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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


rauschenden, von originellen Statuen gekrönten Brunnen. Das frühromanische Münster ist ziemlich schmucklos; in seinem Thurme hängt jene Klangspenderin, deren Inschrift: „vivos voco, mortuos plango, fulgura frango“ unsern Schiller zu seinem herrlichen „Lied von der Glocke“ anregte. Das Schloß Munoth, auf steilen Treppenwegen rasch erreichbar, ist fränkischen Ursprungs und besteht nur aus einem mächtigen, von Gräben umgebenen Thurme mit achtzehn Fuß dicken Mauern. Sowohl von hier wie von der hochgelegenen Promenade Fäsenstaub bieten sich reizende Ausblicke auf den smaragdgrünen, raschströmenden Rhein mit seinen großartigen Wasserwerken, auf die malerische Stadt und die ferne Alpenwelt. Alles dieses ist aber nicht im Stande, den Wanderer lange aufzuhalten; denn seine vom Donnern und Brausen des Stromes genährte Sehnsucht zieht ihn rastlos weiter nach dem etwa drei viertel Stunden entfernten Schloß Laufen, von dessen Terrasse sich dem Blicke ein Naturwunder erschließt, das sich in seiner erhabenen Größe kaum begreifen, geschweige denn beschreiben läßt.

Karl Konrad.




Aus den Papieren eines Asiaten.[1]

Alle Rechte vorbehalten.
2. Eine reine Männerstadt.

Sir John Redcliffe erzählt in einem seiner Romane von einem Frauen-, respective Amazonendorfe, welches von den Russen in der Türkei besetzt wurde. Aber es wäre umsonst, wollte ein moderner Abenteurer die interessante Ansiedelung aufsuchen, und durchforschte er auch die ganze Türkei; denn dieses Amazonendorf existirte nur in der Phantasie des Dichters. Keine Fabel ist es dagegen, daß es in der Welt eine Stadt giebt, die bei 3000 Einwohnern nur Männer in ihren Mauern birgt. Ihr Name wird übrigens Allen, die im praktischen Leben noch mit asiatischer Geographie zu thun haben, bekannt sein.

Diese reine Männerstadt ist Mai-ma-tschin (Handelsstadt) im äußersten Norden der Mongolei; sie liegt an der russischen Grenze, 100 Schritt vom bekannten Kiachta, und darf kein Weib in ihren Mauern beherbergen; denn die chinesischen Landesgesetze verbieten den Frauen des himmlischen Reiches der Mitte den Aufenthalt in diesem nördlich von der großen chinesischen Mauer gelegenen und den Fremden leicht zugänglichen Orte. Schon der Name charakterisirt die Stadt als Handelsplatz und es wird hier allerdings noch ein eifriger Tauschhandel betrieben, doch tritt im Falle von Mangel an Tauschobjecten auch oft Geld (russische Banknoten, alle Gold- und Silbermünzen, von letzteren vorzüglich mexicanische Dollars und chinesisches Silber) als Gegengabe in Cours.

Eintönig ist der Weg durch die Steppe, den wir, um nach Mai-ma-tschin zu gelangen, zurücklegen müssen. Wir begegnen auf demselben nur der russisch-chinesischen Post, sei es, daß der kleine Train an uns vorüberziehe und wir einen flüchtigen Gruß tauschen mit den spitzbehuteten Führern derselben, sei es, daß diese auf dem Wüstenboden gerade Rast halten, während wir des Weges kommen. Solche Chinesenpost in der Wüste macht trotz des unwirthlichen Terrains, auf dem sie abgehalten wird, einen gewissen häuslichen Eindruck. Die wackeren Herren Postofficianten (vergl. Abbildung S. 465) kochen sich gemüthlich ihren Thee, bekanntlich das Lieblingsgetränk der Nordasiaten, und schicken sich an, auf dem improvisirten Tische, wenn wir die aus der Erde ausgebreitete Decke also nennen dürfen, ihre Mahlzeit einzunehmen. Wir fahren an ihnen vorüber und eilen rasch vorwärts – es eilt sich gut; denn die Steppe bildet den schönsten Fahrweg, da ihr fetter Boden keine Geleisespuren in sich aufnimmt und durch seinen Lehmgehalt wie eine dicke Gummidecke federt. Nach Ueberwindung der letzten Hügelkette leuchten uns zwei blendende Sterne entgegen, die auf einer grauen Masse sich erheben; es sind dies zwei blank geputzte Metallkugeln, welche, auf sieben Meter hohe Stangen gesteckt, vor dem Palais des Gouverneurs von Mai-ma-tschin prangen; etwas nach rechts ragt ein schöner schlanker Thurm einer russischen Kirche in die Lüfte. Die Kirche steht bereits auf russischem Boden, nämlich in Kiachta, doch sehen diese Grenzstädte der beiden Kaiserreiche aus der Entfernung wie eine Stadt aus, da zwischen ihnen nur ein Grenzraum von etwa 100 Schritt neutralen Bodens liegt. Kommen wir näher, so sehen wir allerdings, daß die russische Stadt zur Grenze hin von einem sehr primitiven grauen Holzzaun umgeben ist, während die chinesische nach der landesüblichen Bauart uns nur fensterlose Außenwände der Häuser und durch Schirme verdeckte Eingangsthore zeigt. Grenzformalitäten giebt es hier nicht; denn das russische Zollgebiet beginnt erst am Baikal, und da Thorwächter nicht den Eingang wehren, so können wir sofort die Stadt betreten.

