Seite:Die Gartenlaube (1881) 394.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

erblickt. Ohne den inneren Zusammenhang der hier thätigen Naturkräfte zu begreifen, begnügt er sich mit dem Worte „Elektricität“ und der Thatsache des Erfolges und – schweigt. Ein Beweis dafür, wie es im Verlaufe unseres Jahrhunderts der wissenschaftlichen Erkenntniß gelungen ist, den alten Glauben des Volkes an übernatürliche Mächte fast ganz zu bannen und dagegen die große Bedeutung der Forschung für das gesammte Culturleben zur allgemeinen Geltung zu bringen.

Heute sieht man in jedem neuen Gedanken eine Anregung zur Vermehrung des Wissensschatzes und in diesem den alleinigen Hebel für den geistigen und materiellen Fortschritt der Menschheit. Vermag doch Niemand vorauszusehen, ob nicht aus dem unscheinbarsten Samenkörnchen menschlichen Denkens dereinst eine die Welt beglückende Errungenschaft entsprießen wird. Beginnt doch die glorreiche Geschichte der elektrischen Technik, des Telegraphen, des Fernsprechers, der dynamo-elektrischen Maschine, des im Dienste der Heilkunde stehenden magneto-elektrischen Apparats und der elektrischen Eisenbahn mit einer scheinbar sehr geringfügigen Entdeckung.

Als Galvani im Jahre 1789 wahrnahm, daß ein von ihm frisch präparirter Froschschenkel, den er mittelst eines metallenen Hakens an einem eisernen Gitter aufhängte, in heftige Zuckungen gerieth, konnte Niemand im Entferntesten ahnen, daß diese unscheinbare Beobachtung der Ursprung für die Entdeckung einer der gewaltigsten Naturkräfte sein würde, die inzwischen, wie keine andere, umgestaltend auf das ganze menschliche Leben gewirkt hat und in der Zukunft gewiß noch weit bedeutendere Entwickelungsphasen in dem Fortbau der Cultur herbeiführen wird.

Kaum hatte Galvani seine Beobachtung veröffentlicht, als auch schon die Gelehrten mit einander wetteiferten, das Geheimniß dieser Thatsache zu erklären und ihre Nutzanwendung zu erforschen. Man fand später, daß Eisen, welches man in die Nähe eines galvanischen Stromes brachte, magnetisch wurde, also die Eigenschaft erhielt, ein zweites Eisenstückchen anzuziehen, und daß dieses Eisen seine magnetische Kraft sofort verlor, wenn man den galvanischen Strom entfernte oder ihn unterbrach. Ein Eisenstab also, umwunden von einem Kupferdraht, wird ein unter ihm liegendes Eisenstück zu sich in die Höhe ziehen, wenn wir durch diesen Draht einen galvanischen Strom gehen lassen. Das angezogene Eisenstückchen wird aber sofort niederfallen, sobald wir den Strom unterbrechen und dadurch dem oberen Eisenstabe die magnetische Kraft entziehen. So ist es möglich, durch rasch auf einander folgende Unterbrechungen des galvanischen Stromes das untere Eisenstück in regelmäßige Bewegung nach oben und unten zu versetzen und diese Kraft als den Motor für irgend eine Maschine zu verwenden. Der Erste, der diesen Zusammenhang der Elektricität mit dem Magnetismus nachwies und so die Grundlage zur Lehre von der Fernwirkung des elektrischen Stromes legte, war der dänische Naturforscher Oersted. Nunmehr begann man darüber nachzudenken, ob sich nicht die bedeutende Zugkraft, welche ein Elektromagnet auszuüben im Stande ist, zu größeren Arbeitsleistungen, der Dampfkraft analog, verwenden lasse. Diesen Gedanken versuchten zuerst der Amerikaner Page und der berühmte Erfinder der Galvanoplastik, Jacoby in St. Petersburg, in der Construction größerer elektrischer Kraftmaschinen zu verkörpern. Jacoby brachte es wirklich dahin, durch einen elektromagnetischen Motor ein Boot auf der Newa in Bewegung zu setzen, Mußte aber schließlich selbst eingestehen, daß sein Versuch die Lösung der Aufgabe als eine Unmöglichkeit erscheinen lasse, da der Kostenaufwand der galvanischen Batterien zur Erzeugung des elektrischen Stromes zu beträchtlich sei und außerdem die Arbeitskraft der elektrischen Maschine die Kraft der Batterien ungemein abschwäche.

Einen größeren und nachhaltigen Erfolg versprach man sich von den sogenannten magneto-elektrischen Maschinen, die auf der Basis der von Faraday entdeckten Induktion beruhten. Der Vorgang, welcher sich bei der galvanischen Inductionserscheinung abspielt, ist dem oben geschilderten verwandt. Bringen wir z. B. in die Nähe eines Kupferdrahtes einen Magnet, so entsteht in dem Augenblicke der Annäherung in dem Kupferdrahte ein kurz andauernder galvanischer Strom, dasselbe geschieht auch in dem Augenblicke der Entfernung des Magneten von dem Kupferdrahte. Durch die fortgesetzte Rotation eines Magneten vor einem elektrischen Leiter (z. B. Kupferdraht) wurde man nunmehr in den Stand gesetzt, eine unendliche Anzahl von Inductionsströmen zu erzeugen und die galvanischen Batterien als entbehrlich zu beseitigen. Doch auch diese Maschinen, bei welchen Stahlmagnete, deren mehrere zu einem großen Magneten vereinigt wurden, in Anwendung kamen, reichten zur Erzeugung so starker Ströme, wie sie die Kraftübertragung für mechanische Zwecke beansprucht, nicht aus, um so weniger, als Stahlmagnete mit der Zeit ihre magnetische Kraft einbüßen; auch wurde die Herstellung dieser Maschinen noch immer zu kostspielig.

