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verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Amen!“ erwiderte Genoveva lebhaft, während das Glas ihres Gatten hellen Klanges mit dem des Paters zusammentönte, dessen vergnügte Stimmung sich in jeder Miene kundgab. Das Amt war gebührend verrichtet, nun mochte er auch das Recht üben, sich die seltenen Freuden eines auserlesenen Taufschmauses zu Gute kommen zu lassen.

„Ja,“ hob er wieder an, indem er den goldig funkelnden Tokaier im frischgefüllten Glase mit fast gerührten Blicken betrachtete, „solch köstlich Tröpflein ist wahre Gottesgabe! Kommt so leicht nicht an Unsereinen – nicht einmal zu den heiligen Zeiten!“

„Ihr Kloster ist arm?“ sagte Meinhard; „und es ist doch ein gar stattliches Bauwerk. “

Der Mönch zuckte die Achseln; zwischen dem Vollbarte, dessen graudurchmischte Fülle das Gesicht etwas struppig umrahmte, spielte ein vieldeutiges Lächeln.

„Wohl, wohl,“ sagte er; „Mauern genug; unser Kloster ist richtig halb so groß wie’s ganze Städtle. An Platz thät’s nit fehlen, wär’ nur sonst von Allem g’rad’ so viel da. Wir armen Kutten laufen da drinnen ’rum wie die Kirchenmäuse im Dom. Wohl, wohl – zum Laufen sein wir ja da! Wann’s im Winter Flocken schneit, so groß wie ein Bauernhut, und wann im Juli die Sonne niederbrennt, daß man heil denkt, es bleibt nichts von Einem übrig, als ein Fettfleck, da müssen wir doch alleweil um einand’ laufen, bis in die höchsten Berg’ ’naufzannen, oder aber durch’s Wasser patschen, wo’s halt ’was zu amtiren giebt. Wären unserer zur Aushülf’ nur mehr, dann ging’s schon!“

Die alte Bronzeuhr schlug voll und langsam die dritte Nachmittagsstunde.

„Heilige Mutter Maria,“ sagte der Pater und schaute bestürzt nach der baroken Urne, welche das Zifferblatt trug; „schon so spät! Jetzt muß ich fort, sonst thät’ ich gar die Vesper versäumen.“

„Daraus wird nichts!“ lächelte die junge Frau. „Erst müssen Sie noch Kaffee trinken. Vom Programm der heutigen Festlichkeit wird Ihnen kein Iota erlassen, Pater Alois. Schlimm genug, daß Sie damals den Hochzeitwein nicht mit uns theilen wollten!“

Der Pater war auf seinen Füßen.

„Bscht, bscht!“ mahnte er und sah sich ängstlich rund um.

Ohne seiner weiter zu achtelt, stützte Genoveva ihre schlanke Hand auf die Schulter des Gatten

„Denkst Du den Tag?“ fragte sie halblaut und ließ ihr leuchtendes Auge durch das Fenster über Thal und Strom zum waldigen Brandenberge hinüber schweifen, wo es träumerisch an dem alten Bergkirchlein hängen blieb, das tief einsam zwischen dunkeln Tannen ruhte.

„Ob ich des Tages denke?“ wiederholte Meinhard leise und leidenschaftlich, indem sein Arm das schöne Weib umfaßte. „Allein! wir waren allein! Ueber Moos und Marmor schritten wir zwischen Föhrendunkel und feurigem Herbstlaub. Und als wir vor dem Altar standen, nur vom Priester und Eremiten geschaut, als einzelne Vogeltöne durch die heilige Morgenfrühe klangen, da bewegte der Frühwind das Glöckchen im Thurme und trug dem Walde die Kunde zu, daß Du mein geworden. Ein goldener Sonnenstrahl verklärte das Madonnengesicht über dem Altar

„Die Madonna mit dem Kinde!“ sagte Genoveva. „Sie ist gebenedeit.“

„Hörte ich recht?“ rief der Servitenpater und sein volles, heute etwas weingeröthetes Gesicht strahlte vor Freude. „Sie benedeien die heilige Muttergottes. So hat sich an Ihnen also die Gnade erwiesen, welche ich mit so manchem Vaterunser und englischem Gruße alle Tage vom grundbarmherzigen Himmel heruntergebetet habe? Sie kehren in den Schooß unserer heiligen Kirche zurück, oder sind gar schon –?“

Die junge Frau schüttelte heiter den Kopf.

„Nicht doch, Pater Alois! Was ich gewesen, das bin ich, und was ich bin, werde ich bleiben. Wär’s denn wirklich wahr, was ich einmal von Ihnen selbst meine vernommen zu haben: daß wir armen Lutheraner ewig in der Hölle brennen müssen?“

Der schalkhafte Zug, welcher nur in seltenen blitzartigen Momenten, dann aber als besonderer Reiz dieser vornehmen Erscheinung zu Tage trat, ging an dem guten Pater spurlos verloren.

