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Seite:Die Gartenlaube (1881) 707.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Ich muß Dir etwas sagen. Denke nie an mich – ich gönne sie Dir.“

„Was gönnst Du mir?“

„Sie – Margarita! Ich sah Euch heute beisammen stehen; da wußte ich es auf einmal; gerade da schautest Du Dich nach mir um. Nachher bist Du nicht wieder in ihre Nähe gekommen, vielleicht nur, weil Du mir nicht wehe thun wolltest. Das darf aber nicht sein, und deshalb wollte ich Dir heute noch sagen, daß ich sie Dir gönne, gleich Allem.“

Da legte Siegmund die Hand auf seinen Arm.

„Einen Augenblick noch!“ sagte er; „Du irrst. Margarita Seeon kann niemals mein werden, Max; das ist es, was ich seit heute weiß. Gute Nacht!“

Die Freunde tauschten einen Händedruck; dann schieden sie.

„Auch das noch!“ dachte Siegmund. Nie hatte er des Freundes Huldigung für Margarita anders betrachtet, als wie vorübergehende Schwärmerei. Nun wußte er: auch dieser gute Mensch liebte und litt. Die eben vernommenen Worte trieben ihm das Blut in die Wangen, als er ihnen nachsann. Was Max für ganz selbstverständlich hielt: daß er bereit gewesen, eigenen Ansprüchen auf Liebesglück zu entsagen, nur um dem Freunde nicht wehe zu thun, wäre ihm, für den stets nur Alles oder Nichts galt, niemals in den Sinn gekommen. Und es überkam ihn mit schmerzlicher Bitterniß, wie fern er gerade heute jeder Gelegenheit stand, solchen Großmuth zu üben. Gräfin Seeon hatte deutlich gesprochen. Keine Illusion war hierüber möglich!

Und doch begriff er sie nur halb, begriff wohl ihre Meinung, nicht ihre Handlungsweise. Warum beharrte sie darauf, mit ihm zu verkehren, während sie offenbar seine nähere Beziehung zu Margarita durchschaute und nicht dulden wollte? Weshalb entfernte sie ihn dann nicht lieber ans ihrem intimeren Umgangskreise? Trotz der Güte, die sie ihm bisher erwiesen, war doch die Dauer, der Charakter des Verkehrs der hochgestellten Frau mit ihm, dem jungen, alleinstehenden Officier, nicht der Art, um demselben einen Werth für sie zu geben, den sie höher anschlug, als eine Herzensgefahr für ihre Tochter. Trotz der Schranke, die ihr Wort ihm heute unübersteiglich gezogen, trotz der Ueberzeugung, die sie hegen konnte, ihn fortan diese Schranke einhalten zu sehen, mußte diese kluge Frau wissen, daß solche Gefahr für ihr Kind bestand. Anderen Sinn konnte ihr Appell an ihn nicht haben. Es gab also etwas, das ihn wichtig genug für sie machte, um ihn nicht fallen lassen zu wollen. Wieder trat der furchtbare Gedanke vor ihn hin, den zu denken er stets als Sünde und Schmach empfand, und wuchs und wuchs. Es mußte so sein; er trug einen Namen, auf den er kein gesetzliches Recht hatte; die Gräfin wußte darum – wahrscheinlich hatte sein Vater ihr nahe gestanden, und der Antheil, den sie ihm gewährt, beruhte von Anfang an auf Mitleid.

Bei dieser Vorstellung bäumte sich die stolze junge Seele schmerzlich in ihm auf. Margarita’s Bild wich zurück; das bisher über Alles geliebte Bild seiner Mutter allein schwankte vor ihm her, aber kaum erkannte er es noch. Seine nagenden Zweifel entstellten die leuchtenden Züge.

Als Siegmund sein Zimmer betrat, traf sein erster Blick einen ans dem Tische liegenden Briefe. Jeder Blutstropfen drängte sich ihm zu Herzen; da war, was er Tag um Tag so fieberisch erwartet hatte. Er zögerte, das Siegel zu erbrechen; ihm war, als sei sein Wohl und Wehe hier eingeschlossen. Das Blatt, welches er endlich hervorzog, war nur auf einer Seile beschrieben.

„Paris, 6. April 1867.
Mein theurer Siegmund!

Dein Brief gelangte erst heute in meine Hände. Du verlangst Alles zu erfuhren, was Dich angeht, und ich gestehe Dir dieses Recht zu, Dennoch erbitte ich zunächst noch Deine Geduld. Ich behielt mir eine Mitteilung, welche uns Beide betrifft, nur bis zu einem bestimmten Termin vor, der, wenn nicht Alles täuscht, jetzt nahe ist.

