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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

von gewaltigen Befestigungen und nähern uns allmählich in steigender Erwartung dem alle Herzen lockenden New-York.

Noch verhüllen uns die langgezogenen Hügelstreifen den Anblick der Metropole, aber von fernher tönt es wie leises Summen – es ist das Leben der Riesenstadt, der die „Oder“, das prächtige Bremer Schiff, welches uns über den Ocean hierher getragen, im Schmucke aller Flaggen entgegenzieht.

Die Einfahrt in die Bai von New-York ist unvergleichlich schön. Aus der Ferne winken uns Masten, Essen und Thurmspitzen in buntem Durcheinander. Immer mehr werden der stolzen Dreimaster und Dampfer, die in Hunderten von Exemplaren an uns vorübergleiten und uns in ihrem bunten Flaggenschmucke in kurzer Zeit die Farben und Wappen fast aller Nationen des Erdballs entgegenführen. Zwischen den dunklen Kolossen der überseeischen Dampfer hindurch winden sich wie Wasserkäfer die zahlreichen Ferryboote, mit ihren über Deck befindlichen Maschinenwerken einen grotesken Anblick gewährend.

Sicher und gewandt setzt die „Oder“ mitten durch das bunte Gewirr ihren Lauf fort, und wir dampfen an der äußersten Spitze von Manhattan-Eiland vorbei. Ein unscheinbarer bastionartiger Rundthurm fällt uns zunächst in die Augen: Castle Garden ist es, wo die Steerage-Passagiere, die Millionen von Auswanderern zum ersten Mal den Fuß auf den Boden der neuen Welt setzen. Ueber die Baumgruppen, die das ausschließlich dem Auswandererthum gewidmete Gebäude umgeben, ragt der schlanke Thurm der Trinity-Church, ferner zeigen sich uns die Paläste des Stadthauses, der Post, des Telegraphenamtes, der „New-Yorker Staats-Zeitung“ und der „Tribüne“. Zur Rechten, zu Füßen der mächtigen Säulenpfeiler der East-River-Brücke, lagern die unübersehbaren Häusermassen von Brooklyn, während zur Linken die Städte Jersey-City und Hoboken den ganzen Raum bis zum Horizonte füllen. Ringsum sind die Riesenstädte mit zahllosen Docks und Hafendämmen umgürtet, in denen die schwarzen Leiber der transatlantischen Dampfer rasten; hier wehen die Wimpel der Bremer und Hamburger, dort die der englischen und amerikanischen Nation. Gleich zwischen die Docks schieben sich die Ausläufer der großen nach Norden und Westen führenden Eisenbahnen, der Pennsylvania-, Erie- und Hudsonbahnen. Immer farbiger und lebendiger wird das Bild, immer schneller der Wechsel, bis wir endlich an dem Hafendamm des „Norddeutschen Lloyd“ in Hoboken anlegen.

Wir sind in Amerika, in New-York; der Unterschied zwischen der Welt, die sich hier uns erschließt, und der Heimath ist überraschend; jeder Schritt, jede Straßenbiegung bringt uns Neues und Anregendes.

In New-York ist Alles interessant, wenn es uns auch nicht gleich in Allem befriedigt. Die Bauart der Häuser, das tiefe Roth der Backsteine, die Chocoladenfarbe der Braunsteinpaläste, die Unzahl der bunten Annoncentafeln geben dem Ganzen einen so besonderen Anstrich, daß man nicht müde wird, durch die Straßen zu flaniren, die unablässige, fieberhafte Thätigkeit von Broad- und Wallstreet zu beobachten oder in der fünften Avenue das Leben der eleganten Welt zu mustern.

New-York ist eine Stadt, die das Auge des Malers in hohem Maße befriedigt, ist entschieden interessanter als sämmtliche andere Großstädte des Ostens zusammengenommen, deren tödtliche Gleichförmigkeit sich von der dem Capitole zu Washington nachgeahmten City Hall an bis auf die unbedeutendsten Details, bis auf Straßennamen und Zimmerschlüssel erstreckt. New-York ist eine internationale Stadt; die Masse des Fremden-Zuflusses ist zu groß, zu mächtig, als daß ein einzelnes Element die Ueberhand zu gewinnen vermöchte; wir finden in New-York die Schablone der amerikanischen Großstädte nicht so scharf und unerbittlich ausgeprägt, wenn auch die ganze Anlage auf demselben Systeme beruht. Bekanntlich sind die meisten großen Städte der neuen Welt in Form eines Schachbrettes angelegt, der zufolge alle Straßen beiläufig dieselbe Breite, dasselbe Aussehen und auch dieselben Namen haben. Bezüglich der Regelmäßigkeit läßt also eine in solchen Häuservierecken erbaute Stadt nichts zu wünschen übrig. Freie Plätze (squares) wurden dadurch geschaffen, daß man an verschiedenen Stellen Häuservierecke (blocks) wegließ und den dadurch entstandenen Raum mit Anlagen, Springbrunnen und Monumenten versah.

