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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

ebenso haßte er auch das Unfertige, das Unvollendete. Er war darin nicht strenger gegen seine Arbeiter, wie gegen sich selbst. Es dauerte lange, bis er sich und den Anforderungen, die er an eigene Schöpfungen stellte, völlig Genüge gethan. Dafür liefert die Entstehung seines großen Tafelwerkes das beredteste Zeugniß; denn nachdem man ihn schon zur Publication desselben aufgefordert, arbeitete und feilte er noch acht Jahre daran, ehe er es der Welt vollendet vorzulegen wagte.

Wohl durfte man mit Wilhelm Weber zuversichtlich erwarten, daß ein so geschickter und findiger Experimentator, wie Herger, wenn ganz der Wissenschaft ergeben, noch vielerlei in der Physik erforschen, manch neuen Erscheinungen auf die Spur kommen werde, allein, ob Herger’s ausgesprochener Trieb, das Neugefundene nun auch allemal künstlerisch darzustellen, bei der wesentlich mathematischen Richtung der heutigen Physiker die verdiente Würdigung gefunden hätte, ist mehr denn zweifelhaft.

Mit Recht hat sich Herger dem freien Berufe eines Gärtners zugewandt, und anstatt dies zu beklagen, sollte man sich darüber vielmehr freuen; denn daß er hier, im freien Reiche des lebendig Schönen, für neuschaffende Thätigkeit, wie für künstlerisches Walten einen geeigneten Schauplatz gefunden, das hat ja die Folge bewiesen.

G. Hüfner.     




Zur Geschichte der öffentlichen Leihhäuser.

Millionen Kranker finden alljährlich in den öffentlichen Krankenhäusern Heil und Pflege; Millionen fleißiger Arbeiter legen von Woche zu Woche ihre Ersparnisse in den öffentlichen Sparkassen nieder; Millionen Kaufleute benutzen tagtäglich die zahlreichen Wechselbanken, aber diese Millionen Menschen gehen in diesen für die Cultur so wichtigen und unentbehrlichen Anstalten aus und ein, ohne zu wissen, wie dieselben entstanden, und ohne zu ahnen, welcher Kämpfe und Umwälzungen es bedurfte, bis alle diese Werke der Vorsorge und Humanität zur allgemeinen Anerkennung gelangten. Jahr aus Jahr ein drängen sich auch in den düsteren Räumen der öffentlichen Leihhäuser schaarenweise die „Enterbten der Gesellschaft“, all die Armen und Elenden, welche das harte Unglück schwer geprüft hat, oder die ihr eigener Leichtsinn unter die Proletarier sinken ließ, aber in den breiten Volksmassen weiß kaum einer, wie und wann das Leihhaus, diese große Creditbank der Unbemittelten, begründet wurde, und so dürfte ein Blick auf die Geschichte des Leihhauses hier von einigem Interesse sein.

Das für den Handel und Wandel so überaus wichtige Creditwesen hat selbst in unserer fortgeschrittenen Zeit keineswegs eine endgültige Regelung gefunden. Noch vor Kurzem bildeten reine Creditfragen den Gegenstand eifriger Agitation in den weitesten Volksschichten und das Ziel heftiger Kämpfe im deutschen Reichstage. Die Beschaffung eines gesunden Credits für die große Masse der kleinen Gewerbetreibenden wird noch heutzutage von dem auf Selbsthülfe beruhenden Genossenschaftswesen angestrebt, welches mit gegnerischen Principien manchen harten Strauß auszufechten hat. Creditfragen bewegten auch tief das volkswirthschaftliche Leben früherer Jahrhunderte, und mitten unter den heftigsten Zuckungen socialer Gestaltungen des Mittelalters wurde die Idee des Leihhauses geboren.

Abgesehen von geringen Ausnahmen, war in der alten Welt das Creditgeschäft unzertrennbar mit dem Pfandleihgeschäfte verbunden, das heißt, wer damals Geld borgen wollte, der konnte eine Anleihe nur gegen die Stellung eines Unterpfandes erlangen, und diese Ordnung der Dinge ging auch auf die sich neugestaltende christliche Welt über. So verpfändeten im Mittelalter weltliche und kirchliche Fürsten ihre Kronen und Insignien, die Städte ihre Ländereien und Stifte, die Ritter ihre Rosse und Rüstung, die städtischen Patricier ihre Kostbarkeiten und die Handwerker ihre geringfügigen Werthsachen. In dieses Geschäftsleben brachte nun die christliche Kirche eine zwar ideale und menschenfreundliche, aber durchaus unberechtigte und daher auf die Dauer unhaltbare Neuerung hinein: sie verbot den Christen das Zinsennehmen, da es dem Geiste der christlichen Lehre widerspräche, und gestattete es nur den Juden, um deren Seelenheil sie sich nicht kümmerte.