Die Straßen sind so holprig und eng, daß zwei breitere Equipagen nicht an einander vorüber fahren können; am schlimmsten ist’s an den Kreuzungspunkten der Straße, die von den vielstöckigen, zierlichen chinesischen Thürmchen, mit den bekannten Glöckchen, noch mehr verengt werden. Auch nach der Straße zeigen uns die chinesischen Häuser keine Fenster, sondern nur große Hofthore, auf und über denen die Schilder und Inschriften prangen, und die grauen nackten Wände aus Ziegel, Lehm und Stroh, die von den gerippten, malerischen Dächern überwölbt sind; auf das Geräusch unserer Equipage stürzen aus allen Hofpforten kläffende Hunde chinesischer Rasse, die mit ihren kurzen Nasen äußerst putzig aussehen. Straßenleben existirt hier nicht – überall eine tödtliche Monotonie! In der Mitte der Stadt liegt die Citadelle, ein Quadrat, dessen Seiten etwa neunzig Meter lang sind, von einer vier Meter hohen, rothen Ziegelmauer umgeben, deren Krone weiß getüncht ist; das Thor ist verschlossen und keine Wache zu sehen. Halten wir an unseren europäischen Merkmalen fest, so werden wir überhaupt keinen Soldaten zu Gesicht bekommen; denn erst später wird es uns klar, daß die halbnackten mongolischen Reiter mit Bändern am Hute und dem Messer im Gürtel (aber ein solches führt jeder Mongole bei sich) eben die chinesischen Soldaten sind. Sechs wohlgezielte Granaten schmettern die Citadelle zu einem Schutthaufen zusammen, und ein Piquet russischer Soldaten mit Hinterladern bewaffnet kann schon einige hundert der mongolischen Reiter in die Flucht treiben.

Vor dem Palais des Gouverneurs Dsargutschei befindet sich der Tempel des Confucius und in dessen Vorhof – das Theater. Zu den großen Festen, wie am Neujahr, welches bei den Chinesen gewöhnlich in den Februar fällt, am Himmelfahrtstag aller Seelen der im Jahre Verstorbenen (im Sommer) etc., werden dort Vorstellungen gegeben, die sich durch viele Tage hinziehen. Entrée wird hier nicht gezahlt, um so billiger können wir uns das Vergnügen gönnen, dieses Theater zu besuchen. Die Bühne ist offen und auch die Zuschauer stehen unter freiem Himmel. Im Sommer geht es noch, aber im Winter bei dreißig bis achtunddreißig Grad Kälte! Heiliger Confucius, wie mögen da die Schauspieler und Zuschauer frieren!

Im Hintergrund der Scene sitzt das in der Regel fünf Mann starke Orchester. Zweisaitige Streichinstrumente, bei denen die Bogenhaare zwischen den Saiten liegen, klingen uns nicht recht melodisch; hölzerne und steinerne Platten, auf einem Dreifuße ruhend, dienen als Trommel; ein Gong (beckenartiges Instrument aus Metall) vervollständigt dieses gräßliche Ensemble. Die Damenrollen werden von Herren gegeben. Mit pathetischen Gesten und dramatischem Schritt bewegen sich die Darsteller; die Lieder werden in den höchsten Fisteltönen ohne Melodie vorgetragen, so, daß der angereiste Fremde, der zum ersten Male das Theater besucht, sich ängstlich umsieht, wer denn einer armen Katze so roh und consequent auf den Schwanz tritt, wenn ein beliebter Sänger plötzlich ein chinesisches Liebeslied intonirt.

Der Tempel ist nur an hohen Festtagen geöffnet. In der Mitte des Allerheiligsten prangt eine Kolossalstatue des Confucius; Beleibtheit gilt bei den Chinesen für Schönheit; darum ist auch dieser große Weise übermäßig dick, ebenso die beiden rechts und links neben ihm stehenden Göttergestalten; den Confucius ziert ein riesiger Schnurrbart, der natürlich schwarz ist, da bei den Chinesen keine andere Haarfarbe vorzukommen pflegt. Die Länge

des Bartes bezeugt den göttlichen Ursprung; denn bei den Chinesen

  1. Vergl. Nr. 6.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 464. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_464.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2022)