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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 42.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.


Das Krüppelchen.
Erzählung von Karl Theodor Schultz.


(Schluß.)


„Da thue ich, als ging’ es nach Brasilien, und es sind nur drei Meilen,“ sagte Frau Förster, indem sie im Packen fortfuhr.

„Ja, solche Alten!“

Der Sohn, welcher ihre Hand noch festhielt, erwiderte:

„Und meinst Du, mir würde es leicht? Besinne ich mich bei all dem Glück einmal auf das, was gewesen, so werde ich die Empfindung eines – Unrechts nicht los.“

„Sprich mir so was nicht!“ fiel sie zärtlich ein. „Wenn Du dabei an mich denkst, so habe ich Dir schon neulich gesagt, daß davon keine Rede sein kann. Und selbst Rudi! Nun, da der Hans am Vormittag seine Stunden hat, überhaupt ganz beim Candidaten wohnen soll, bliebe das Kind sehr allein. Du hast keine Zeit für ihn; die junge Frau müßte sich doch auch erst einleben; er ist wirklich bei mir am besten untergebracht. Im Herbst fangen wir mit seinen Stunden an, für die Zukunft aber? Du weißt, auf fünfundzwanzig Jahre hinaus mag ich nicht sorgen. Und nun das Bräutigamsgesicht gemacht! Hier die Falten fort, wieder Dein altes Lachen! Gerade so will ich Dich in Erinnerung behalten. Ach, es sind aber und dürfen ja auch nur Gedanken sein, wie sie beim Abschied kommen und mit ihm gehen! Die Mutti hört dergleichen wohl und denkt sich das Ihrige – Jemand anders dürfte es nicht hören. Unrecht? wenn die Hochzeit schon bestimmt wird! Seid Ihr gestern denn einig geworden?“

„Ja!“ versetzte Förster lebhafter. „Diesmal ist mein Wille durchgedrungen: es wird nun doch Anfang April. Ende des Monats würde uns auch für Italien zu spät. Aber Hemmingens lassen es sich nicht nehmen, die Hochzeit auszurichten.“

„Im Ganzen ist das ja nur natürlich. Und da braucht hier mit Nichts geeilt zu werden. bis Juli läßt sich Alles bequem einrichten. O, dann ist keine Sorge. Die vier oder fünf Wochen hast Du nun aber zu thun. Wie gut also, daß ich fest war – schon jetzt zu gehen. Es kann wenigstens mit dem Tapeziren angefangen werden. Willst Du wirklich morgen schon sehen, wo wir geblieben sind?“

Er nickte. „Ich bespreche auch gleich alles Nöthige mit dem Baurath.“

„Ja, man wird Burgsdorf kaum wiedererkennen,“ sagte sie wie mit leisem Bedauern.

„Gefallen Dir meine Pläne nicht? Wünschest Du irgend Etwas anders?“

„Nichts, Bernhard,“ erwiderte sie rasch. „Es ist Alles ja so wohl überlegt und wird sich auch vortrefflich machen. Mein Seufzer galt nur dem Gewesenen: mit Deinem Vater, mit Dir! Ich war sehr glücklich in den alten Räumen. Doch wir vergehen ja – welches Recht also hätte unsere Umgebung, fortzubestehen?“

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür; höchst aufgeregt, mit ganz rothen Bäckchen trat Rudi aus die Schwelle und rief mit von Thränen erstickter Stimme: „Jetzt haben sie mein Bettchen genommen.“

„Lieber Rudi!“ wehrte die Großmutter ab, indem sie erschrocken auf den Sohn sah.

Das Kind, welches den Ausdruck von Tadel in ihrer Betonung empfinden hatte, besann sich auch sofort, was es unterlassen, und sagte, indem es eilig aus den Vater zustapfte: „Guten Morgen, liebes Vaterchen!“

Dieser küßte es ungestüm. „Wo hast Du denn eigentlich immer gesteckt?“

Rudi sah die Großmutter an, dann den Vater – wischte sich dabei die Tropfen aus den Augen und erwiderte nun energisch: „Du hast ja wo anders gesteckt. Ich bin blos hier gewesen. Und wenn ich zu Dir kommen wollte, hat mich die Großmutter nicht gelassen. Du hast ja sehr viel zu arbeiten gehabt – ja! Das hat sie immer gesagt. Jetzt komm’ aber – sie haben es gewiß schon im Wagen.“

Frau Förster wollte mit ihm gehen; er ließ sich jedoch nicht beruhigen und rief schließlich in einer Erregtheit, der man es anhörte, daß die Thränen bereits wieder im Anzuge waren; „Ich will blos heute noch mit meinem lieben Vaterchen gehen.“

Sein Vaterchen mußte das rührend finden; denn er willfahrte ihm, und Beide zusammen gingen nun, um zu sehen, wo das Bettchen untergebracht war. Das stand zu Beider Zufriedenheit; Rudi wollte nun aber bei dem Aufladen bleiben, hatte bald in den Zimmern, bald am Wagen sehr Wichtiges zu zeigen, und Förster vermochte es nicht, sich heute von dem Kinde vergeblich um etwas bitten zu lasten. Sie gingen zuletzt auch durch die Ställe; der kleine Landwirth hatte alle möglichen Thiere in sein großes Herz geschlossen, und von allen mußte er Abschied nehmen. Daß sein Vaterchen in solchem wichtigen Augenblicke bei ihm war, schien ganz selbstverständlich.

So wurde es Elf; der Möbelwagen war bereits fort und der elegante Landauer angespannt. Die Aussicht, in seinem Lieblingswagen zu fahren und gar nach der Stadt, bewog dann Rudi freilich, sobald der Landauer heranrollte – jeden Trennungsschmerz vor der Hand unnöthig zu finden. Ganz in derselben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 693. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_693.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)