Vortheil, daß die eigentliche Arbeitszeit nur zwei Monate, etwa vom 20. April bis 20. Juni umfaßt.

In besonders günstigen Jahren wird der erste Spargel auch wohl schon in den ersten Apriltagen gestochen; das eigentliche Versandgeschäft beginnt gegen Ende des genannten Monats, und wie in Amsterdam die Ankunft der ersten frischen Häringe, so wird in Braunschweig der erste frisch gestochene Spargel alljährlich durch die Zeitungen angemeldet. Dann beginnen in den Spargelplantagen die Tage der regsten Arbeit. In den kleineren Anlagen sticht man den Spargel gern in den frühesten Morgenstunden und gegen Abend, auch wohl dreimal täglich; in den größeren Plantagen sehen Arbeiter den ganzen Tag über nach und sammeln die Ernte ein. Man verwendet in den Anlagen vielfach weibliche Arbeitskraft. Auch gilt es, gerade während dieser Zeit die Beete von Unkraut rein zu halten und ungebetene Gäste zu vertilgen, die sich in Gestalt von Feldmäusen und Hamäusen einfinden und sich als nie zu sättigende Verehrer der zarten, jungen Sprossen documentiren.

Die Fülle der Ernte und der Wohlgeschmack des Productes sind ganz vom Wetter abhängig. Kalte Regentage drücken den Ertrag der Beete auf die Hälfte oder noch weniger herab, und starker Wind macht die aufsprießenden Spargelköpfe leicht blau; in beiden Fällen wird auch der Wohlgeschmack beeinträchtigt. Wenn aber die schweren grauen Wolken von dannen ziehen, die Sonne hoch und glühend am Himmel steht und kein Lüftchen sich regt, wenn alle Welt sich windet unter den Qualen einer „Bärenhitze“ (wie der Braunschweiger sagt), dann liegt der hellste Sonnenschein auch auf dem gebräunten Gesichte des Spargelbauers; denn an solchen Tagen füllen die Stunden ihm Korb auf Korb mit schneeweißer, duftiger, zarter Waare von feinstem Wohlgeschmack; dann nimmt in den Exportgeschäften die Arbeit auch Nachts kein Ende, und in alle Weltgegenden tragen die Eisenbahnzüge das vielbegehrte Gemüse. Doch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_350.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2022)