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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

aufblitzte, bewies, wie viel sie von Welt und Menschen kannte, welchen weiten Horizont ihre Gedanken, selbst ihre Erfahrungen übersahen. Sie riß dann ihren Zuhörer hin und brachte in ihm selbst alles Feuer in Fluß; sein Auge hing bewundernd an dem unerforschlich schönen Gesicht, und doch fühlte er etwas wie eine unsichtbare Mauer zwischen sich und ihr. Alles, was er war, kam durch sie in Bewegung; den tiefsten Grundton seiner Seele schlug sie nicht an. Und doch hatte sie für ihn etwas Lockendes, als stünde er vor einem Waldwege, der sich in golddurchglühte Schatten verliert, wo man eindringen möchte, um zu schauen, wie es tief drinnen aussieht, ob auch da noch Sonnenfunken das Laub vergolden oder tiefes Schattendunkel vorherrscht.

Wenn Fügen an Genoveva dachte, wurde er ernst; dachte er an Jana, so lächelte er in sich hinein. Jana ward ihm zum Herzenstrost, wo und wie er sie immer sah. Der Instinct seiner Zusammengehörigkeit mit diesem harmonischen Wesen gestaltete sich ihm binnen wenigen Wochen zu einer Art Anrecht auf ihre Person. Zu diesem Gefühle in ihm mochte auch beigetragen haben, daß sie sich gleich anfangs sein „Fräulein“ verbeten und begehrt hatte, mit ihrem Taufnamen von ihm gerufen zu werden.

„Jeder nennt mich nur Jana,“ sagte sie, „ich bin und bleibe das Dorfkind, und mein Tirolerhütchen paßt für kein Fräulein.“

Das hatte ihm überaus gefallen, und seitdem trug er, wie er sich einmal scherzend äußerte, ein unsichtbares Halsband, auf dem der Name Jana stand. Der naive Vergleich war trotz seiner Kühnheit nicht ganz aus der Luft gegriffen; denn sobald der Musiker seine Zimmer verließ, folgte er Jana’s Spur. Er hatte beständig etwas mit ihr zu theilen, irgend ein Anliegen, worüber er mit ihr verhandeln mußte. Bei ihr waren fast immer die Kinder, mit denen ihn eine große Freundschaft verband und die des „Richard“ habhaft zu werden suchten, sobald sie seiner ansichtig wurden. Durften sie mit Jana hinab in’s Thal, zu nahen oder weiteren Gängen, dann entwischte zuvor gewiß eins oder das andere von ihnen und klopfte, allem Verbot zum Trotz, heimlich an seine Thür. Das hörte er immer gern, selbst wenn er mitten in der Arbeit war, und stand dann ganz unversehens mit seinem buschigen Kopfe, dessen Zustand sofort verrieth, daß er im Schaffen gestört worden, wanderlustig neben der sanft scheltenden Jana. Auf solchen Spaziergängen plauderte sich’s am besten. Das kleine Volk schwärmte voraus oder nebenher, von der Pflegerin nie einen Moment außer Augen gelassen, während Sinn und Ohr jedem Worte ihres Begleiters ebenso eifrig lauschte, als er ihre Reden hinnahm. Gerade die Mischung von Unerfahrenheit, ja Unwissenheit, mit feinstem Verständniß entzückte Fügen an ihr. Nicht umsonst hatte das kluge, von Natur gedankenvolle Mädchen seit Jahren in stetem Verkehr mit Genoveva gelebt; mit dem Instinct, welcher der weiblichen Natur so besonders eigen, hatte sie sich gerade nur das zugeeignet, was für sie paßte. Fügen meinte im Stillen, er sei nie zuvor so anziehender Mädchenhaftigkeit begegnet. Und wie hell und frei lag dieses junge Leben dem Auge offen! Ihr bis in den Grund der Seele zu schauen, schien ihm kinderleicht, und wenn plötzliches Erröthen oder Stocken verrieth, daß auch sie zuweilen etwas verschwieg, so wußte er, das galt der Herrin.

(Fortsetzung folgt.)




Um die Erde.[1]

Von Rudolf Cronau.
Erster Brief: Aus den Straßen New-Yorks.
New-York, im April 1881.

Gewiß haben Sie auf meine versprochenen Reisebriefe schon lange gewartet, aber lieber Herr Doctor, wenn man eine Wanderung um die Erde macht, so geht nicht immer Alles so glatt, wie man denkt. Man reist heutzutage so rasch und die Eindrücke drängen und thürmen sich uns so massenhaft entgegen, daß es geradezu unmöglich ist, von Allem Rechenschaft zu geben, was uns begegnet, und dann bedenken Sie: eine große Schwierigkeit liegt darin, aus der Fülle des Interessanten das Interessanteste herauszugreifen. Meine Reisebriefe werden daher von vornherein einen aphoristischen Charakter tragen, auch wird man billiger Weise von einem Wanderer, der flüchtig die Länder durchstreift, der heut eine Negerhinrichtung, eine Kunstausstellung und ein Narrenhaus, morgen Präsidenteninauguration und Klimafieber, dann wieder Carnevalssitzungen, Tabaks- und Guanofabriken durchzukosten hat, der heut von eines Kirchthurms höchster Zinne seinen Blick über das Städtegewühl schweifen läßt, morgen hingegen in’s Innerste der Erde hinabsteigt, um den Eigenthümlichkeiten irgend einer Höhle nachzuspüren – man wird von ihm die Schilderung tiefer liegender socialer Verhältnisse und politischer Zustände nicht verlangen.

