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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

blenden das Auge. Auf den Möbeln ist fast kein Atom Staub zu entdecken. In jedem halbwegs behäbigen Hause findet man Blumen, und dieser Cultus wächst mit den Vermögensverhältnissen der Hausbewohner; bei den Reichen sind die Salons förmliche Treibhäuser, mit den theuersten und seltensten tropischen Pflanzen verschwenderisch ausgestattet. Und – wohl gemerkt! – man findet diesen Luxus nicht nur in großen Städten, auch auf dem Lande, in den Dörfern, welche sich sehr vorteilhaft durch den behäbigen Anblick und die schon erwähnte Sauberkeit auszeichnen. Im Haag jedoch erreicht die sich in aussteigender Scala wiederholende Verbindung seltener Pflanzen mit kostbaren Teppichen und Bildern ihren Höhepunkt.

Der Haag ist die Stadt des aristokratischen, ruhigen Lebensgenusses. Die breiten Straßen, die Avenuen, wo lange Strecken weit kein einziger Laden zu finden ist und die aus Villen und Palazzinos bestehen, die herrlichen, zu langen Spaziergängen und glänzenden Casinos einladenden Anlagen, welche die Stadt mit einem grünen Gürtel umgeben, der gemessene, selbstbewußte Ton, der hier vorherrscht – alles läßt mit Recht darauf schließen daß der Haag nur für höhere Staatsbeamte oder für steinreiche Rentiers geschaffen ist, die sich drüben in Indien Millionen erworben deren Zinsen sie hier ohne Saus und Braus, ohne Aufsehen verzehren. Die Hoffestlichkeiten und die Bankets, welche die Handelspatricier bei jedem Anlaß veranstalten, nehmen die feine Gesellschaft der holländischen Hauptstadt sehr in Anspruch. Es vergeht kein Winter, wo nicht ein ganzes Dutzend sogenannter „indischer Feste“ die Elite dieser Gesellschaft von Begüterten bald bei diesem bald bei jenem Geldfürsten vereinigen. Es wird da eine wahrhaft orientalische Pracht an Beleuchtung, Costümen und Diamanten entfaltet – dagegen sind Küche und Keller eminent europäisch-civilisirt.

Daß in den Niederlanden die Tafelfreuden überhaupt von jeher hoch in Ehren standen, erzählen bereits zahlreiche Reisende aus dem fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert, wie der Florentiner Guicciardini. Dieser gastronomische Zug wird auch von den großen Malern der niederländischen Schule bestätigt. Man zeige mir auch nur ein einziges holländisches Bild, ein Portrait, ein Familienbild, eine Gruppe, eine Scene aus dem häuslichen Leben, auf dem nicht wenigstens der gefüllte Becher, wenn nicht der stattlich belegte Tisch neben den dargestellten Personen erscheint! Die van der Helst, die Snyders, die Teniers sind verschwunden aber der nationale Zug ist geblieben – wenigstens im Haag, wo es nicht an Muße zu langen Bankets fehlt. Die Hochzeiten namentlich bieten eine höchst ausgiebige Gelegenheit zum Schmausen. Die Periode zwischen der förmlichen Verlobung (einem gesetzlichen Acte) und der Eheschließung, eine Spanne von vierzehn Tagen oder drei Wochen, verleben Braut und Bräutigam wie im Schlaraffenlande. Sämmtliche Verwandte und Freunde überbieten sich in Aufwartungen; es ist eine fortwährende Wanderung vom Diner des Tages zum Souper in der Nacht etc. Bei diesen bräutlichen Festen herrscht eine eigenthümliche, sehr hübsche Gewohnheit. Die Thür, durch welche das geladene Paar das gastliche Haus betritt, ist mit Epheu umrahmt; die für dasselbe bestimmten Teller und Gläser sind mit Blumen verziert, ja sogar um die Bestandtheile des Bestecks, Gabel, Messer und Löffel winden sich niedliche Kränze. Man will dem Brautpaar immer auf’s Neue in der lieblichen Sprache der Blumen den Wunsch aussprechen daß es auf mit Rosen und Veilchen bestreueten Pfaden den gemeinsamen Weg des Lebens wandern möge.

Ob neben den vielen Hochzeitsschmäusen auch die Begräbnißtafeleien im eleganten Haag üblich sind wie auf dem Lande, weiß ich nicht zu berichten, aber jedenfalls hat der Tod hier auch seine Eigenheiten. Ist jemand gestorben, so begnügt sich die Familie nicht, durch die Post den Trauerfall den Bekannten mitzuteilen; schwarzgekleidete Ansager, in einen weiten Trauermantel gehüllt, den umflorten Dreispitz auf dem Kopfe, den Stock in der Hand, wandern von Straße zu Straße, von Haus zu Haus und erstatten allen Bekannten des Verblichenen von dem Vorkommniß Meldung. Beim Begräbniß schreiten hinter der Bahre in dem nämlichen Trauercostüm die Angestellten der Bestattungsgesellschaft, während die Leidtragenden erst später in Wagen, die mit schwarzen Draperien behangen sind, folgen. Die Ceremonie ist kurz und ohne jedes Gepränge, und selbst bei allerhöchsten Persönlichkeiten wird keine Ausnahme gemacht. Die Beisetzung des Prinzen Heinrich, Statthalters von Luxemburg, zu welcher eigens etliche fürstliche Persönlichkeiten aus Deutschland gekommen waren, dauerte keine Viertelstunde.

