Verschiedene: Die Gartenlaube (1881) | |
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da während der Morgenstunden die gnädige Frau beschäftigt und nicht gern gestört sei. Am Ende gar eine Schriftstellerin? Dieser Gedanke war ihm unheimlich. Gleich den meisten naiven Männern schätzte er an der Frau nur das Unmittelbare; geistreiche Frauen „von Profession“ waren ihm unsympathisch. Was lag aber im Grunde hieran? Die Person der Burgherrin kümmerte ihn wenig. Mochte sie sich beschäftigen und geberden wie sie wollte. Die anheimelnde Burg, der gute Geist, welcher jedenfalls dort waltete und den er bereits mit Augen geschaut, die interessanten Kinder zogen ihn an.
Während er den moosigen Hügel erstieg, dessen Fläche die Ruinen und das Wohnhaus trug, kehrte volles Frohgefühl bei ihm ein, und es erschien ihm als gutes Omen, daß er schon von fern die beiden Kinder auf dem Rasenplatze vor dem eisenbeschlagenen Hausthor spielen sah. Kaum erblickten sie den Gast, als sie ihm zutraulich entgegenrannten. Ein riesiger Neufundländer, der auf der Schwelle gelagert, erhob sich majestätisch und richtete die klugen Augen auf den Fremden, als wolle er prüfen, ob solches Zutrauen auch verdient sei.
Im Geleite dieser Gesellschaft betrat Fügen wohlgemuth das Haus und vertraute sich ihrer Führung zur „Mutter“, Auf die Frage nach Mama hatte nämlich Siegmund den Kopf geschüttelt und energisch sein deutsch gewohntes Wort betont. Während der Gast Treppe und Flur überschritt, sah er sich nach Jana um, als sei es selbstverständlich, daß sie ihn einführe. Doch kam sie nicht zum Vorschein, und er mußte sich mit der Meldung begnügen, welche Maxi, während Siegmund, auf den Zehen erhoben, die Thür aufklinkte, unter dessen Arm im höchsten Discant ihrer hellen Stimme in’s Zimmer hinein rief:
„Der Richard kommt!“
Sie faßte nun den Knaben am Röckchen und jagte mit ihm davon.
Die Herrin des Hauses erhob sich; sie trat Fügen entgegen. Ihre Schönheit überraschte ihn so sehr, daß er im ersten Moment vergaß, sich zu verbeugen, und als er dies alsdann nachholte, geschah es ein wenig linkisch.
In der Art vollkommen schöner Menschen liegt etwas von der Einfachheit hervorragender Geister. Sie sind so daran gewöhnt auf Andere zu wirken, daß sie selbst nie an Wirkung denken, und somit den ersten frappanten Eindruck, den sie hervorgerufen, in reines Wohlsein auflösen Schönheit erfreut Jeden, auf den Künstler übt sie aber einen besonderen Zauber; es ist gleichsam, als würde sein auf das Ideal gerichtetes Bedürfniß momentan durch dessen Spiegelbild befriedigt; Fügen’s Lebensgeister hoben sich sofort um einige Grade, und sobald dieser naive Mensch sich gehen ließ, ward er ungemein liebenswürdig, „durchsichtig“ könnte man sagen, durchsichtig bis in sein ehrliches Herz hinein.
Noch waren zwischen Gast und Hausfrau nur wenige Worte getauscht, und schon war man über alle Präliminarien des künftigen Vertrages im Reinen. Das Bedenken Frau von Riedegg’s, daß man bei der isolirten Lage der Moosburg dort, was materielle Lebensbedürfnisse betrifft, sehr beschränkt und von Zufälligkeiten abhängig sei, machte Fügen wenig Sorge. Das seinige dagegen kam etwas zögernd zum Vorschein, und der Ausdruck seines Gesichts erhielt einen Anflug von Komik, während er sagte:
„Fräulein Jana wird nicht verschwiegen haben, daß ich zu Zweien einziehen würde?“
Die rasche Fingerbewegung, womit er sich deutlich zu machen suchte, war leicht in eine Cadenz zu übersetzen.
„Ein Flügel ist hier zur Disposition,“ sagte Genoveva, „und gern überlasse ich ihn einer Meisterhand. Es ist ein gutes Instrument, das unbenutzt steht, da ich selbst nur mit dem Ohr musikalisch bin. Betrachten Sie sich die Räumlichkeiten des zweiten Stockwerkes! Wenn sie Ihnen zusagen, Einsamkeit Sie nicht abschreckt und Sie mit ländlicher Bewirthung vorlieb nehmen wollen, sollen Sie willkommen sein. Für uns Frauen wäre es ein beruhigender Gedanke, für einige Zeit auf männlichen Schutz in dieser Abgeschiedenheit rechnen zu dürfen.“
Während sie sprach, horchte Fügen mehr auf das vollklingende Organ, als auf die Worte und betrachtete dabei den schönen Kopf vor ihm so arglos und anhaltend, als sei er ein plastisches Kunstwerk. Die elastisch reinen Züge verschönerten sich noch im Sprechen, aber dennoch schien darin etwas zu leben, was deren Verwandtschaft mit den Gebilden der Antike gleichsam wieder aufhob.