Bunte Bilder sind’s, die ich Ihnen bringe, vielleicht darum interessant, weil sie mit Maleraugen gesehen wurden, welche die Dinge ja in einer eigenen Beleuchtung sehen sollen. So sei es denn – hinein in’s volle Menschenleben!

Der letzte Tag unserer Seereise war ein Feiertag, und die Erregung, die den Menschen befällt, sieht er der nahen Verwirklichung eines lang gehegten Wunsches entgegen, trieb mich aus der Enge meiner Cabine früh nach oben. Wir schwammen einsam auf weitem Meer; der Leuchtthurm von Fire Island, welcher uns in vergangener Nacht den ersten Gruß aus Neuer Welt geboten, war wieder im Spiel der Wellen versunken, oder er barg sich in der aschgrauen Dämmerung, die bleischwer im Norden und Westen herniederhing. Nur fern im Osten glimmte und glühte es, die einzelnen langgezogenen Wolkenstreifchen färbten sich mehr und mehr; bunter und bunter ward die Farbenscala des Himmels und durchlief alle Töne vom durchsichtigsten Grün bis zum tiefsten Blau, der Ocean aber wallte und wogte wie flüssiges Gold und spielte in tausend Schattierungen, durchwirkt mit allen Perlmuttertönen. Im Vorgrunde bäumten sich einzelne Riesenwogen; ihre Farben waren das tiefste Mineralblau; nur die Kämme zischten und sprühten wie geschmolzenes Metall. Unendlich wechselnd war das Schauspiel, am erhabensten, als sich das urälteste und größte Mysterium auf’s Neue vollzog und die glühende Sonnenscheibe wie eine feurige Insel dem Ocean entquoll. Und jetzt, inmitten dieser feierlichen Morgenstille, erklingt der Ruf: „Land – Land –“ den Lippen von tausend Passagieren, die schon längst den Blick starr und unverwandt gen Westen gerichtet hielten. Land! – wahrhaftig, da liegt es vor uns – lange, schwankende Contouren am Horizonte!

Amerika! Wie oft haben wir in der alten Welt staunend die Kunde von deiner Pracht und Größe vernommen! Deine undurchdringlichen Urwälder, deine endlosen Prairien und die abenteuerlichen Erlebnisse deiner ersten Ansiedler beschäftigen dort lebhaft die Phantasie des Knaben; die Thaten deiner Helden, die für die heilige Freiheit stritten und ihr zum Siege verhalfen, wecken ein Echo der Begeisterung in den Herzen der Jugend; die Schöpfungen deines Genius auf dem ruhmvollen Gebiete friedlicher Arbeit zwingen die Männer zur Bewunderung und spornen sie zur Nachahmung an. Wie von einer edlen Sage verklärt stehst du noch, eine gewaltige, märchenhafte Erscheinung, vor meiner Seele! Bald soll ich dich mit eigenen leiblichen Augen schauen, die Züge deiner vielgepriesenen Schönheit mit eigener Hand zeichnen. Wirst du das halten, was du mit lockendem Sirenengesange dem fernher Nahenden versprochen?

So dachte ich, am Bugspriet stehend und in die Ferne hinausschauend, während das Schiff in eiligem Fluge sich dem Gestade näherte.

Zwischen den Inseln Long Island und Staten-Island rasch hindurchfahrend, unterscheiden wir jetzt Hügel und Abhänge, Wald und Wiesen; anmuthige Villen grüßen uns von dem hohen Ufer. Der Reiz des Bildes steigt immer mehr; wir passiren eine Reihe


  1. Es ist uns eine besondere Freude, die längst angekündigten und mit Spannung erwarteten Schilderungen „Um die Erde“ nunmehr mit dem obigen „Ersten Briefe“ unseres seit Monaten die verschiedensten Landstriche Amerikas durchstreifenden Specialartisten eröffnen zu können. Die Sorge für künstlerische Herstellung der erst vor Kurzem in unsere Hände gelangten Cronau’schen Zeichnungen verbot uns eine frühere Veröffentlichung der farbenfrischen Texte, mit denen wir, zumal die Illustrationen ihnen den Reiz besonderer Anschaulichkeit verleihen, unseren Lesern etwas ungewöhnlich Fesselndes bieten werden. Die Redaction.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 508. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_508.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)