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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Alles?“ fragte Anne-Marie entsetzt. Sie meinte das Tragen aus der Kleebrache.

„Was denn sonst noch?“ meinte Leonore verwundert. „Was wir Dir abgeschrieben haben – ja doch: er hat Dir auch gesagt, Du dürftest nicht allein in den Wald gehen.“

„Wie dumm!“ ergänzte Hedwig. „Wir haben ihm die Leviten gründlich gelesen und haben ihn schließlich zur Abbitte verurtheilt. Er ist aber starrköpfig und wollte davon nichts wissen; er berief sich auf seine Manneswürde. Da gaben wir ihm auf, Dir durch die Blume abzubitten, aber sogar das Schreiben mußten wir selber besorgen.“

„Ich danke,“ kam es mühsam von Anne-Marie’s Lippen. „Ihr hättet Euch nicht bemühen sollen. Euer Gefühl mußte Euch sagen, daß ich diese Geschenke höchstens annehmen konnte, um sie in’s Feuer zu werfen.“

„Aber Anne-Marie, sei doch nicht so rabiat –“

„Da ist ja Dein Onkel!“

Der Baron war aus dem Thore gestiefelt, um Anne-Marie Schlittschuh laufen zu sehen, und er lief Herrn von Pannewitz in die Hände.

„Hoho – vergnügte Weihnacht, Franz!“

„Unsinn! Mach’ keine Redensarten, Fritz!“ knurrte der alte Herr. „Aber ’n verflucht feiner Schlitten ist das. Den hast Du doch nicht auch von meinem Gelde gekauft?“

„Nein,“ sagte Heer von Pannewitz und zwinkerte mit den Augen seitwärts. „Das ist ’n eigen Ding mit dem Schlitten, den habe ich so durch ’ne Gelegenheit gekriegt. – Was ich sagen wollte, Franz: willst Du Dich nicht mit Deinem Neffen da aussöhnen? Es ist ja Weihnachten. Ich hab’ es nun mal übernommen, daß ich Dich frage – kommen Sie heran, Herr von Boddin! Er ist ja ’n närrischer Kerl, aber im Grunde eine gute Seele.“

„Der Teufel bin ich!“ brauste der Baron auf und sah Herrn von Pannewitz wüthend an. „Du willst mich ja wohl hier überrumpeln als ’nen tauben Fuchs. Kuchen, sagte Sjölk – da lebte er noch. Und wenn mir der Kerl zu nahe kommt – mein armes Anne-Marieken hat gestern Abend erst geweint über das, was er ihr angethan hat – was hast Du mir zu sagen?“

Curt stand vor ihm und wies auf den Teich hinüber.

„Das beruhte auf einem Mißverständnisse, das dort drüben aufgeklärt wird, Onkel. Ich biete Ihnen die Friedenshand; ich habe nicht die Absicht, Ihnen das Leben hier zu verbittern; ich arbeite hier ja nur für Sie, in Ihrem Interesse. Sie schädigen sich selbst, wenn Sie dem Gute die Arbeiter entziehen, und Sie haben keine anderweite Arbeit und keinen anderweiten Verdienst jetzt für sie und können es nicht durchführen, sie aus Ihrer Privatcasse zu bezahlen –“

Er hatte es gut gemeint, aber er hatte wieder Unglück. Das Letzte war das Schlimmste, was er dem alten Herrn sagen konnte.

„So, mein Sohn?“ sagte er beißenden Tones; „nun will ich Dir was sagen: Wenn meine Leute keine Arbeit haben, dann lasse ich sie hier auf dem Eise im Tagelohne tanzen, und wo ich das Geld dazu her kriege, das ist meine Sache. Das thue ich, so wahr ich Boddin heiße. Jochen!“

„Ja, Herr!“

„Spann mal drinnen meinen Wagen an und fahr gleich nach Demmin! Hier hast Du etwas Geld. Da sagst Du dem Stadtpfeifer Sallin, er soll mir vier oder fünf Kerle schicken auf ein paar Tage, daß sie hier Musik machen. – Steffens, mach Dich mal hierher, und Du auch, Lünnemann! Sagt mal zu meiner Compagnie: ich ließe euch nun drei Tage hier auf dem offenbaren Eise tanzen und zwar im Tagelohn, und ich gebe euch auch was Schnaps dazu.“

„Und ich sage Ihnen ebenso laut und vernehmlich, Heer Baron von Boddin,“ fiel Curt ihm in’s Wort, „wenn Sie das ausführen was Sie soeben ausgesprochen haben – und ich werde Sie daran nicht hindern, obwohl das Recht, über diesen Teich zu verfügen, jetzt in meiner Hand liegt – wenn Sie also ausführen, was Sie angekündigt haben, so werden Sie vom ersten April nächsten Jahres ab nicht mehr in Pelchow wohnen, so wahr ich Boddin heiße.“

Curt stand mit flammenden Augen da, den Arm gegen den alten Baron ausgestreckt. Diese offene Verhöhnung im Angesichte der Branitzer Gäste und der in der Nähe stehenden Dorfleute hatte sein Blut fast zum Sieden gebracht und die Zügel seiner Geduld zerrissen. Boddin gegen Boddin! Vergebens hatte Herr von Pannewitz ihm beschwichtigend die Hand aus die Schulter gelegt, ihn zu unterbrechen versucht: wie ein Sturzbach prasselte die entscheidende Absage über den Baron, der sie mit spöttischem Kopfnicken aufnahm.

