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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

und der große Kurfürst wurde dadurch veranlaßt, auch das brandenburgische Verfahren dem entsprechend zu reformiren. Der Generalauditeur Friccius, ein vorher an einem rheinischen Cassationshofe beschäftigt gewesener Jurist, legte dem König Friedrich Wilhelm dem Dritten, schon Anfang der dreißiger Jahre den Entwurf einer neuen Militärgerichtsordnung vor, welche auf allen oben angeführten Grundsätzen ruhte. Die am Staatsruder befindliche feudale Partei widersetzte sich jedoch diesen ihren Anschauungen wenig entsprechenden Neuerungen mit solcher Entschiedenheit, daß der König dem Entwurfe seine Bestätigung versagte. Der spätere Generalauditeur Fleck aber war ein entschiedener Gegner aller Reformen und hielt unverrückt am Bestehenden fest. Er sah in dessen Veränderung eine theilweise Entäußerung der dem obersten Kriegsherrn und den Befehlshabern zugehörigen Strafgewalt und fürchtete davon eine Lockerung der militärischen Disciplin. So blieb es denn beim Alten.

Im Königreich Baiern theilte man indessen diese Befürchtungen nicht; denn dort wurde in der seit dem 1. Januar 1870 eingeführten Militärstrafgerichtsordnung vom 29. April 1869 als oberster Grundsatz aufgestellt, daß sich „das Verfahren nach den für das bürgerliche Strafverfahren geltenden Bestimmungen zu richten habe, insoweit nicht in dem Gesetze eine besondere Ausnahme gemacht würde“. Demnach wird dort zunächst die Voruntersuchung, falls eine solche nöthig ist, durch einen Auditeur geführt; dann gelangt die Sache durch den bei jedem Militärbezirksgerichte angestellten, juristisch gebildeten Staatsanwalt an das Militärbezirksgericht behufs Beschlußfassung über Einstellung oder Fortgang des Verfahrens. Mit dem rechtskräftigen Verweisungsbeschlusse tritt darin schon die Vertheidigung des Angeklagten in Action. Die Bestellung des Vertheidigers geschieht von Amtswegen oder durch freie Wahl des Angeklagten und ist nicht auf Militärpersonen beschränkt. Der Wahrspruch erfolgt durch Geschworene, welche aus den Kreisen militärischer Standesgenossen erwählt werden, und der formelle Verlauf der Hauptverhandlung entspricht ganz dem unserer bürgerlichen Schwurgerichte. Die Verhandlung ist eine mündliche und öffentliche, wenn auch unter Beschränkung der Theilnahme auf erwachsene männliche Personen, Freunde und Angehörige des Angeklagten, und der Gerichtshof besteht aus dem der Zahl der Auditeure entnommenen präsidirenden Gerichtsdirector sowie aus einem Officier und Auditeur als Beisitzer.

Eine zehnjährige Praxis hat diesem Verfahren bereits die Signatur der Lebensfähigkeit verliehen, ein Umstand, durch welchen die geltend gemachten Bedenken am besten widerlegt werden. Wo in einzelnen Fällen der Ausschluß der Oeffentlichkeit geboten erscheint, wie z. B. in solchen, wo Verbreitung technischer Erfindungen oder Bekanntgebung von Schlacht- und Festungsplänen zu befürchten steht, da kann dieselbe, wie in ähnlichen Fällen bei den bürgerlichen Gerichten, erfolgen, ohne daß damit eine Verwerfung des Princips selbst begründet erscheint. Daß schon im Allgemeinen die militärische Subordination darunter leide, ist nicht einzusehen, es müßte denn sein, daß man in dem Bekanntwerden einzelner Ausschreitungen auf diesem Gebiete, wie sie mehrfach, erst jüngst wieder bei einer Militärschwurgerichtssitzung in Würzburg, hervorgetreten sind, eine Schädigung der militärischen Autorität befürchtet. Wir meinen aber, daß gerade in der Veröffentlichung dieser Uebelstände ein sehr wesentliches Correctiv gegen deren weiteres Umsichgreifen gegeben ist. An der Beseitigung solcher Vorkommnisse muß doch aber schließlich allen Theilen gleichmäßig gelegen sein.

Auch die Abhängigmachung der Rechtskraft der richterlichen Urtheile von der Bestätigung des Gerichtsherrn ist in Baiern beseitigt. Sie enthält auch eine unverkennbare Schädigung der richterlichen Selbstständigkeit, wie auch in der Beseitigung der Berufung eine Verletzung des Princips der höheren Gerechtigkeit liegen würde, falls nicht das Verfahren sich nach den neueren Grundsätzen regelte. Die Uebertragung rein juristischer Functionen auf eine blos militärisch vorgebildete Person, wie den untersuchungführenden Officier, ist nicht minder geeignet, das gleiche Princip zu schädigen.