Darüber verlor er sich in ein Grübeln, das ihn die Antwort vergessen ließ, und gerieth in Verwirrung, als er einem etwas erstaunten Blicke begegnete. Vergeblich besann er sich auf ein passendes Wort; er hatte das innere Gleichgewicht verloren und wünschte sich weit weg. Da ging die Thür auf und Jana trat ein. Das Unbehagen, welches den Gast so plötzlich ergriffen, verschwand auf der Stelle. Er bot der schlichten, hellen Gestalt die Hand entgegen, wie einer uralten Bekannten, die man in der Fremde wiederfindet.
„O du guter Hausgeist!“ dachte er.
Wenige Tage später hatte der Musiker seine luftige Warte bezogen. Als er, von der Morgensonne geweckt, welche durch den herzförmigen Ausschnitt des Fensterladens in das nach Osten gelegene Schlafzimmer strömte, dort zum ersten Mal die Augen aufschlug, lachte er vor Behagen. Alles, worüber sein Auge hinschweifte, heimelte ihn an. Die großen bunten Blumen der Zitzvorhänge erschienen so farbig in der Sonnenbeleuchtung; die Ringe und Schlösser der alten ausgebauchten Kommoden und Schränke blitzten wie Gold. Selbst die aus Urgroßmutterzeiten stammende, aus allerlei Kattunstückchen zusammengesetzte Decke des fast viereckigen Bettes, in welchem sich der Erwachende behaglich dehnte, machte ihm Freude. Er drückte seinen buschigen Kopf in das Kissen zurück, staunte die Stukkaturen des Plafonds an und besann sich, ob es nicht wohlgethan sei, mit gleichen Füßen aus dem Bette zu springen, die Läden weit zu öffnen und all das Leuchten voll hereinströmen zu lassen – oder ob dies hindämmernde Wohlsein vorerst jeder Augenweide vorzuziehen sei. Er blinzelte mit den Augen und lachte lautlos in sich hinein, wie ein Kind, dem etwas gar Schönes gezeigt wird, wonach es nur die Hand auszustrecken brauchst. Und doch stand dieser Mann bereits auf der Neige der dreißiger Jahre, war durch manche rauhe Schule des Lebens gegangen, nicht arm an Erfahrungen und Enttäuschungen. Das aber gehört zum Wesen des Künstlers, daß lebenslang etwas vom Kinde in ihm lauscht, eine Frische, die ihn bei dem leisesten Anstoße die Augen weit öffnen, alles Neue mit Hochgenuß erfassen läßt. Solchem Sinne ist es gegeben, jedes einzelne Erlebniß, das Anderen für bloße Zufälligkeit gilt, als ganz eigens für sich erfunden und vom Schicksal zubereitet aufzufassen. Nicht selten giebt auch die Zukunft diesem Sinne Recht, und aus dem Körnchen, welches achtlos gesäet worden, keimt ein Baum hervor, dem Jahresringe anwachsen und der endlich über ein Schicksal schattet.
Richard Fügen war von Geburt ein Wiener. Melodien hatten bereits seine Wiege geschunkelt. Sein Vater, ein begabter, wenngleich kein genialer Künstler, war Orchestermitglied der kaiserlichen Oper, seine Mutter zur Zeit eine gefeierte Zerline und Funchon gewesen, hatte aber bald ihre Stimme verloren, und der brave Geigenstrich des Vaters gewann ihm auch im Laufe der Jahre keine bessere Stellung, als er schon in der Jugend errungen. Murrend und mit bitteren Klagen über erlittene Ungerechtigkeit verschwor sich Moritz Fügen hoch und theuer: sein Junge solle Kanzlist oder gar Handwecker werden, nur kein Künstler, der es lebenslang zu nichts bringen könne. Kaum hatten aber die Händchen des Knaben Kraft zu einer selbstständigen Bewegung, als sie sich schon nach der Geige ausstreckten. Es ging mit den Gelübden des Alten, wie mit allen in Liebesgrimm geschehenen Schwüren; sie schmolzen wie Schnee vor der Sonne, und so kam es denn auch, daß dem Vater das Künstlerherz in heller Freude zitterte, als er wahrnahm, daß die Träume seiner eigenen Jugend im Sohne Wirklichkeit zu werden versprachen. So viel hatten aber doch selbsterlittene Enttäuschungen vermocht, daß er darauf bestand, Richard müsse alle Schulclassen durchmachen, um nicht auf Musik als Broderwerb hingewiesen zu sein. Hörte er indessen, wie der Gymnasiast schon bei grauendem Morgen im Dachstübchen den Bogen ansetzte, um während der dem Schlafe entzogenen Stunden mit eisernem Fleiß zu üben, dann wurden dem alten Geiger die Augen feucht, ob er sich das gleich nicht merken ließ. Im Gegentheil ward der Vater von Jahr zu Jahr karger gegen den Sohn, nicht nur mit Lob, nein, mit Allem. Seit ihm die Frau bei Anlaß einer Epidemie rasch hinweg gestorben, wurde der alte Fügen fast zum Geizhals, begann Stunden zu geben und beschnitt seine Ausgaben
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_506.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)