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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

schließlich, die Aufkündigung ihrer Freundschaft androhend, gleichsam den Revolver auf die Brust. Ein echt charakteristisches, durchaus aber nicht einzig dastehendes Stück solcher Unverschämtheit ist der bekannte Brief des Menschen, durch den der jetzige Präsident, das Muster eines Ehrenmannes, auf den Tod verwundet wurde, in welchem er um den Gesandtschaftsposten in Wien nachsuchte, besonders hervorhebend, daß durch ihn, der im Begriffe stehe, eine reiche Erbin zu heirathen, die amerikanische Nation jedenfalls „würdig“ vertreten sein werde. Eine zweite, von demselben Attentäter verfaßte Note, an den Secretär Blaine gerichtet, trägt noch mehr den Stempel bodenlosester Unverfrorenheit und widerlicher Vertraulichkeit. Sie lautet:

„Lieber Blaine! Garfield überläßt die Geschichte gänzlich Ihren Händen. Er setzt das vollste Vertrauen in Ihre Discretion. Wenn Kasson Wien nicht verlassen will, so will ich auf meinem Gesuch um seine Stelle nicht weiter bestehen. Ich begnüge mich mit dem Generalconsulat in Paris.

Ihr
Charles J. Guiteau.“

Ein Washingtoner Journalist berichtet sogar von einer sehr wohlhabenden Dame, die ganz einfach dem Präsidenten schrieb:

„Ich verlange von Ihnen den Platz in Brüssel für meinen Mann.“

So bereitet der Ruhm, an der Spitze der amerikanischen Nation zu stehen, wie jede Auszeichnung, dem Träger desselben manche bittere Enttäuschung; denn kaum auf irgend etwas läßt sich das Wort: „Wer bauet an der Straße, der muß sich meistern lassen“, besser anwenden, als auf die Stellung eines Präsidenten der Vereinigten Staaten. Er hat einen harten Stand gegenüber der Oeffentlichkeit, besonders aber gegenüber seinen politischen Gegnern. Für alle Fehlgriffe, die während seiner Administration von den Beamten begangen werden, wird er verantwortlich gemacht, und die Organe der feindlichen Partei befleißigen sich bei derartigen Gelegenheiten eines Verdammungsstiles, der ohne Gleichen und an dem nur das wunderbar ist, daß er nicht schon mehr Menschen den Kopf verdreht und nicht mehr ruchlose Subjecte zu politischen Verbrechen verleitet hat.

Das „Weiße Haus“ in Washington.
Nach einer Photographie auf Holz übertragen.

Kann es unter solchen Umständen verwundern, daß es einige Staatsleiter gegeben hat, die sich während ihrer Amtsdauer aller Zeitungslectüre enthielten?

Endlich kommt aber der Tag, an welchem der Präsident, nachdem er vier Jahre hindurch das Staatsschiff durch Sturm und Ungewitter geführt, seinen Ehrenposten einem Nachfolger einzuräumen hat. Der Tag des Abschiedes vom „Weißen Hause“ ist sicher der melancholischeste im Leben des Präsidenten, nüchtern und kalt; der Jubel des Volkes draußen, er gilt nicht ihm; er gilt dem neuen Präsidenten. Sein Einfluß ist erloschen; Niemand beachtet ihn mehr; spurlos, ohne irgend welche Auszeichnung taucht er in das Meer der Allgemeinheit zurück. Von dieser Regel giebt es nur seltene Ausnahmen, und diese gelten nur Männern, welche sich um die Größe des amerikanischen Volkes in hervorragender Weise verdient gemacht haben.




Mutter und Sohn.

Von A. Godin.
(Fortsetzung.)
27.

Als Margarita Seeon am 20. März die Augen aufschlug, war sie siebenzehn Jahre alt geworden. Das Geburtstagskind blinzelte den Tag an, der zum unverhangenen Blumenfenster hereinströmte, lachte plötzlich vor sich hin und huschte aus dem Bette. Die erste Morgentoilette junger Mädchen wird gewöhnlich flink abgethan, heute nahm sich Margarita aber Zeit. Nebenan im Erkerzimmer, das noch zu ihrem eigenen Bereich gehörte, gingen Schritte aus und ein; das weckte ihr eine Stimmung, wie die eines Kindes am Weihnachtsabend; sie summte eine Melodie, während sie das kastanienbraune Haar in zwei dicke Zöpfe flocht und aufnestelte. Inzwischen war bereits ein funkelneues Negligé von weißem Wollenstoff mit lichtblauen Aufschlägen entdeckt worden. Wie kam das nur herein? Gestern Abend beim Schlafengehen war nicht die Spur davon vorhanden. Sie schlüpfte in das weiche Gewand, welches sich der fein aufgebauten Gestalt kleidsam anschmiegte, eilte dann zum Fenster und ließ so viel Morgensonne und kühle Morgenluft herein, als da wollte. Heute konnte es gar nicht frisch und hell genug sein.

Drunten lag der Garten, an Wiesenland grenzend, das ein heller Bach durchfloß. Schon waren einige warme Tage über das Land gegangen, noch hatte aber die Sonne der schlummernden Erde keinen grünen Keim entlockt. Die Erlen am Saume des Baches entfalteten aber schon ihre dunkelrothen Kätzchen. Im Garten war in aller Frühe der Springbrunnen von seiner Winterhülle befreit worden, und nun warf er seinen Tropfenbüschel der Sonne zu, welche ihn wie in voller Neuheit blitzen ließ. Hoch in der blauen Luft jubelte die Lerche.

Margarita drückte ihre kleinen Hände in einander und sagte ganz leise:

„O Gott, wie geht es mir doch so gut!“ Das war heute ihr Morgengebet; es flog der Lerche nach, gerade in das Himmelblau hinein. Nun begann das Mädchen lieblich zu singen: Schumann’s Lied vom Sonnenschein.

Ein leiser Finger klopfte an ihre Thür.

„Fertig?“

„Gewiß, Mama!“

Das Kind flog an der Mutter Hals. Ottilie ließ den Sturm von Liebkosungen ungehemmt über sich ergehen; der Reiz dieses Jugendübermuthes, all das Freie, Schöne, Gute, das ihr aus den glücklichen Augen ihres Kindes entgegenleuchtete, berührte sie warm. Sie betrachtete ihre Tochter, als sei diese erst über Nacht erblüht, und bei diesem Mutterblick färbte das leicht bewegliche Blut die zarten Wangen tiefer. Margarita glitt mit einer ihrer vogelleichten Bewegungen auf die Kniee und küßte feurig der Mutter Hand.

„Auf!“ sagte die Gräfin und strich leicht über die glänzenden Flechten; „der Geburtstagstisch wartet. Willst Du nicht schauen, was Dir bescheert ist?“

Das junge Mädchen blickte zögernd nach der Thür:

„Papa?“

„Hat Dienst und kann erst gegen Mittag zurück sein; er wollte nicht, daß Dein Tischchen so spät erst gedeckt würde. Komm nur!“

Sie zog des Mädchens Arm in den ihren und führte sie nach dem Erker des zierlich ausgestatteten Mädchenzimmers. Breite Palmenblätter, leichte Akazienzweige nickten über den Tisch hin, den ein dicker Kranz umgab. Margarita’s Augen blitzten in heller

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_688.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)