Gräfin Ottilie Seeon betreffend, antworte ich Dir: Ja die Familie dieser Frau ist uns nahe verwandt. Mir ward von deren Haupt einst unwürdig begegnet. Da Ottilie hieran nicht persönlich betheiligt war, untersagte ich Dir nicht einen Verkehr, der Dir jetzt erwünscht ist und für Deine Zukunft werthvoll sein kann. Welcher Grund auch Deine Fragen dictirte, halte Eines fest: ertrage Nichts von dieser Seite! Bald erhältst Du volle Aufklärung; dann, mein geliebter Sohn, sehen wir uns wieder. Darnach sehnt sich noch heißer als Du

Deine treue Mutter Genoveva.

Richte Deinen nächsten Brief nach Paris, poste restante!“

Siegmund versank in tiefes Sinnen, ohne nur zu merken wie Stunde nach Stunde verrann. Als der Tag graute, war sein Entschluß gefaßt, nach Paris zu reisen und seine Mutter Auge in Auge um sein Leben zu befragen.




29.

Der von Lieutenant Riedegg zur Regelung einer Fanlilienangelegenheit nachgesuchte vierwöchentliche Urlaub war von seinem Regiments-Commandeur bewilligt worden. Mit der Gewißheit, seine Mutter nach wenigen Tagen zu sprechen, kehrte mehr Ruhe in Siegmund’s Gemüth zurück.

Der Reisepaß war ausgefertigt, der Koffer gepackt; Siegmund wollte mit dem Nachtzuge abreisen. Im Laufe des Nachmittags begab er sich nach der Commandantur, um den Damen Mittheilung zu machen und sich zu verabschieden. Der Gang fiel ihm nicht leicht, war aber unerläßlich.

Als er den Portier fragte, ob die Gräfin daheim sei, antwortete dieser zu seiner Ueberraschung:

„Excellenz ist mit dem Mittagszuge nach Riedegg abgereist, einer Erkrankung des alten Herrn Grafen wegen. Soll ich den Herrn Lieutenant bei der Frau Präsidentin melden? Comtesse Margarita ist auch zu Hause.“

Siegmund zögerte einen Moment; dann übergab er dem Manne seine Karte mit dem Bemerken er wolle unter solchen Umständen nicht stören. Im Begriffe zu gehen, besann er sich, ließ sich die Karte zurückstellen und nahm den Bleistift aus seinem Notizbuch, um ein p. p. c. beizufügen, Ehe er damit zu Stande gekommen war, öffnete sich die Thür des kleinen Parterresaales, in welchem sich die Damen am Tage aufzuhalten pflegten, und Margarita erschien auf der Schwelle.

Als sie den jungen Mann erblickte, flog ein rosiger Hauch über ihr Gesicht; sie machte eine Bewegung, auf ihn zuzugehen, blieb dann stehen, öffnete die eben hinter sich geschlossene Thür und forderte ihn durch eine leichte Handbewegung zum Eintritte auf. Er folgt, sprach aber nicht; eine herzklopfende Erregung überkam ihn, als er sich mit der Geliebten, die er hatte meiden wollen, so unerwartet allein sah. Beide standen sich einige Augenblicke wortverlegen gegenüber, bis das junge Mädchen plötzlich die Augen erhob und treuherzig sagte:

„Wie lieb, daß Sie kommen!“

„Ich fürchte nur zu stören.“

„O nein, ich bin so froh, Sie zu sprechen, auch der Tante, die gleich herunter kommen wird, ist Ihr Besuch gewiß recht angenehm. Sie ist etwas verstimmt; ich glaube, es ist ihr nicht besonders erwünscht, mit mir allein hier zu bleiben.“

„Ich hörte eben – Sie erhielten unerfreuliche Nachrichten?“-

„Heute in aller Frühe kam das Telegramm vom Arzt des Urgroßpapas, der recht krank zu sein scheint. und er ist schon so alt! Mama hat gleich an Papa telegraphirt; seine Antwort traf zum Glück noch ein, ehe der Mittagszug abging. Er will in Kufstein mit Mama zusammentreffen und dann reisen Beide weiter nach Riedegg. Tante Seeon versprach ihre Abreise aufzuschieben und bei mir zu bleiben, bis die Eltern zurückkommen Es thut mir so leid, daß ich nicht mit Mama reisen durfte. Nun erlebt sie vielleicht Trauriges, und ich bin nicht bei ihr.“

Die lieben Augen füllten sich mit Thränen. Siegmund ward von der weiblich zarten Empfindung, die aus ihren letzten Worten klang, von der Blässe, welche heute auf ihrem Gesichte lag, tief gerührt. Ihn überkam die Ahnung, wie schwer dieses innige Gemüth, das bisher nur Freuden kannte, an seinen ersten Schmerzen tragen, wie leicht ihr Lachen verstummen konnte. Und es schmerzte ihn, jetzt von ihr zu gehen. Aus dieser Empfindung heraus antwortete er:

„Und ich, Comtesse Margarita, werde spät erfahren, wie Sie diese trüben Tage des Alleinseins verleben; denn auch ich stehe im Begriff abzureisen. Nach einigen Stunden schon.“

„Sie gehen fort wohin?“

Unverhohlener Schreck lag in ihrem Tone.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 707. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_707.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)