Der Rubikon war überschritten.

Curt hatte den Baron zur Genüge kennen gelernt, um zu wissen, daß dieser von seinem Entschlusse nicht zurücktreten würde. Ebenso selbstverständlich war ihm, daß er an dem seinen festhielt – trotz der anmuthigen violetten Mädchenblume dort! Ein unseliges Verhängniß hatte es so gewollt. Nun war sie wohl unwiderruflich für ihn verloren; denn das würde ihre Pietät gegen den Onkel nie verwinden, daß er ihn aus seinem Eigenthume stieß, an dem er mit solcher Zähigkeit hing; sie war ja ein Mädchen, welche der stärkeren Empfindung nachgab, und das war ihre Neigung für ihn sicher nicht – gesetzt auch, daß jener reizende kleine Rahmen voll Edelweiß und Vergißmeinnicht, von ihr kam, wie die Pannewitzischen Töchter behaupten wollten. Wollte er sich über den neuesten Affront um ihretwillen hinwegsetzen – er gewönne nichts damit; denn er hätte ihre Achtung doch verscherzt. Er wollte wenigstens nicht als Schwächling vor ihr stehen.

Die Arme über der Brust gekreuzt, blickte er zu den Mädchen hinüber. Was er da sah, war ein reizendes Bild, und doch eine beredte Anklage für ihn. Anne-Marie stand mit gefalteten Händen da; die Freundinnen bewegten sich in lebhaftem, ernstem Zureden neben ihr. Das blasse, entsetzte Gesicht Anne-Marie’s konnte er nicht sehen, bis er den Zwicker absetzte; dann ließ er ihn rasch wieder fallen. Es mußte ertragen werden. –

„Anne-Marie, sprich doch mit dem Onkel! Er darf es nicht auf’s Aeußerste kommen lasten; thue doch Alles, um das zu vermeiden!“

„Nein. Nicht die Lippe beweg’ ich dazu.“

„Aber weshalb nicht – um Gotteswillen?“

„Wenn er das Herz hat, dem Onkel das anzuthun, so ist es ein Glück für uns, daß wir von hier fortkommen.“

„Aber er kann ja doch kaum anders handeln; Du hörst, was Dein Onkel ihm bietet; das läßt sich kein Mann gefallen.“

„Nein, nein, und abermals nein! Das ist gegen einen gereizten alten Mann eine Rohheit. Ich will mit dem Onkel das Brod der Fremde essen und dann zusehen, was aus mir werden wird. Wäre er nicht so dünkelhaft und hochfahrend, wäre er auf des Onkels Art eingegangen, so wäre der gewiß des Widerstandes müde geworden.“

„Aber Du bist ungerecht gegen Deinen Vetter, Anne-Marie.“

„Gleichviel! Ich will Gott danken, wenn dieser Zustand auf Pelchow ein Ende nimmt, mich zerreibt dieser Unfriede innerlich. Keinen ruhigen Schritt kann ich mehr thun, aus Furcht, ihm zu begegnen; jeden Tag wache ich mit der Angst auf: es giebt neue Aufregungen. Möge es entschieden sein und mögen diese Wochen bis Ostern Flügel haben! Ruhe, nur Ruhe!“

„Liebe, gute Anne-Marie: wenn er nun ein tieferes Interesse für Dich hätte – –“

„Still, um Gottes willen, Hedwig kein Wort davon!“ Mit flehender Angst streckte sie beide Hände aus. „Sage das nie, nie wieder!“

Schweigend glitten sie weiter.

„Du bist wie’n störrischer Ochs, Franz,“ sagte Herr von Pannewitz, „nimm mir das nicht übel! Du rennst so lange gegen die Wand, bis sie Dir auf den Kopf fällt. Wie ist Dir das ’ne Schande, wenn Du vernünftig bist und Dich giebst?“

„Das ist meine Sache, Pannewitz, und solche Grobheiten verbitt’ ich mir, daß Du mich für ’nen Ochsen titulirst. Er soll mich nur ’rauswerfen! Ich will die ganze Verwandtschaft dazu einladen, aber meine ganze Compagnie auch, und dann wollen wir mal sehen, wer oben bleibt, ich oder die Pogge; denn eine Pogge bleibt er doch, und wenn er heute auch schwarz geht als ein Predigtamtscandidat. – Und morgen ist Tanz, sag’ ich Dir, Fritz, und ich lade Dich dazu ein, und Deine Mädchen auch.“

„Ich danke – ich bin kein so ’n alter Esel, daß ich auf dem Eise tanzen möchte.“

„Hoho, Fritz, das hast Du gut gesagt. Und nun laß mich machen und bemenge Dich nicht mit der Sache zwischen mir und dem da! Was ’n Boddin ist, der besteht auf seinem Kopf und wir bleiben gute Freunde.“ –

Eine halbe Stunde später sauste der Branitzer Schlitten

über den Schnee, an dem stillen, verschneiten Walde hin. Krähen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_814.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)