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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Onkel, sich mit dem Gedanken auszusöhnen, daß ich Ihnen die Last hier abnehme –“

„ja wohl, mein Sohn, und das Geld auch. Den blauen Teufel will ich Dir thun –“

„– und zu bedenken,“ fuhr der Andere fort, „daß ich im Auftrage des Gesetzes hier bin, welches keinen Widersprach duldet. Es soll meine Aufgabe sein, Ihnen das so wenig wie möglich fühlbar zu machen.“

„Kurzum, mein Sohn, ich will nichts davon wissen, und wenn Du meinen Wagen brauchst, dann sag’s dem Jochen! Er weiß den Weg nach Demmin. Adschüs auch!“

Der Alte gab dem Rappen einen Schlag und ritt in raschem Trabe davon. Er gewährte mit der hochgebauschten Mütze, den langen, fliegenden, grünen Rockschößen und den weit vom Pferde abstehenden kurzen Beinen einen grotesken Anblick.




4.

Curt von Boddin hatte dem alten Baron eine Weile finster nachgesehen. Jetzt brach er in ein kurzes Lachen aus, indem er sich anschickte, den nach dem Gute führenden Weg weiter zu verfolgen.

„Er ist ein completer Narr. – daran ist kein Zweifel,“ sagte er laut; „rein verrückt; er hat wahrhaftig die ernste Absicht, eine kleine Privatrevolution auszuführen. – Aber nein – das ist ja nicht möglich; dieses große Kind müßte denn nicht wissen, welchen Unannehmlichkeiten es sich aussetzt, wenn es den Widerstand ernstlich nimmt. Vielleicht gewährt es ihm eine kindliche Genugthuung, mir zuerst einen Affront bereitet zu haben. Ich gehöre nur eben nicht zu den affrontablen Leuten und möchte kurzen Proceß machen. – Indeß – hm! – Ich will doch Alles thun, um einen Familienskandal zu verhüten. Hätten wir lieber sonst Jemand hierher geschickt! Wir Teterower sollen ungeduldige Erben sein, weil wir uns der Sache annehmen! Im Grunde: der Schein spricht ein wenig gegen uns; wenn wir jetzt das Gut ausbessern geschieht es auf Kosten des Onkels; später hätte es Papa auf seine eigenen besorgen müssen. Der Alte ist am Ende wirklich nicht so dumm. – Ach was, er wird sich zureden lassen, und im Nothfalle muß mir Cousine Lebzow helfen; sie hat ja, wie der Mann gestern Abend sagte, so großen Einfluß auf ihn. – Nur keine lange Verzögerung! Ich muß unterkommen, muß sorgen, daß mein Ansehen unter den Leuten nicht geschädigt wird; sie sind im Stande, den Widerstand des Onkels zu unterstützen. Der Statthalter Drewes sieht mir ganz darnach aus.“

So gingen die Gedanken Curt’s, indeß er sich mit raschen Schritten dem Gute näherte. Als er unweit des Gartens den Einblick in den Hof frei hatte, verlangsamte er das Tempo plötzlich: er sah ein rothes Tuch leuchten, und die es trug, war Anne-Marie von Lebzow. Es war offenbar das nämliche Tuch, welches er heute früh im Garten gefunden hatte.

Der Vetter betrachtete sie ein Weilchen vom Gartenzaun aus. Sie hatte einen großen Hund, eine Art Bernhardiner, bei sich, der, mit kurzem Gebell sich aufrichtend und wieder niederfallend, um sie herumspielte, während sie selber mit anmuthiger Bewegung das Spiel lenkte. Es war ihm peinlich, sich ihr nähern zu müssen; wenn so rücksichtslose Naturen wie Curt von Boddin, wirklich einmal das Gefühl der Beschämung empfunden haben, werden sie an dieser einen Stelle sensitiv. Abbitte zu thun, das war ihm unmöglich; nur der Zufall könnte versöhnen, im Falle drüben die feindliche Stellung gegen ihn festgehalten wurde. Vielleicht war es das Beste, er knüpfte ein Gespräch wegen des Onkels mit ihr an; das war sachlicher Boden, das Interesse Dritter, an dem sie Beide Antheil nahmen; das ergab eine geschäftliche Verhandlung, bei welcher die gegenseitigen persönlichen Beziehungen einstweilen in den Winkel gestellt wurden; möglich, daß die ganze Nachwirkung des gestrigen Tages in diesem Winkel stehen blieb.

Curt von Boddin nahm den Strohhut ab, machte innerlich und äußerlich Geschäftsstimmung und schritt auf das junge Mädchen zu.