Eine Eigenthümlichkeit, die uns ferner in die Augen fällt, ist der Umstand, daß öffentliche Gebäude, Kirchen, Theater, Museen und sonstwie hervorragende Prachtbauten, nicht wie in Europa mit großen freien Plätzen umgeben werden, um dieselben dadurch mehr hervortreten und auf das Auge wirken zu lassen. Es ist vielmehr ausschließlich üblich, dieselben in die Straßenfronten hineinzubauen und mit anderen Gebäuden zu umgeben. Dadurch werden die hervorragendsten Bauten erdrückt von der Last der sie umgebenden Alltäglichkeit und tragen trotz alles verschwenderischen Aufwandes, trotz der herrlichsten Materialien nicht eben viel zur Verschönerung bei. Nur die Straßenperspective gewinnt dadurch; die Häuserreihe erhält eine angenehme Unterbrechung; das Straßenbild wird malerischer, interessanter, zumal eine Mannigfaltigkeit bezüglich der Formen zu Tage tritt, die staunenerregend wirkt. Zwar den künstlerischen, den architektonischen Werth der Mehrzahl amerikanischer Prachtgebäude dürfen wir nicht kritisch untersuchen. Nirgend auf der Welt sind die Stilarten biegsamer als hier, und manchmal sind drei, vier Stilformen zu einer einzigen glücklich zusammengeschweißt.

Von einem eigentlichen Promeniren in den Straßen New-Yorks ist nicht die Rede; Alles drängt und schiebt sich durch einander; willenlos sieht sich der Wanderer von dem Strome fortgerissen, um ebenso willenlos in irgend einer anderen Straße an den Strand gesetzt zu werden. Die Trottoire sind erfüllt von einer unübersehbaren Menschenmenge; durch die Fahrwege ziehen endlose Processionen von Fuhrwerken aller Art; hier sucht die prächtige Carosse eines Eisenbahnkönigs sich durch das Gewühl der schwerbeladenen Frachtwagen zu winden; dort tragen Omnibusse und Pferdebahnen ihre Passagiere in tollem Jagen zu ihren entlegenen Zielen, über unseren Köpfen aber donnern und brausen die unzähligen Züge der Elevated Eisenbahn, alle besetzt mit eiligen Menschen, die von einem Ende der Riesenstadt zum andern hasten. Tausende und aber Tausende von Telegraphendrähten ziehen sich von einer Straßenseite zur andern, entweder von haushohen, mastbaumstarken oder von kleineren, auf den flachen Dächern der Häuser angebrachten Telegraphenstangen getragen. Quer über die Straßen sind Drahtseile gespannt, an denen in den ungeheuerlichsten, auffallendsten Darstellungen die Namen von Restaurants, Geschäftshäusern und Vergnügungslocalen baumeln. Die Häuser selbst sind mit Firmentafeln und Aufschriften über und über bis in die höchsten Stockwerke bedeckt, und jede Ecke, jeder Winkel ist mit einer Annonce versehen, was dem Straßenbilde ein eigenthümlich lebhaftes und geschäftiges Aussehen verleiht.

Alles, Alles ist Geschäft – wir, die wir nichts zu thun haben, sind in diesem Leben wie verloren. Tausende eilen in der Minute an uns vorüber; Keiner hat Zeit, uns anzusehen, und nur den Parasiten des Straßenlebens bilden wir einen Zielpunkt ihrer Aufmerksamkeit; der Fruchthändler kommt mit seinen Florida-Orangen und Bananen, mit seinen Feigen, Nüssen und californischen Trauben, der Zeitungsjunge mit seinem „New-York Herald“, der schwarze Stiefelputzer, der keinen ungeputzten Stiefel in den Straßen New-Yorks leidet, mit seinem Wichskästchen. Ueberlassen wir unsere Fußbekleidung den Liebkosungen des Letzteren, so haben wir unterdeß Gelegenheit, auch das uns umgebende Publicum uns anzusehen, den Plakatenmann, der auf seinen vorn und hinten am Halse befestigten Anzeigetafeln der leidenden Menschheit Hühneraugentinctur und Frostbalsam, Brustthee und Insectenpulver empfiehlt. Kein Volk der Welt ist reclamesüchtiger, als das amerikanische; keine Zeitung der Welt, außer „New-York Herald“, kann sich rühmen, 170 bis 180 Spalten Annoncen in einer Tagesnummer ihres tischtuchgroßen Blattes zu bringen. Alles, Alles ist Reclame in Amerika, und die Mittel und Wege dieser Reclamen sind wunderbar. Haben wir hier das 50 Fuß hohe Bauwerk einer Brooklyner Möbelfabrik angestaunt, welches auf einem mächtigen, mit riesengroßen Annoncen bedeckten Postamente eine große, sich beständig drehende sternenbesäete Kugel, auf dieser wieder eine die ewige Rundreise mitmachende, alle Concurrenz zusammenschießende Kanone trägt, haben wir ferner die häuserhohen Theaterplakate oder die Kühnheit eines Gondelfabrikanten angestaunt, der in seinen Schaufenstern ein halbes Dutzend fast nackter Kerle dazu anhält, dem draußen zahlreich versammelten Publicum durch tagelange Ruderübungen die Leichtbeweglichkeit seiner Gondeln plausibel zu machen, haben wir uns weiter über die ewige Wiederkehr von Fisher’s „blue balls“ auf jedem zweiten Schornsteine geärgert – so vermögen die zahlreichen, auf’s Abenteuerlichste herausgekleideten Plakatenmänner uns kaum noch zu rühren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_510.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)