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verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Meinhard war neben ihr und nahm ihre Rechte zwischen seine beiden Hände.

„Bedarfst Du himmlischer Zeichen?“ sagte er bewegt. „Ein Kind, so aus Glück und Liebe geboren, bringt goldene Flügel mit auf die Erde, selbst wenn keine Sonne ihm leuchtet.“

Ihr Auge wurde dunkler. Wie in Sinnen verloren, sprach sie die letzten Worte nach: „wenn keine Sonne ihm leuchtet wie düster das klingt!“ Ihre Hand preßte die seine mit starkem Druck, während sie mit vollem Blick in sein Auge fragtet „Ist heute nichts, was Dich schmerzt, Meinhard? nichts, was Du entbehrst, für Dich, für uns?’’

Flüchtiges Roth lief ihm über die Wange.

„Nichts!“ sagte er nach kurzer Pause voll Nachdruck. „Weshalb fragst Du so? “

Ein leichtes Geräusch schnitt die Antwort ab. Als Genoveva aufblickte, trat ihr eine Dienerin entgegen.

„Die Jana hat Vögel gebracht,“ sagte sie, „wenn’s erlaubt wär’, möcht’ sie gern mit der Gnädigen reden. Sie hat sonst noch was, sagt sie.“

„Nun, warum ist sie nicht gleich mit Dir herausgekommen?“

„Sie wollt’ nit; glaub’ sie fürcht’ sich vor unserm Herrn.“

„Ich komme!“ nickte die junge Frau.

Der Hausherr lachte; sein Gesicht verjüngte sich dabei.

„Wer ist Jana, die sich vor mir fürchtet?“ fragte er.

„Wie? ist mein Schützling Dir noch nicht vorgestellt? Von ihr gesagt habe ich Dir schon. Du vergaßest wohl nur den Namen. Das jüngste Töchterlein des Müllers am Wildbach ist’s, Juliana getauft, Jana gerufen – Du weißt ja die Mühle, thaleinwärts, wo der Fall so schäumend niederstürzt und ich so gern raste. Dort trat ich manchmal ein, wenn ich ohne Dich des Weges ging; sie haben solch ein lauschiges Gärtchen, wo sich’s behaglich ausruht. Dann brachte mir Jana ein Glas Milch, und ich ließ mir von ihr erzählen.“

„Ist das nicht die Kränzewinderin, von der Du mir sagtest, daß sie allerlei Kunstwerk von Haargeflecht und Blumengespinnsten zu weben versteht, alle Festtags- und Brautkronen flicht?“

„Dieselbe! ein Mädchen licht und scheu wie Edelweiß und ebenso sammetweich. Sie hängt mir an, ihre Augen sagen mir das und manche Blumenspende auch. Jana’s Schwester ist eine Jägersfrau; daher bekommen wir all unser Wildpret; zuweilen bringt sie es mir, wenn die Schwester nicht vom kleinen Kinde weg kann. Heut war ich schon in Sorge, sie ließe uns im Stich, und nun ist das bestellte Geflügel doch noch rechtzeitig gekommen für den Taufschmaus. Was sie sonst hat, will ich jetzt erfahren.“

Genoveva durchschritt die Glasthür, welche die Terrasse vom luftigen Gemach des Hauses trennte. Das dunkelfarbige Holzgetäfel, womit dessen Wände bis zur Decke bekleidet waren, wurde heute durch Guirlanden von jungem Laub erfrischt, die sich in Bogen um alte ovale Bilder zogen. Dieser Schmuck schien noch vermehrt werden zu sollen; denn ein mitten im Zimmer stehender, von kunstreich geschnitzten Füßen getragener Eichentisch war mit einer Fülle von blühendem Strauchwerk beladen.

Neben diesem Tische stand ein zartgebautes Landmädchen. Der runde Hut mit Goldquasten, welcher ihr helles Gesicht beschattete, machte sie als Oberinnthalerin kenntlich. Ihre Hand umschloß einen Strauß Monatsrosen von so thauiger Frische, daß sie gewiß erst vor Kurzem vom Strauch geschnitten waren.

„Rosen!“ rief Genoveva erfreut, als das Mädchen ihr die Blüthen entgegenbot. „Wie kommst Du zu dieser Pracht?“

„Sie sind von daheim,“ sagte Jana mit wohlklingender, etwas dunkler Stimme. „Das Gärtchen ist vom Haus geschützt, und die Sonne scheint darauf nieder von früh bis Nacht; darum haben wir immer die ersten. Es wär’ mir so viel lieb, wenn die Gnädige sie annehmen möcht’.“

„Schönen Dank, Jana! Deine Rosen sollen auch zu Ehren kommen und auf dem Tauftische prangen.“

„Wird das Herrlein denn nicht drunten in der Kirche getauft?“ fragte das Mädchen verwundert.