„Guten Morgen Cousine Lebzow! Darf ich Sie bitten mir für eine wichtige Angelegenheit Gehör zu schenken? Beiläufig: wie geht es Ihrem Fuße?“

Anne-Marie schrak heftig zusammen als diese Stimme plötzlich neben ihr klang; dann nahm sie rasch einen kalt abweisenden Ausdruck an, neigte den Kopf ein klein wenig und sagte mit Betonung:

„Beiläufig: ich danke Ihnen, Herr von Boddin; wie Sie sehen, erträglich. Ich danke Ihnen auch für die Rettung meines Tuches und für das Compliment, welches Sie mir mit demselben übersandten. Im Uebrigen wüßte ich nicht, was wir geschäftlich zu verhandeln hätten.“

Das war ja eine richtige Kriegserklärung. Curt verzog indessen keine Miene, so unbehaglich ihm auch zu Muthe war.

„Genehmigen Sie, daß wir für unser Gespräch die paar Schritte in den Garten hinüber thun? Ich würde Sie wahrhaftig nicht bemühen, wenn Sie nicht ernsthaft an Dem betheiligt wären was ich Ihnen – zu sagen habe. Im Garten sind wir am ungestörtesten, denke ich.“

Anne-Marie sah ihn befremdet an und wurde ein wenig roth.

„Wie Sie wünschen!“ meinte sie endlich. „Komm, Dana!“

Sie griff in das weiß- und schwarzgefleckte Fell des Hundes, der ihr indeß unter den Händen wegschlüpfte und bellend durch die Gartenthür vorausschoß. Anne-Marie hatte sich vorgenommen, sehr vornehm auszusehen; ihre Haltung war gegen gestern völlig verändert. Allein sie führte noch immer keinen Sonnenschirm; diesen Triumph hätte sie dem „Unverschämten“ um keinen Preis gegönnt, dem es nicht einmal einfiel, ihr die Gartenthür zu öffnen, und der doch an ihr zu erziehen wagte. Der „Unverschämte“ schritt hinter ihr drein.

„Im Arme getragen habe ich sie doch – die kleine Zornige da,“ dachte er.

Im Garten, im klaren Frühsonnenschein, wartete sie, bis er neben ihr ging.

„Jetzt bitte! Ich bin ganz Ohr.“

„Sie kennen die Verhältnisse, welche mich hierher geführt haben, Fräulein von Lebzow?“

Anne-Marie nickte. Nun nannte er sie nicht mehr „Cousine“, und das freute sie. Je fremder er sie behandelte, desto mehr war sie vor „Unverschämtheiten“ sicher.

„Ich bin also gesetzlich autorisirt, gesetzlich – beachten Sie das wohl! – hier zu wohnen, die Uebergabe der Gutsverwaltung durch den Onkel zu verlangen, die Bewirthschaftung fortan zu leiten, die Erträge zu empfangen und zu verrechnen. Der Onkel bekommt eine Summe, von der er hier anständig leben kann, die freie Naturalverpflegung, soweit sie das Gut liefern kann, außerdem. Ich gestehe offen, daß ich mit der Absicht herkam, nicht viel Umstände zu machen; ich habe gegen alles Ungeregelte, gegen dieses Sichgehenlassen in den barocksten Einfällen und Launen, dieses Verwüsten und Verschlendern, welches als originell belacht wird und doch nur den Ruf und die Zukunft unseres Standes untergräbt, einen tiefen Widerwillen. Indessen bin ich soweit bekehrt, daß ich die möglichste Rücksicht üben werde.“

„Weshalb sagen Sie das Alles mir?“ fiel Anne-Marie mit leichter Ungeduld ein, während sie ein wenig spöttisch die Lippen aufwarf. „Ich hatte gestern bereits die Ehre, Einiges von Ihren Ansichten über Originale zu hören.“

„Ich habe Sie zum letzten Male damit belästigt, gnädiges Fräulein. Ich sprach auf dem Wege hierher Onkel Boddin und muß nach seinen Aeußerungen annehmen, daß er entschlossen ist, meine Mission einfach zu ignoriren. Er will mir das Gut nicht übergeben; er verweigert mir sogar die Aufnahme in dieses Haus.“

„Da müssen Sie sich schon mit ihm zu benehmen suchen Herr von Boddin; ich habe in diese Sache nichts drein zureden.“

„Aber begreifen Sie doch: wenn dieser alte Mann unverständig genug ist und hartnäckig bleibt, so bin ich gezwungen, die Hülfe der Behörde in Anspruch zu nehmen. Das giebt einen öffentlichen Skandal. Und gesetzt, daß er, was ihm immerhin zuzutrauen ist, es auf Gewalt ankommen läßt, wird die Blamage noch größer; er setzt sich gerichtlicher Bestrafung aus. Das muß verhindert werden, und Sie müssen dabei helfen.“

Curt war stehen geblieben; er hatte fast heftig gesprochen und sah finster aus. Anne-Marie bückte sich seitwärts zu einem. Resedabeete nieder und brach einen Stengel.

„Ich verstehe von diesen Dingen nichts,“ meinte sie zögernd, indem sie sich aufrichtete. Sie hatte nicht den Muth, ihn anzusehen. „Vielleicht reden Sie selber noch einmal mit dem Onkel, oder wenden Sie sich an Herrn von Pannewitz ans Branitz, der sein Vertrauen genießt!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_759.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)