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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


weil Schreck vor dem Gewaltigen die gesunden Nerven der Seele kräftige und jene tiefsten Regungen belebe, die unter den Alltagseindrücken im Schlummer bleiben und so allmählich verkümmern. Was da vom Drama gefordert wird, legt uns das Leben ganz ungefordert auf, ob mir uns nun davor wehren oder nicht: und da dürfte es schon für das Ertragen gar nöthig sein, daß man auch von jenem Anderen, nicht blos vom Lachen weiß. Aber welcher Mensch wüßte nur davon, kaum ein Kind! Sie haben mit Absicht übertrieben, um Ihre Schauer vor dem See –“

„Sie irren durchaus!“ fiel Else ein. „Vor der Hand mindestens habe ich keine Spur von Sinn für die Leiden der Welt. Ich habe in Königsberg genug gelitten, nicht wahr, Dorette?“ Sie sah sich um – ihre Schwester war verschwunden. Sofort in tiefer Befangenheit aufstehend, rief sie nach der Thür des Nebenzimmers: „Doris!“

Förster trat rasch auf sie zu und bat, seine Hand aus die ihrige legend:

„Lassen Sie Ihre Schwester! Ich glaube Ihnen ja. Ob es überhaupt Etwas gäbe, was ich Ihnen nicht glauben würde, Fräulein Else? Wo mein Verstand selbst nicht mitwollte, dürfte das Herz sehr tyrannisch werden können. O, Sie ahnen nun schon, weshalb ich heute gekommen bin? Ich fühle es an dem Beben Ihrer Hand – und darf ich wirklich hoffen? Else! sprechen Sie ein Wort!“

Sie wandte den Kopf noch weiter ab: jetzt mußte gesagt werden, was so kalt war. Wohl bloßer Egoismus, wie es auch Doris genannt? Doch nein! Wollte sie bleiben, was er gestern als sein Höchstes hingestellt halle, die Frohnatur, die an Allem, was ihn betraf, lebendig Theil nahm, ihm das Schwere erleichterte, das Schöne doppelt schön machte, so durfte sie nicht fortdauernd das Häßliche vor Augen haben – sein Kind. Und hatte sie nicht auch eben gehört, wie er ihr Alles glauben müßte? So trat sie einen Schritt zurück und sagte mit zitternder Stimme:

„Ihren Wunsch muß ich ahnen, weil Doris davon zu mir gesprochen hat, und – –“.

„Und –?“ .

„Sie hielt das für nothwendig, da ich gestern – behauptet hatte –“.

„Was? – Was?“

„Ich könnte mit Rudi – niemals zusammenleben.“

Sie hatte die letzte Worte heftig herausgestoßen, und stand nun da – bleich und leblos wie eine Statue.

Ueber Förster’s Gesicht zuckte etwas hin: war es bloßes Weh oder ein Auflachen des Hohns? Dabei faßte er nach dem Tische und stützte sich auf denselben. Kein Laut unterbrach die Stille – für einen Moment lebte Nichts in dem Zimmer als die Blicke der Beiden, und die sprachen schon kaum noch von Liebe, nur von Trotz und Stolz. Else wuchs gleichsam unter diesen Blicken; Förster stützte sich nicht mehr und fragte nun sogar mit einer Art von Verbindlichkeit:

„Was Sie gestern behauptet haben, gilt natürlich auch heute noch?“

„Ja!“

„Und was verstehen Sie unter diesem Zusammenleben? Schon die bloße Anwesenheit des Kindes im Vaterhause? Vergeben Sie, wenn ich so ausführlich bin; das Gespräch scheint Sie zu quälen –“

„Ich fühle mich nur müde; gestatten Sie, daß ich mich setze!“

Sie nahm auf dem nächste Stuhl Platz.

„Nur müde!“ sagte Förster langsam. Dann fuhr er, starr auf Else blickend, fort: „Es ist wohl die Pflicht des älteren Mannes, keine Unklarheit bestehen zu lassen, wenn er so weit gegangen ist, wie ich. Sie haben mir noch nicht geantwortet.“

Else sah zu ihm empor.

