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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

von Pannewitz! Ein Gänseblümchen, ein Nichts – „Mein Gott, mein Gott – –“

Der Flammenschein des Kamins lief geschäftig über das hübsche bleiche, weinende Gesicht; wie die braunen Augen in die lodernde Gluth starrten, lag eine Trost- und Hoffnungslosigkeit in ihnen, als gäbe es für dieses junge Herz keinen Himmel mehr, weder hier noch drüben.

„Julklapp!“

Die Stube Curt von Boddin’s war von seiner Arbeitslampe erhellt; er saß, die Hände in den Schooß gelegt, lächelnd vor dem Schreibpult und schien heimlich durch die Nachbarwände horchen zu wollen. Der Wurf durch die nur handbreit geöffnete Thür störte ihn auf. Was war doch das für eine Stimme? Die Hausthür mußte offen stehen; denn schwere Schritte flüchteten ohne Anstand auf den Hof hinaus und verhallten nach dem Garten zu. Auf das Kommen dieser Schritte hatte er nicht geachtet; die Leute, welche drüben nach seiner Entfernung noch weiter getrunken hatten, waren seither noch heraus und hinein gegangen.

Er hob das zierliche Päckchen auf; wer hatte seiner gedacht? Die Scheere schnitt den Faden durch, und aus dem ganzen Dutzend von Papierhüllen kam ein Photographierahmen zum Vorschein.

Aber ein reizender Rahmen, und eine weibliche Handarbeit dazu: schwarzer Sammet, von sehr kunstfertiger Nadel mit Edelweiß und Vergißmeinnicht bestickt. Er lachte in sich hinein.

„Diese Schelme von Branitz! Sie haben doch gemerkt, daß ich ihnen die Photographie entführt habe, und da habe ich den Wink mit dem Zaunpfahl – nein, nicht! das ist häßlich gesagt. Dafür ist dieser Rahmen zu allerliebst und die Idee zu sinnig. Ich muß mich revanchieren; ich werde ein Vielliebchen mit ihnen essen, und sie werden es gewinnen. Das ist ja eine süperbe Arbeit!“

Er nahm eine Photographie aus seinem Album und steckte sie in den Rahmen.

„So!“ sagte er, „man muß seinen Feind immer im Auge haben.“

Es klopfte. Rasch legte er den Rahmen umgekehrt auf den Tisch. Dürten kam herein.

„Das schickt das gnädige Fräulein.“ „Bleiben Sie, Dürten!“

Es waren die Sonnenschirme, die Handschuhe, auch die beiden Zettel, welche dazu gehörten. Sie fielen aus einem Briefbogen, auf dem von Anne-Marie’s Hand geschrieben war:

„Mein Herr!

Sie werden nicht den Muth haben, die Zurücknahme dieser Gegenstände und ihre Aushändigung an Leonore und Hedwig von Pannewitz zu verweigern. Thäten Sie es, so würde ich die Sachen einfach verbrennen. Was Sie einst über mein Herz und meine Gemüthsart äußerten, gebe ich Ihnen zurück; wir sind quitt.

Anne-Marie von Lebzow.“

Curt las – einmal, zweimal. Endlich hob er das Gesicht zu Dürten auf:

„Sie können gehen.“

Er legte den Brief hin; er las die Zettel.

„Nun,“ kam – es bitter zwischen den zusammengepreßten Lippen hervor, „das muß ich sagen: geschickter hätten diese jungen Damen die Sache nicht angreifen können. Sie sollten nichts thun, als Rahmen sticken.“

Bei Anne-Marie drüben saß der alte Baron auf dem Phantasiestuhl mit der goldgezierten Lehne, und vor ihm kniete Anne-Marie; sie hatte den Arm auf sein Knie gelegt, und darauf den strohblonden Kopf, der noch immer thränenmüde in die Flamme blickte. Zuweilen schluchzte sie leise auf. Der alte Herr machte ein halb wüthendes, halb verlegenes Gesicht; manchmal strich er ihr über den Kopf und sagte dazu mitleidig: „Mein armes Anne-Marieken! Na so’n verfluchter Kerl!“

Plötzlich fing der Flügel in Curt von Boddin’s Zimmer zu klingen an; leise, aber durch die Zwischenwand doch vollkommen verständlich, ertönte jenes zauberhafte As-Dur-Nokturno von Chopin, aus dem ein süßes, weinendes Mädchengesicht taucht mit einer unsäglich rührenden Trauer. Nie hat stilles, hoffnungsloses Weinen einen erschütternderen und herzzereißenderen Ausdruck in Tönen gefunden, als hier. So keusch ist diese Klage, so jugendlich weich; sie steigt von tränenfeuchtem blüthenweißen, spitzenbesetzten Kissen; der Mond scheint in das stille Zimmerchen, und draußen singt eine Nachtigall. Diese weißen Röckchen da haben vielleicht erst ihren dritten Ball mitgemacht. Ein „Warum?“ für das Schicksal ist der Anfang und Ausgang, und dazwischen steht eine kleine rührende Geschichte, die sehr, sehr traurig ist. Aber man stirbt nicht an ihr

Der alte Baron knurrte, und dann polterte er auf:

„Was hat der Kerl auch noch Musik zu machen? Morgen laß ich Jochen nach Demmin fahren, er soll mir eine Harmonika kaufen –“

Zwei weiche Mädchenhände schlossen ihm den Mund.

