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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

hervor, und wie mir versichert wurde, sind diese Helme nicht etwa Talmi-Waare, sondern echtes Silber, echtes Gold. Es ist das erste Geschenk des Bräutigams an die Braut, und diese trägt es beständig; die Haare werden grau, sie werden weiß; die lustige Maid von ehemals wird ein gebücktes Mütterlein, aber der goldene Helm, wie schwer er auch sein mag, dient noch immer dem Haupte als Zierde. Durch die Spaziergänger von Stadt und Land bahnt man sich mit Mühe den Weg bis zum Rembrandt-Plein, einem breiten Platz, wo mitten auf einem Square das Standbild des berühmten Malers zu sehen ist. Bei dem besten Willen entdeckt man an dieser Statue weder etwas Imposantes noch Gewinnendes sie ist groß und massiv - der wahre Rembrandt leuchtet uns im Trippenhuis entgegen, dort, wo gegenüber dem Van Helft’schen „Festmahl der Schützengilde“ der Lichteffect der „Nachtrunde“ spielt. Das Trippenhuis, der Sitz des Reichsmuseums, ist mit kostbarsten Gemälden förmlich vollgepfropft; es giebt deren von der im Erdgeschosse befindlichen Vestibül bis hoch hinauf unter dem Dachgiebel, und der Werth dieser Kleinode ist nicht zu schätzen.

Und doch ist dieses Trippenhuis ein höchst einfaches, unansehnliches Gebäude. Der Fremde, der weiß, welche Schätze seiner dort warten, zögert sogar, ehe er sich über die Schwelle wagt – er glaubt sich getäuscht zu haben. Der Bilderschatz dieses Treppenhauses wird sich übrigens bald in einem würdigeren Rahmen präsentiren. Zur Zeit meines Aufenthalts in dem schönen Amsterdam waren die Pläne zu einem beinahe monumentalen Museum bereits ausgearbeitet, und der Prachtbau stand wenigstens auf dem Papiere fertig da.

Amsterdam besitzt übrigens der Prachtbauten genug. Interessant sind die geschichtlichen Häuser, zu denen auch die St. Antonienswaag (vergl. Abbildung S. 361) gehört. Dieses mittelalterliche, mit fünf Thürmen verzierte Gebäude war einst Stadtthor und ist später Stadtwaage geworden. Außerdem hat die Stadt einen kolossalen Krystallpalast, in welchem vor Jahren eine Ausstellung stattfand und dessen Halle heute Concert- und Theatersaal ist. Zehntausend Personen können dort bequem Platz nehmen und den Kunstleistungen eines sehr starken Orchesters zuhören, oder sich an den Productionen irgend eines Blondin’s ergötzen. Alles hört und sieht hier schweigend zu. Immer die Ruhe, das beinahe obligatorische Silentium, das sich der Holländer so gern auferlegt.

Die Pflege der dramatischen Kunst ist in Holland eine sehr ausgiebige. In Amsterdam wird an demselben Abend holländisch, deutsch, französisch und sogar italienisch gespielt; mitunter geben zwei direct gegen einander concurrirende Directoren das nämliche Stück in derselben Stadt und finden Jeder sein Publicum. Die Uebertragungen aus dem Französischen sind äußerst beliebt; ich erwähne hier besonders der Conversationsstücke, die in dem Pariser Genretheater Glück machen. Aber der holländische Schauspieler ist in der Regel ein wenig derb - zu derb, um all die Finessen der Dumas', Sardou's und Augier's wiederzugeben. Weit erfolgreicher, weil ihren natürlichen Anlagen angemessen, erweist sich den niederländischen Darstellern das heroische und das Schauerdrama.

Der Holländer liest nicht nur sehr viel, sondern er hebt sich auch gern die Bücher auf; denn die Lesecabinetwirthschaft, zum großen Schaden der Autoren und Buchhändler, ist hier noch nicht eingerissen. Die französischen und englischen Bücher werden meist im Original gelesen, die deutschen dagegen in der Uebersetzung, weil der Preis der Originalausgabe zu hoch ist. Außerdem ist die Kenntniß der deutschen Sprache viel weniger verbreitet, als jene der französischen und englischen, und wenn der Holländer deutsch gelernt hat, so radebrecht er es in der schauderhaftesten Weise, so daß man nicht daraus klug wird. Das Französische wird nur in der vornehmsten Gesellschaft correct und ohne Accent gesprochen; Viele, welche im Stande sind, die schwierigsten französischen Bücher zu lesen und fehlerfrei französische Briefe zu schreiben, würden mit der Aussprache unter Franzosen nicht weit kommen. In den Kreisen, mit welchen der Reisende in Holland notwendigerweise in Berührung kommt, in den Hôtels, Magazins, Gasthäusern etc., renommiren die Leute oft mit Sprachkenntnissen, die sie nicht haben.