Dieser widersinnigen Gesetzgebung hatte man denn auch zu verdanken, daß das Pfandleihgeschäft bald fast ausschließlich in die Hände der Juden überging und ein Privilegium derselben wurde. Was in Folge dessen geschah, ist allgemein bekannt: die Juden wurden reich, und die fanatisirte Volksmenge suchte durch die berüchtigten Judenverfolgungen sich ihrer Schulden kurzer Hand zu entledigen. Später ersann man noch ein königliches Privilegium der Schuldencassation, welches in der Regel die Städte dem Könige abkauften. Auf Grund eines solchen Privilegiums mußten die Juden die sämmtlichen in ihrem Besitz befindlichen Pfänder und Schuldscheine der städtischen Behörde abliefern, und auf der Magistratur durften dann die Schuldner ihre Pfänder gegen die Hälfte oder ein Viertel der den Juden zugesagten Schuld einlösen, welche Summe die Stadtbehörde für sich behielt, während die Juden bei diesem Handel leer ausgingen.

Aber alle diese radicalen Maßregeln halfen wenig zur Besserung der socialen Zustände. Kaum hatte man die Juden aus der Stadt gejagt, so machte sich bald die Nothwendigkeit des Credits für den Gewerbetreibenden fühlbar, und die „Geldleute“ wurden wieder in die Stadt geladen. Der Wucher wurde alsdann selbstverständlich von Neuem und um so ärger getrieben.

Unter solchen Kämpfen und gewaltsamen Erschütterungen der Rechtszustände reifte allmählich die Erkenntniß, daß man das Creditbedürfniß auf andere, billigere Weise befriedigen müsse und daß das aus idealen Gründen erlassene Verbot des Zinsennehmens in das praktische Leben nicht gut hineinpasse. Laut und offen durfte zwar diese Meinung nicht hervortreten: denn das Verbot war dogmatischer Natur, und – der Scheiterhaufen drohte. Mit der Zeit wurde jedoch die Kirche mit diesem widersinnigen Dogma selbst fertig; denn um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts kam ein angesehener italienischer Franziskanermönch und Arzt, Barnabas Interamnensis, auf den Gedanken, eine öffentliche Anstalt zu begründen, in welcher auf Pfänder Anleihen gegeben wurden. Die Idee an und für sich war nicht neu; denn schon im heidnischen Rom hat der Kaiser Augustus aus den dem Staate anheim gefallenen Gütern der Verbrecher eine Casse errichten lassen, in welcher Jeder, der den doppelten Werth versetzte, umsonst Geld leihen konnte.

Aber Barnabas Interamnensis hatte bei der Ausführung dieses Planes mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen, als die römischen Kaiser. Wiewohl die Beschaffung des nöthigen Anlagekapitals dem feurigen Prediger, der an die Nächstenliebe der Reichen appellirte, leicht gelungen war, so sah er wohl voraus, daß die von ihm geplante Anstalt bald eingehen müßte, wenn in derselben das Geld umsonst vorgeschossen würde. Die Unterhaltungskosten der Anstalt müßten ja alsdann in wenigen Jahren das gesammte Anlagecapital verschlingen. Doch der gebildete Mönch wußte auch, daß die Dogmen vor dem heiligen Stuhl zwar unwiderlegbar, aber mit guten Gründen wohl dehnbar sind, und er eröffnete getrost das erste Leihhaus zu Perugia mit der Bestimmung, daß diejenigen, welche aus der Anstalt Geld auf Pfänder liehen, soviel an Gebühren zahlen müßten, wie die Unterhaltung der Anstalt kostete.

Gegen diese Neuerung erhob bald der den Franziskanern feindlich gesinnte Dominikanerorden eine Anklage vor dem heiligen Stuhl. Da wußte Barnabas den Papst zu überzeugen, daß die Gebühren keine Zinsen seien, sondern nur eine gerechte Zahlung von Seiten derjenigen, welche die Vortheile der Anstalt genössen und welche dadurch auch verpflichtet wären, die Unterhaltungskosten derselben zu decken; im Uebrigen wäre sein Unternehmen nur ein Werk der Nächstenliebe und dem Geiste des Christenthums durchaus entsprechend.

In Rom war man überhaupt froh, aus der unerquicklichen und unhaltbaren Angelegenheit des Zinsenverbots auf diese Weise endgültig herauszukommen, und der Papst ertheilte dem neuen Leihhause seinen Segen. Durch die Predigten der Franziskanermönche wurden diese Leihanstalten bald in Italien verbreitet und unter dem Namen montes pietatis (fromme Banken) allgemein bekannt.

Während auf diese Weise in den romanischen Ländern die Leihhäuser als ein Resultat socialer Kämpfe gewissermaßen öffentlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 783. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_783.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)