„Still! ach still!“

Er murrte noch leise einen Moment; dann schwieg er. Anne-Marie’s Kopf lag regungslos auf seinem Knie, und regungslos saß auch der Baron. Der Geist des Schönen schwebte mit sanftem Flügel über der Gruppe, und Anne-Marie van Lebzow fühlte sein Wehen kühlend auf den heißen Wangen und bis in das heiße Herz hinein. –

Das war der Christabend auf Pelchow.

Am ersten Feiertag fuhren der Baron und Anne-Marie zur Kirche, diesmal nicht, wie sonst, auf dem alten Wägelchen. Der Schnee war so dicht und fest, und der hübsche Schlitten so verlockend; er sah weiß aus, mit blauen, goldgefaßten Streifen und einem Schwanenbug, und Herr von Pannewitz konnte ja nichts für das, was Leonore und Hedwig gethan. Sie wollte ihm aber schreiben, daß sie nicht kommen könne, um sich zu bedanken; denn diese Beiden hätten sie zu tief gekränkt; sie würden wohl selber nicht erwarten, daß sie käme. Aber voll tiefsten Dankes wären sie für den Schlitten und für die Mühe, welche die gnädige Frau mit dem Besorgen der Geschenke sich gegeben. Sie beide würde sie immer lieb behalten.

Curt fuhr nicht zur Kirche; er verschob es bis aus den andern Festtag, wie er es denn überhaupt vermied, gleichzeitig mit Onkel und Cousine in Langsdorf zu sein.

Aber er fuhr auch aus – nach Branitz. Nach Tische probirte Anne-Marie den neuen Anzug an; sie errötete vor dem Spiegel; denn sie hatte ein Gefühl, als sei sie allzu hübsch darin. Das da war eine Prinzessin, aber nicht Anne-Marie von Lebzow. Und doch wuchs sie dann hinein. Sie war gerade in der Stimmung, in ihrem Stolz einen Halt zu suchen; so nahm sie denn ihre Schlittschuhe und ging auf den Teich vor dem Gutstorweg hinaus. Dort war eine glatte, wenn auch nur mäßig große Bahn, und auf der Bahn wußte sie Jochen mit einem Stuhl. Kinder standen in der Nähe, und sie vernahm Ausrufe kindlichen Entzückens über ihren Anzug. Selbst Jochen verzog sein apathisches Gesicht zu einem Schmunzeln. „Ist ’ne Pracht!“ sagte er.

Sie ließ sich melancholisch lächelnd die Riemen zuziehen und fuhr nun. Bald sammelten sich Dorfleute am Ufer, welche ihr zusahen. Da kam es ihr plötzlich vor, als nähere sich fernes Schellengeläut, und sie lauschte betroffen. „Nur nicht die Branitzer!“ sprach sie für sich. „Nur um Gotteswillen nicht Leonore und Hedwig, etwa weil ich ihnen eine Kleinigkeit als Julklapp habe werfen lassen. Aber das können sie nicht wagen.“ Sie hatte eine Todesangst vor peinlichen Scenen. Ein Wagen und ein Schlitten bogen um die Holzung drüben; nur ein Blick darauf, und das Blut drängte sich ihr zum Herzen: Hedwig und Leonore saßen im Schlitten, Heer von Pannewitz mit Curt im Wagen. Es schwindelte sie.

„Halt!“ rief es drüben. Und: „Wir fahren mit, Anne-Marie!“ scholl es vom Schlitten her.

Herr von Pannewitz und Curt stiegen aus; die Mädchen hielten die Schlittschuhe hoch und sprangen in den Schnee. Anne-Marie aber nahm alle Kraft zusammen, fuhr zu Jochen und sank auf den Stuhl.

„Mein Gott, warum kommen sie?“ hauchte sie mit geschlossenen Augen. „Ich mochte sie nicht wieder sehen!“

Die Schritte der Mädchen waren dicht bei ihr. „Gehe mal ein Ende bei Seite, Jochen!“ commandirte Hedwig. „Anne-Marie, bist Du uns wirklich böse? Dein Vetter Curt hat uns die bittersten Vorwürfe gemacht Es war doch nur ein Scherz von uns.“

„Ein sehr bittrer,“ sagte Anne-Marie trübe.

„Aber so höre doch: wir haben ihn einmal gefragt, warum Ihr Beide so gespannt mit einander wäret, und da hat er uns gebeichtet.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 812. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_812.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)