Der Packträger, der mich im Haag nach dem Hôtel begleitete, fragte mich zuerst auf französisch. „Parlez-vous français?“ Als ich anfing in dieser Sprache zu reden, lenkte er ein und sagte in gebrochenem Deutsch. „Ich rede auch deutsch.“ Gut, ich wiederhole die gestellte Frage in meiner Muttersprache. „Do you speak english?“ klang es jetzt, und schließlich verständigte ich mich mit ihm, so gut es ging, auf holländisch. Die drei Sätze waren sein ganzes Capital in den drei Sprachen, die er zu kennen vorgab. Dieser Zug, den ich öfters wiederfand, ist ein um so eigentümlicherer, als sonst dem holländischen Nationalcharakter nichts so ferne liegt als Renommisterei.

Erwähnenswerth ist auch das Judenviertel Amsterdams. Ich hatte über dasselbe höchst pathetische Schilderungen gelesen – allein ich fand dort außer der alten berühmten portugiesischen Synagoge kaum etwas Interessantes; sie ist aus grauem Ziegelwerk erbaut – ein plumper Bau, anzusehen wie eine Caserne. Obwohl die Juden in Holland sich stets der Toleranz erfreuten, scheint doch das vor zweieinhalb Jahrhunderten aufgebaute Gotteshaus darauf berechnet worden zu sein, eine Belagerung auszuhalten. Die Außenthore sind vom derbsten Holze und mit Eisen beschlagen, und das Mauerwerk wies früher sicher Schießscharten auf. Praktischerweise befinden sich die Wohnungen des Castellans und einiger Beamten in der Synagoge selbst. Im Tempel macht sich ein ungefähr wie die französischen Abbés im achtzehnten Jahrhundert gekleidetes Männchen mit dem Inhalt der Bundeslade zu schaffen; es untersucht methodisch, ob alles in Ordnung ist. Die strenge Architektur und die reiche Ausschmückung der Estrade in der Mitte machen einen imponirenden Eindruck, und es war mir, als ob der Geist des jüngst heimgegangenen Dichters des „Uriel Acosta“ den Raum belebte, als ob bei den Klängen des Sulzer’schen Psalms, der sich so mächtig dem Schwunge des Poeten anschmiegt, Uriel Acosta vor den Richtern der Synagoge knieete; die Stimme der Verdammenden glaubte ich zu hören, und noch als ich die Ringmauern der Synagoge hinter mir hatte, war ich ganz erfüllt von dem Gedanken an den verfolgten Religionsphilosophen, dem die Gutzkow’sche Dichtung ein unsterbliches Denkmal gesetzt hat – eine Dichtung, deren bedeutsamste Scenen eben in der Synagoge zu Amsterdam sich abspielen.

Wenige Stunden später rollten wir wieder über den Moerdyk. Einer meiner Reisegefährten, ein Holländer, der, wie er behauptete, viel in der Welt herumgekommen war, verließ den Waggon an der Grenze, nachdem er aus einem Gespräch über die Zustände des Landes das Facit gezogen hatte. „Wir sind das zufriedenste Volk, welches es heute in Europa giebt.“ Ich fand während meines kurzen Aufenthaltes in den Niederlanden nichts, das diese Ansicht Lügen gestraft hätte.




Moloch Schein im Gewerbsleben.

Der Schein begegnet uns häufig als gleißnerischer, arglistiger Schelm, noch häufiger als anspruchsvoller, nicht gerade unehrlicher Nichtsnutz, und endlich treffen wir ihn auch als Freund und Wohlthäter auf den Höhen geistiger Herrlichkeit. Es giebt überhaupt keinen dehnbareren Begriff in unserer Gesammtcultur, als derjenige ist, den wir in dem Wort „Schein“ zusammenfassen.

Im Völker- und Familienleben spielt er große, und leider oft blutige Romane, im Kunstleben schwingt er sich zu den Begriffen „Schön“ und „Erhaben“ auf, im Gewerbsleben dagegen sinkt er nur zu häufig zum Betrüger herab.

Doch überlassen wir ihn in diesen Erscheinungsformen dem Historiker und dem Poeten, dem Kunstrichter und dem Criminalrichter, und versuchen wir einige Streifzüge gegen ihn auf das von ihm beherrschte weite Gebiet, das zwischen Kunst- und Strafgesetz mitteninne liegt! Hier ist er kein Schelm mehr, aber auch kein Tugendheld; hier erfreut und kränkt er Niemanden, nützt nichts und schädigt auch nicht direct, und doch sündigt er schwer am Volkswohlstand schon dadurch, daß aller von ihm beanspruchte Aufwand an Zeit, Stoff und Kraft ein verlorenes, todtes Capital ist. Sein beliebtestes Operationsfeld ist das Gewerbsgebiet, und hier gründen sich seine bedenklichen Erfolge auf weiter Nichts, als auf die eminente Waarenunkenntniß des großen Haufens, der eben am Schein, statt am Sein, am gefälligen Aussehen, statt an Werth und Gehalt hängen bleibt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_363.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)