„Ob die bloße Anwesenheit des armen –“

„Bei meinem besten Willen,“ unterbrach sie hastig. „ich vermöchte es nicht, dieses immerwährende Leiden mit anzusehen. Ich würde selbst krank dabei; nichts von dem, was Ihnen an mir Freude machte, wie Sie gestern sagten – nichts könnte ja bleiben. Wie sollte ich in einem Hause lachen können, wo mich immerfort Etwas marterte?“

„Die Gewohnheit, das Muß ist eine grausame Lehrerin –“

„Nicht für mich!“ rief Else. „Ich bin nicht zur Geduld geschaffen; ein Krankenzimmer macht mich schon leiden, und ich will nicht leiden. Jeden Augenblick brauche ich meine liebe Sonne: nur in ihr bin ich, wozu ich glaube bestimmt zu sein. O , und es darf Frauen geben, die ihren Platz neben dem Manne suchen, mit ihm streben und vorwärts gehen, die nicht blos ihren kleinen Lebensberuf darin finden, für sein Haus zu sorgen. Dazu sind seine Dienstboten.“

„Im Krankenzimmer – Dienstboten? Muß ich Sie an all die edlen Fürstinnen erinnern, die für ihr Liebstes –“

„Für ihr Liebstes!“ fiel sie wie bestätigend ein.

„Sie haben ganz Recht,“ entgegnete er mit halber Verbeugung. „Das heißt darin Recht, einen unbegründeten Anspruch zurückzuweisen: nur mir ist das Kind etwas Liebstes.“

„Ich glaube,“ flammte Else auf, „Sie können einfach sagen, überhaupt Ihr Lieb–“ sie stockte und sah, glühend roth geworden, zu Boden.

„Else!“ rief Förster in erschütterndem Tone. „Um Gotteswillen , Fräulein. Else ! Ich darf nichts von dem vergessen, was ich eben gehört habe: und das ist Schweres, läßt sich nicht beschwören wie irgend ein Vorurtheil, weil es mit uns verwachsen ist – tief, allzu tief!“ Er strich sich über die Stirn; dann fuhr er wie in Selbstironie fort: „Früher gab man uns körperliche Thaten zu Ehren der Geliebten auf; heute werden seelische gefordert. Ob sie leichter zu vollbringen sind? Nun! Der Augenblick wenigstens soll über nichts entscheiden – dazu stehen wir wohl zu hoch: und vielleicht fänden Sie auch – nach einem Tage der Sammlung, meine ich – daß Sie zu Schweres gefordert?“

Sie blieb regungslos. So sagte er denn nur leise, indem er sie noch einmal schmerzlich ansah:

„Leben Sie wohl!“

Die Thür war bereits hinter ihm zugegangen, als Else mit einem krampfhaften Aufschluchzen ihren Kopf in den Händen verbarg.


(Fortsetzung folgt.)




Edelweiß.

Eine Betrachtung über die Natur der Straußbildnerin.
Von Carus Sterne.

Unter allen Blumen der Welt ist wohl keine zweite, an deren Erlangung soviel Muth und Kühnheit gesetzt würde und deren verlockender Reiz schon soviel Menschenleben vernichtet hätte, wie das viel umworbene, vielbesungene Edelweiß unserer Alpen. Allein in den Umgebungen von Berchtesgaden, an den herrlichen steilen Ufern des Königssees sind demselben 1879 bis 1880 binnen Jahresfrist vier Menschenleben zum Opfer gefallen, und zwar handelte es sich dabei in keinem Falle um im Klettern ungeübte, mit den Gefahren der Berge unbekannte Touristen, sondern um Einheimische, die das Edelweiß theils zum Verkauf, theils als Schmuck für ihren Hut suchten. Fremde würden dem nämlichen Geschick wahrscheinlich noch häufiger verfallen, wenn sie es nicht in der Regel vorzögen, dieses Wahrzeichen der höheren Regionen, das Abzeichen der Gipfelbezwinger, drunten im Thale zu kaufen.

In der Ebene bildet man sich nicht selten ein, daß diese Blume eine förmliche Liebhaberei besitze, nur an den gefährlichsten Orten, an den steilsten Abhängen und auf den schroffsten Klippen zu wachsen, sodaß sie, einer Loreley unter den Blumen vergleichbar, ihre Verehrer geradezu in’s Verderben locke und überhaupt von Niemand anders als gemsengleich kletternden Hirtenbuben und gefeierten Steigern zu erlangen sei. Dies ist aber keineswegs der Fall. Das Edelweiß ist vielmehr in einer Höhe von über sechstausend Fuß auf Kalkunterlage eine sehr verbreitete Blume, und ich habe sie z. B. im Heuthal am Berninapaß und am Strehlapaß an Oertlichkeiten gesammelt, welche auch nicht die leiseste Gefahr darboten. Das Verhältniß ist vielmehr so, daß diese Blume, eine nahe Verwandte unserer Katzenpfötchen und Sand-Immortellen, an allen Orten, wo ein bedeutender Fremdenverkehr und demnach auch eine gesteigerte Nachfrage nach derselben ist, aus den zugänglicheren Plätzen gänzlich ausgerottet ist, sodaß sie sich eben nur noch an

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_656.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)