Erst im Jahre 1867 ist es Werner Siemens gelungen, durch die Construction einer dynamo-elektrischen Maschine, welche er der Akademie der Wissenschaften zu Berlin vorführte, das Princip der elektrischen Kraftübertragung ohne Vermittelung vorhandener permanenter Magnete zur Ausführung zu bringen und damit dem elektrischen Strome die eigentliche Grundlage für seine mechanische Nutzanwendung zu geben. Er fand, daß schon der remanente Magnetismus, das heißt: die geringe magnetische Kraft, welche in dem Elektromagneten zurückbleibt, vollkommen genügt, um einen constanten elektrischen Strom zu erzeugen und in Arbeitskraft umzuwandeln. Wir wollen es mit Umgehung der schwer zu schildernden technischen Einzelheiten versuchen, das leitende Princip dieser dynamo-elektrischen Maschine kurz zu erläutern.

Man denke sich einen mit Drahtumwindungen umgebenen Eisencylinder, der sich um ein sogenanntes magnetisches Feld dreht, ohne dasselbe zu berühren, und dessen Drahtenden durch die Windungen von Elektromagneten führen, die zu beiden Seiten des magnetischen Feldes angebracht sind. Erfolgt nun eine gleichmäßig fortdauernde Rotation dieses Cylinders, so muß sich der schwache Magnetismus im magnetischen Felde verstärken, in dem sich drehenden Theile der Maschine einen Strom erzeugen, der wiederum die Kraft des Elektromagneten erhöht und dadurch dem verstärkten Magnetismus die Kraft giebt, abermals stärkere Ströme hervorzubringen. Dieser Kreislauf geht so fort, bis schließlich Ströme entstehen, die mächtig genug sind, nicht nur ein intensives elektrisches Licht, die stärkste chemische Wirkung, sondern auch die umfassendsten Arbeitsleistungen zu Stande zu bringen. Um eine Kraftübertragung zu ermöglichen, braucht man nur die Stromerzeugungsmaschine mit einer zweiten dynamischen Maschine durch eine Leitung zu verbinden, dann wird sich durch die Macht des Stromes der rotirende Cylinder der zweiten Maschine gleichfalls in Bewegung setzen und, wenn man diesen mit einem Triebwerk versieht, jeden beliebigen mechanischen Apparat in Thätigkeit bringen.

Bei der ersten elektrischen Eisenbahn sind nun die soeben beschriebenen Maschinen in folgender Weise thätig. Etwa einen halben Kilometer von dem Ausgangspunkte der Bahn und eine kleine Strecke von ihrem Schienenwege entfernt, findet man in einem alten Werkstattsgebäude eine von einem Gasmotor in rasche Umdrehung versetzte dynamo-elektrische Maschine. Der von ihr erzeugte elektrische Strom ist es, der draußen auf dem Bahnkörper das Wunder der Bewegung vollführt. Mittelst unterirdischer Leitungsdrähte wird nämlich dieser Strom den Schienen der Bahn zugeführt, durch diese zu den in steter Bewegung befindlichen Radkränzen der Wagenräder und von diesen durch Schleiffedern in eine zweite dynamo-elektrische Maschine geleitet, welche, dem Auge des Beobachters unsichtbar, am Wagen befestigt ist. Der Cylinder dieser Betriebsmaschine wird durch den elektrischen Strom in rotirende Bewegung versetzt, bringt seinerseits durch eine Reihe stählerner Spirälschnüre die Räder des Wagens in Umdrehung und diesen somit in Lauf. Die Schleiffedern der einen Wagenseite, respective der einen Schiene, stehen nun mit dem einen, die der anderen Wagenseite aber mit dem anderen Ende des Verbindungsdrahtes der elektrischen Betriebsmaschine in steter leitender Verbindung, sodaß dadurch der elektrische Kreislauf mit der stromerzeugenden Maschine hergestellt ist. Die Einleitung und Unterbrechung des elektrischen Stromes geschieht durch Bewegung eines Hebels, der sich auf jedem Wagenperron zur Hand des Wagenführers befindet; so lange der Stromlauf geschlossen ist, bewegt sich der Wagen fort; die Unterbrechung desselben und das Anziehen der Bremse bewirken seinen sofortigen Stillstand. Da der Wagen, ohne umgedreht zu werden, analog dem Pferdebahnwagen, vor- oder rückwärts fahren kann, so ist zur Bedienung desselben und auch zur Billetausgabe nur eine Person nöthig. Bei der Abfahrt läßt dieser Führer eine Signalglocke ertönen, schließt durch eine leichte Bewegung des gedachten Hebels den Stromlauf, und fort rollt der Wagen in schnellem Laufe, wie durch Zauberkräfte getrieben, seinem Ziele zu.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_394.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)