Doch ein heiteres Bild! Die allgemeine, sozusagen öffentliche Zerstreuung im Haag während des Winters ist das Schlittschuhlaufen, dem Groß und Klein mit wahrer Leidenschaft huldigt. Der Byver, ein mitten in der Stadt gelegener Teich, auf dem sonst majestätische Schwäne und buntbefiederte Enten plätschern, wird, sobald es zu frieren anfängt und der Wasserspiegel mit einer Eiskruste bedeckt ist, am Nachmittag das Stelldichein der gesammten vornehmen Welt. Herren und Damen vom Hofe, Kinder unter den Augen ihrer Hofmeister und Gouvernanten, simple Schulknaben und Soldaten in ihren langen dunkelblauen Kapuzen laufen um die Wette. Die Damen zeigen wohl am meisten Lust für diese gesunde und erfrischende Uebung. Hinter dieser Unermüdlichkeit vermuthe ich ein Stück weiblicher Politik; denn wie züchtig, wie zurückhaltend die blonde Hausfrau des Niederländers auch dreinschaut, sie ist doch Dame genug, um zu wissen, wo sie am vortheilhaftesten zur Geltung kommt. Man verliebt sich in die Französin, wenn man sie im Salon mit dem Fächer in der Hand spielen sieht, in die Engländerin, wenn sie als Amazone durch die herrschaftlichen Park-Alleen auf dem Vollbluthengste jagt, in die Deutsche, wenn sie dingt und eigenhändig gebackene Kuchen herumreicht – die fahlblonde Holländerin mag, wenn sie auf dem Eise Zickzacks beschreibt, glühende Verehrer finden. Sie führt die schwierigstem Bewegungen mit bezaubernder Grazie aus – es ist das Dahinsäuseln eines Sylphidenfußes auf krystallenem Boden Dies gilt nicht nur von der aristokratischen Dame im Haag, sondern ebenso gut von der ländlichen Schlittschuhvirtuosin. Die Jungen und Mägde eines Dorfes statten sich am Sonntage gegenseitige Besuche ab, und der Weg wird auf den gefrorenen schmalen Canälen, den wahren Heerstraßen dieses merkwürdigen Landes, zurückgelegt. Die Schlittschuhläufer beider Geschlechter reichen sich, vier bis sechs, je nach der Breite des Canals, die Hände und bewegen sich so, oft unter graziösen Neigungen und Schwenkungen ihrem Ziele zu. Ist die Bande am Orte der Bestimmung angelangt, so werden die sehr breiten Schlittschuhe abgeschnallt und die Männer tragen dieselben an ihren Riemen um den Hals – die eigenen und jene ihrer Begleiterinnen, ohne daß die Bürde sie im Geringsten zu geniren schiene. Die Pflege dieser Unterhaltung ist offenbar Gegenstand der Fürsorge, als handelte es sich um eine gemeinnützige Sache; es werden Wettrennen auf dem Eise veranstaltet – bedeutende Prämien für die Gewinner ausgesetzt, und in letzter Zeit hat sogar das Kriegsministerium Waffenübungen auf dem Eise für einige Truppenkörper angeordnet.

Vom Haag, der politischen, nach Amsterdam, der tatsächlichen Hauptstadt der Niederlande, fährt der Schnellzug in etwa vier Stunden. Dem Auge des Reisenden bietet diese Strecke nur wenig Interessantes und für das Land Charakteristisches; jede der beiden Städte hat ihren speciellen Stempel, ihre abgesonderte Bevölkerung.

In Amsterdam auf dem Bahnhofe angekommen, wird man von einem fast beständig wehenden eisigen Nordwinde empfangen der über die Dünen herüber bläst. Hinter dem Eisenbahndamme und den gelben Sandbergen ragen zehn, zwanzig, fünfzig, ja hundert Mastbäume aus dem Eise empor. Schräg unter den Fenstern ankert ein Dutzend kleinere Dampfboote, ebenfalls im Eise gleichsam conservirt Hat man diesen Anblick gehörig gewürdigt, so geht es hinunter nach dem Herzen der Stadt, dem Börsenplatze und der Kalverstraat. Diese Hauptader Amsterdams ist bei Weitem nicht so breit, wie die Promenadenstraßen der europäischen Hauptstädte, aber sie ist von ungeheurer Ausdehnung. Das Leben, welches hier herrscht, ist ein sehr reges, das heißt: die ganze Straße ist von Spaziergängern erfüllt, aber doch ein ziemlich phlegmatisches; denn Alles spaziert und besieht sich die Läden unter Beobachtung des tiefsten Schweigens. Es wird vorwärts geschritten und dann wieder zurückgekehrt mit methodischen, wohlabgemessenen Schritten. Es ist das Sonntagnachmittags-Vergnügen, und man geht diesem nach mit dem Ernste, der einer Pflichterfüllung geziemt.

Es ist, wenn man einen Sonntag-Nachmittag in der Kalverstraat lustwandelt, nicht nötig, bis nach Leuwarden hinauf zu rutschen, um den berühmten Silber- und Goldhelm der friesischen Landfräuleins zu bewundern. Diese eigenthümliche und schwere Kopfbedeckung blinzelt überall unter dem Spitzenbesatz der Hauben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_362.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)