„Mit nichten, mit nichten!“ sagte er eifrig und wehrte mit der Hand ab, als wären strafende Flammen schon bereit, aufzulodern. Mit seinem Behagen schien es aber vorbei. Unruhig schweifte sein Auge nach seinem breitrandigen Hute umher, und sobald er ihn erfaßt, sagte er etwas hastig. „Empfehl’ mich zu Gnaden – darf wahrhaftig nicht länger dableiben, wenn ich nicht leidige Rüge auf mich laden soll. Gelobt sei Jesus Christus!“ Meinhard hielt ihn auf:

„Der Taufschein, hochwürdiger Pater? Sie haben ihn ausgefertigt, mir aber noch nicht eingehändigt.“

„Wohl, wohl! Das hätt’ ich nun bald vergessen hab’ ihn an mich genommen.“

Er zog das Blatt aus der Brusttasche seines langen Klosterrockes, räusperte sich stark und legte es auf den Tisch, um sich dann eiligst zurückzuziehen.

Als Meinhard, nachdem er ihm Geleit gegeben, das Speisezimmer wieder betrat, fand er seine Frau tief verloren in Betrachtung des Taufzeugnisses. Sie blickte lebhaft zu ihm auf; ein gleich lebhaftes Wort schien auf ihren Lippen zu schweben, doch sprach sie es nicht ans.

Als er die Hand ausstreckte und das Blatt schweigend an sich nahm, senkte sich der heißfragende Blick der jungen Frau. Ein finsterer Zug, der plötzlich den ganzen Eindruck ihrer Physiognomie verwandelte, trat um die schöngeschwungenen Lippen.

„Genoveva!“

Eine Fülle von Liebe klang aus dem weichen Laut, womit er den Namen rief. Sie hob die Augen, blickte ihn einen Moment zögernd an und warf sich dann mit leidenschaftlicher Inbrunst in seine Arme.




3.

Wir Modernen, im Reisen und Schauen Geübten sind durch den Besuch mancher öffentlichen Sammlung mit den Einzelnstücken früherer Einrichtungen ziemlich vertraut geworden. Wer alte Schlösser besucht hat, wird mit Interesse bei jenen eingelegten Möbelstücken, jenen kunstreichen Schlosserarbeiten, Waffen und Geräthen verweilt haben, welche unsere Vorstellung von altdeutscher Häuslichkeit schärfen. Der historische Sinn, welcher zur Zeit unserer Voreltern selbst im schlichten Bürgerhause dem Ererbten Werth beilegte und somit dem Urenkel ein Stück unberührter Vergangenheit übermittelte, ward aber von unserer schnelllebigen Generation längst in alle Winde verstreut.

Deshalb sind wirkliche Heimstätten alter Zeit ebenso selten geworden, wie jene Stammsitze von Geschlechtern, welche Jahrhunderte lang demselben Namen zu eigen geblieben. Wer heute ein solches durch vier oder fünf Jahrhunderte dem gleichen Stamm zugehörendes Schloß betritt, den ergreift ein seltsames Verstehen. Wie groß, wie stark mußten sich die fühlen, die hier wohnten! Die stummen Wände schon predigen dem Kinde, das hier heranwächst, vom Ansehen und Stolz seines Geschlechtes; was die Jahrhunderte im Ausdruck, den sie aufgeprägt, von einander unterscheidet, wird zur Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. In der prächtigen Fülle, die sich hier vererbt, der immer neue Fülle hinzugefügt wird, lebt etwas Großartiges, ja sogar etwas Großmütiges; denn nirgends begegnet hier der Gedanke jenem Zuge unseres Jahrhunderts: auf Kosten jeder Freigebigkeit immer gleich wieder sparen zu wollen oder zu müssen. Man kann sich in solche gleichsam zur verkörperten Historie gestaltete Räume nichts Kleinliches hineindenken, weder körperlicher noch geistiger Art.

Das Stammschloß der Grafen Riedegg, seit einer Reihe von Generationen demselben Tiroler Adelsgeschlechte eigen, gehört in diese Kategorie. Es liegt unfern der Grenze des deutschen und italienischen Sprachgebietes, auf steilem, von der Ebene aus scheinbar unzugänglichem Felsenvorsprunge, von dunklen Föhren dicht umstanden. Tief drunten ich Thale braust der gelbe Eisack.

Das Gemach, welches wir zunächst betreten, hat einst eine Königin beherbergt; davon ist ihm der Name Königinzimmer geblieben; trotz der zierlichen Parquettirung und der außerordentlich schönen Schnitzarbeit der Decke zeigt es aber gegenwärtig ein strenges, jener weiblichen Bezeichnung widersprechendes Gepräge. Der gewaltige Eichentisch in der Mitte ist mit Büchern und Mappen beladen; Alles, was der Einrichtung dient, verräth Pracht und Ernst zugleich. Man möchte sich diesen Raum ungern als Wohngemach denken, böte nicht das weit hinausspringende Eirund

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verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1881, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_439.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)