„Nicht doch! Der Gang wäre für mich noch zu ermüdend, und ich muß dabei sein. Könntest Du über Mittag da bleiben, Kind? – Ja? – Das ist schön! Dann hilfst Du mir den Kranz winden, der um den Tauftisch soll; hier liegt schon Alles bereit dazu. Du kommst gerade recht. Ich mag das nicht den Dienstleuten überlassen, und es heißt eilig sein. Um zehn Uhr kommt Pater Alois, und schön machen muß ich mich auch noch. Erst sollst Du aber als Lohn für die Rosen das Taufkind sehen.“

Ohne von dem gewöhnlich schweigsamen Mädchen Antwort zu erwarten, ging die junge Frau, anmuthig zurückwinkend, durch das anstoßende Zimmer in das Gemach, das von der Mutterliebe selbst ausgeschmückt erschien. Es war dort so dämmerig und doch zugleich so heimlich helle, wie in einer dichtschattigen Laube, deren schwankendes Zweiggeflecht goldene Sonnenfäden durchziehen. In diesem weiß und grün ausgefütterten Nestchen saß eine frische Bäuerin neben der verhüllten Wiege und schaukelte sie leise, indem sie ein „G’sätzel“ summte.

„Schläft er?“ fragte Genoveva halblaut.

Die Wärterin nickte.

„Geh’ frühstücken! Ich bleibe inzwischen hier.“ Erst nachdem die Amme das Zimmer verlassen hatte, schlug die junge Mutter die seidene Gardine zurück. Alle Majestät ihres Wuchses, ihrer Haltung verwandelte sich in diesem Moment einzig in Grazie. In das zuweilen so unerforschliche Auge trat ein Blick himmlischer Zärtlichkeit, während es sich auf das zarte Geschöpf heftete, das leise athmend zwischen feinen Spitzenhüllen lag. Nun sah sie zu dem Mädchen auf, welches regungslos auf die Wiege starrte. Nicht die vornehme Frau blickte das Landkind an; des Weibes seliger Mutterstolz suchte Theilnahme und Bestätigung bei dem Weibe.

„Erst vierzehn Tage alt und so kräftig schon, nicht wahr?“ fragte sie heiter. „Aber die Amme sorgt auch für sich und ihn. Denke Dir, sie frühstückt jeden Morgen dreimal. Doch davon verstehst Du nichts.“

Jana stand blaß und stumm.

Als Genoveva, durch ihr fortdauerndes Schweigen aufmerksam. gemacht, sie schärfer in’s Auge faßte und nun plötzlich fragte: „Was ist Dir?“ da warf das Mädchen beide Hände vor das Gesicht und brach in so gewaltsames Schluchzen aus, daß jedes der zarten Glieder erbebte und was nun folgte, das war eine gar geheimnißvolle räthselhafte Scene.

„Jana, was ist mit Dir?“

„Ich darf’s nit sagen,“ athmete das Mädchen, glitt aber dabei auf die Kniee und barg ihr verstörtes Gesicht in die Falten von Genoveva’s Kleide. Ein Ahnen erfaßte die junge Frau.

„Du darfst mir Alles sagen, Jana; denn ich bin Dir gut und kann Dir vielleicht beistehen.“

„Das hab’ ich selber gemeint und bin von zu Haus mit dem Willen fortgangen, der Gnädigen Alles zu beichten, aber ich wag’s nit, und wenn’s heraus ist, so hab’ ich kein Anwerth mehr bei Ihnen, und das halt’ ich nit aus – ach, ich seh’ meiner Noth kein End’ und getrau mich für die nächsten Monde nit nach Haus – –“

Genoveva strich ihr über das lockige Stirnhaar.

„Auf, Jana!“ sagte sie kräftig. „Ich bin Dein Richter nicht, aber Dein Helfer will ich sein in Angst und Noth. Sprich getrost!“

Das Mädchen regte sich nicht. Kaum vernehmlich stammelte sie ein langes, banges Geständniß von Liebe und Schuld, vom todten Liebsten und unendlicher Herzensangst, und als nach einer Weile die Amme wieder in das stille Gemach trat, da senkte Jana, wie vor Schmerz und Scham, die langen Wimpern, und zwei große helle Thränen hingen daran.

„Das ist nun Deine Genossin,“ sagte Frau von Riedegg, zu der Amme gewandt, „eine zweite Wärterin für den Kleinen. Sei gut mit ihr!“

Jana’s Augen strömten vor Dank über, Frau von Riedegg aber sagte mit dem stolz heiteren Ausdruck, der ihr gewöhnlich eigen war, hellen Tones:

„An’s Werk jetzt, kleine Kränzewinderin!“




2.

„Auf die Gesundheit des jungen Herrleins!“ rief der alte Servitenpater, und seine schmalen, gutmüthigen Augen zwinkerten vor Wohlbehagen, während er das Glas hob, um mit der Schloßherrschaft anzustoßen. „Möcht’ ihm das heilige Taufwasser, so er empfangen hat, gütlich gedeihen und der christliche Name Sigismund ihm auch Sieg bedeuten über alle Fährlichkeiten an Leib und Seele!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1881, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_438.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)