Die totale Verschiedenheit des Verfahrens, welche hervortritt, je nachdem der Verbrecher den Rock des Civilisten oder die Montur des Soldaten trägt, ja, je nachdem dieser einem baierischen oder preußischen Militärcontingente angehört, ist aber auch schon an sich geeignet, eine Verschiedenheit der Rechtsprechung zu begünstigen, gewissermaßen zweierlei Recht zu schaffen. Die Erfahrung ist nicht arm an Beispielen hierfür.

Wir wissen nicht, ob und in wie weit der Entwurf des Generalauditeurs Oelschlägel, der den Verhandlungen der Reformcommission, zu Grunde liegt, den ausgestellten, bereits von Baiern in die Praxis eingeführten Grundsätzen entspricht; daß er sich aber von demselben nicht sehr entfernen darf, erscheint als eine gebieterische Forderung der höherem Gerechtigkeit, der Humanitätsbestrebungen wie überhaupt des ganzen Ideengangs unserer Zeit, und nicht zuletzt auch als ein Gebot der den Einheitsgedanken treu hütenden Liebe zu unserem deutschen Vaterlande.




Land und Leute in Holland.

Eine Plauderei von Paul d’Abrest.

Der Holländer, der es sonst nicht versteht, die Vorzüge seiner Heimath in ein helles Licht zu stellen, geräth dem Fremden gegenüber in Eifer, wenn er von den erworbenen und Jahrhunderte hindurch aufrecht erhaltenen. Freiheiten seines Landes spricht.

Der Geist des holländischen Volkes ist republikanisch geblieben; man denkt sich dort zu Lande keine andere regierende Instanz als die Generalstaaten, das Parlament nebst den in dem strengsten Sinne des Wortes verantwortlichen Ministern – und man thut es mit Recht; denn der König ist thatsächlich nicht der Beherrscher, dafür aber die lebendige Flagge der Nation; wie diese, wird er hoch in Ehren gehalten, und man versäumt keine Gelegenheit ihm besondere Achtung zu erweisen. Er lebt nicht in einer olympischen Wolke, sondern ist für seine Unterthanen höchst zugänglich; es ist nicht selten, daß er bei patriotischen oder bürgerlichen Festlichkeiten erscheint und beim Nachtisch oratorische Lorbeeren erntet. Dieses Verhältniß des Königs zu seinem Volke erklärt sich aus den besondern Zuständen Hollands. Die Dynastie hat ihre besondere Aufgabe, und der Name der herrschenden Familie ist die stets vor Augen tretende Erinnerung an die glorreiche Vorzeit, an all die gewaltigen geschichtlichen Begebenheiten, mit welchen der Name Oranien innig verbunden ist. Die Oranien auf dem Thron sind das erprobteste Mittel, den periodischen Unruhen auszuweichen, welche früher die Wahl des Staatshauptes verursachte, und von diesem Standpunkte aus allein werden die Vortheile der Monarchie betrachtet. Ein holländischer Monarch, der die Grenzen der ihm zugestandenen Befugnisse überschreiten wollte, würde den gewaltigsten Conflict herauf beschwören.

Der gegenwärtige König bereitet, in dieser Hinsicht seinen Unterthanen keine Aufregungen; denn er hielt sich während seiner langen Regierungsperiode (Thronbesteigung 1849) genau innerhalb der enggezogenen verfassungsmäßigen Schranken. Er überläßt die Regierungsgeschäfte seinen Ministern und kümmert sich viel eingehender um andere Beschäftigungen. So liegt z. B. die Pflege und Förderung der Tonkunst dem Monarchen besonders am Herzen, und es ist bekannt, daß er aus eigenen Mitteln in der Nähe seines Schlosses Loo eine Art von Conservatorium errichtete; außerdem liebt er es, zu reisen; bringt er doch Monate lang jeden Sommer im reizenden Waadtlande zu. Das Publicum kümmert sich in der Regel sehr wenig um die Privatangelegenheiten des Königs – vielleicht deshalb, weil man das Gefühl hat, daß die Steuern streng nach Vorschrift bewilligt werden und daß darüber genaue Controlle geführt wird. Thatsache ist es, daß man in Holland wenig über diese Steuern klagen hörst, und doch sind sie horrend; man würde sie als ungeheuer drückend betrachten müssen, wenn der Wohlstand des Landes sie nicht sehr leicht ertragen, ließe. Der Holländer zahlt große Steuern für die Wohnung, die er inne hat, mag das Haus ihm gehören oder nicht, für seine Möbel, die deshalb abgeschätzt werden, für seinen Wagen. und für seine Pferde, für seine Diener (ungefähr zwanzig

Mark pro Kopf); er zahlt an Communalsteuer so viel, daß das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 360. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_360.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)