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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

an gethan, in Erörterungen der nebensächlichsten Art, sodaß man bis zum 1. Juni eigentlich noch keinen Schritt vorwärts gekommen war. Die Kaiserlichen beanspruchten, außer den früher genannten Forderungen, die Schriften der übrigen Verbündeten durch ihre Hände gehen zu sehen; die wachehabenden Soldaten sollten vor ihnen unter die Waffen treten etc. Der Streit über die Rangordnung war geradezu peinlich, und kaum glaublich würden die sich abspielenden Scenen sein, wenn sie nicht geschichtlich verbürgt wären. So fuhren die Gesandten der Hochmögenden vom Plein nach dem Spuy (Plätze im Haag); in der ziemlich engen Zwischenstraße begegneten sie dem leeren Staatswagen des Grafen Kaunitz. Da die zwei Carossen nicht an einander vorbeifahren konnten, ließen die Gesandten dem Kutscher sagen, er möge ausweichen, damit man an einander vorbeifahren könne, aber der wahrscheinlich gut instruirte Kutscher machte Miene, seinen Wagen zuerst vorüberfahren zu lassen, ohne den Hochmögenden Platz zu machen. Die Gesandten beklagten sich unverzüglich, so lange in der engen Straße zwischen den Häusern harrend, bis die Antwort des Herrn von Kaunitz angekommen war. Dieser gebot dann seinem Kutscher, Platz zu machen; da das einmal festgestellte Reglement es so verlange, wolle er nachgeben.

Obelisk zu Ryswyk.
Nach dem „Nederlansche Stad en Drop Beschrijver“.

Ein eigenthümliches Bild jener Tage liefert auch die Beschreibung der öffentlichen Audienz des Grafen von Lillieroot bei den Generalstaaten. Politische Bedenklichkeiten hatten früher die officielle Anzeige vom Tode des schwedischen Königs zurückgehalten; jetzt war die Zeit gekommen, die verspätete Meldung zu machen. Der Gesandte wurde in der großen Staatscarosse zur Audienz abgeholt, und ihm folgte in zwanzig Vier- und in elf Zweispännern, eine große Anzahl von niederländischen Adligen. Das Gefolge des Gesandten fuhr in drei mit schwarzem Tuch ausgeschlagenen Carossen, denen wiederum eine ganze Reihe von schwedischen Pagen, Dienern zu Fuß und jungen Edlen folgte. Von den fremden Gesandten hatte keiner, wieder des leidigen Rangstreites wegen, seinen Wagen geschickt, nur die holländischen Gesandten, als Mitglieder der die Trauerbotschaft empfangenden Nation, ließen drei Sechsspänner zugleich hinter dem Staatswagen des Gesandten fahren. An derartigen Schilderungen höfischer Kleinigkeiten und zopfiger Marotten ist das französisch geschriebene Werk unseres Gewährsmannes – A. Moetjen’s „Actes et Memoires des Negociations de la Paix de Ryswyk“ – reich. Viel des Traurigen, Kleinlichen und Lächerlichen berichtet dieses Buch. Aber ein Wort, ein ernstes, erhebendes, kehrt doch immer wieder: in allen Verhandlungen, Protestationen, Antworten erklingt das eine dringende Verlangen der Alliirten, Straßburg zurückzuhaben; ebenso erklärt der kaiserliche Gesandte, Graf von Starhemberg, durch die Vermittelung Schwedens, daß der Congreß nicht beginnen würde, wenn Frankreich nicht vorher die Rückgabe Lothringens verspräche, und Schweden gelobt, Sorge für die Erfüllung dieses gerechten Wunsches zu tragen. Hatten Kaiser und Reich Straßburg früher Unrecht zugefügt, indem sie es dem Feinde überlassen, beim Congreß haben sie Alles aufgeboten, das Schmerzenskind wieder zu erringen. Aber vergebens! Ludwig der Vierzehnte sprach immer drohender. Zuerst sollte der Kaiser das von Frankreich gebotene Aequivalent selbst wählen, dann aber bestimmte es der König allein; er bot Stadt und Schloß Freiburg, die Dörfer de l’Heu, Metzhausen, Kircksand und Breisach, deren Neustadt zerstört werden sollte, damit in Zukunft der Rhein die Grenze zwischen Deutschland und Frankreich bilde.

Schloß zu Ryswyk im 17. Jahrhundert.
Nah dem „Nederlandschen Hovenier“.

Aber die Reichsfürsten bestanden auf der Rückgabe ohne Aequivalent. Da kam schließlich Frankreichs letzter Bescheid: Straßburg blieb sein ohne Aequivalent.

Endlich entschied sich das Loos Europas und des verlassenen Kindes Straßburg. Schweden zog sich gegen Mitternacht des denkwürdigen Tages zurück, ohne die Unterschriften der contrahirenden Mächte abzuwarten, weil der abzuschließende Friede die Bedingungen des westfälischen Friedens schädigte, für welche der schwedische König einst Garantie übernommen hatte, und gleich nach der Unterzeichnung ließ der Friedensvermittler durch seinen Secretär von Friesendorf den kaiserlichen und französischen Gesandten seine Widerspruchsurkunde überreichen.

Der Friede war nun geschlossen – aber um welchen Preis? Paragraph 16 des Friedensvertrages zwischen Deutschland und Frankreich am 30. Oktober 1697 strich Straßburg von der Reichsmatrikel. In Deutschland erscholl bei der Kunde davon, ein lautes Klagen. und der allezeit schlagfertige Volksmund sprach es treffend im Wortspiel aus: „Was uns der Friede von Nimmweg (Nymwegen) nicht weggenommen, hat uns der Friede von Reißweg (Ryswyk) weggerissen.“

Eine glanzvollere Correctur konnte der für Deutschland so schmachvolle Vertrag von 1697 nicht finden, als durch den vor nunmehr zehn Jahren geschlossenen Frieden von Frankfurt: Straßburg ist wieder unser und wird unser bleiben. Im Interesse der Cultur und Gesittung ist es dringend zu wünschen, daß zwischen der deutschen und französischen Nation aus einer wirklichen Versöhnung der Gemüther sich mehr und mehr freundnachbarliche Beziehungen gestalten möchten. Sollte aber dieses innig zu wünschende Band freundschaftlicher Gesinnungen von jenseits des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_429.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)