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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

hervorgebracht. Die Schöpfungen dieser Poesie, welche eine kunstvoll entwickelte Rhythmik und Metrik aufzeigen, sind später, im 9. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, in dem nationalen Liederbuch gesammelt worden, welches den Titel „Hamâsa“ führt, Gesänge von 521 Dichtern und 56 Dichterinnen enthält und durch unseren großen Dolmetsch orientalischer Poesie, Friedrich Rückert, meisterlich verdeutscht wurde (1846). Erwägt man die außerordentliche Gunst und Einflußnahme, deren die altarabischen Dichter bei ihren Landsleuten allgemein genossen, so wird es kaum gewagt sein, anzunehmen, diese Kinder einer wilden und großen Natur müßten das dichterische Wort als eine Kundgebung von Göttlichem, als eine Offenbarung betrachtet haben. Darum untersteht es auch keinem Zweifel, daß Mohammed seine glänzenden Erfolge zu einem nicht kleinen Theil seiner nicht gewöhnlichen poetischen Begabung zu verdanken hatte.

Nun aber ist denkwürdig, daß ein so phantasiereiches und poesieliebendes Volk, wie das arabische, keine Mythologie besaß. Dessenungeachtet war dieses Volk keineswegs religionslos. Gleich den übrigen Semiten hingen auch die alten Araber einer sogenannten Naturreligion an, welche jedoch bei ihnen nicht zur Schaffung bestimmter, konkreter Göttergestalten vorschritt, sondern zu gemeinem Fetischismus ausartete. Das Idol trat an die Stelle des Ideals und, wie das ja in Sachen der Religion überhaupt so leicht und so häufig zu geschehen pflegt, die anfänglichen Sinnbilder des Göttlichen wurden zu diesem selbst, die Zeichen zu Wesen. Das sind dann die sogenannten „Götzen“ seines Volkes gewesen, gegen welche Mohammed mit so flammendem Zorneifer anging. Es ist jedoch wohl zu beachten, daß schon vor dem Auftreten des Propheten, wenigstens im nördlichen Arabien, infolge der Wirkungen jüdischer und christlicher Einflüsse in der Anschauung denkender und gebildeter Menschen die Vorstellung von Allah, als dem wahren und einzigen Gott, sich einzuwurzeln begonnen hatte. So wissen wir von den beiden berühmten Dichtern Aa’schâ und Labyd, daß sie Monotheisten gewesen sind. Die Erscheinung des Propheten traf also sein Land nicht unvorbereitet. Wohl ist, wie der Schotte Carlyle mit Bezug auf Mohammed schön gesagt hat, der große Mann immer wie ein vom Himmel fallender Blitz; die übrigen Menschen warten auf ihn und unter seinem zündenden Stral flammen auch sie auf. Aber – so möchte ich das carlyle’sche Gleichniß ergänzen – der Blitz entsteht nur, wann die Atmosphäre so beschaffen ist, daß sie ihn zu erzeugen vermag.

Die Bevölkerung Arabiens bildete keine einheitliche Masse. Sie zerfiel in zahlreiche größere und kleinere Stämme, und diese lagen in selten unterbrochenen Fehden gegen einander zu Felde. Neben dem nationalen Kitt der Sprache gab es jedoch für dieses zersplitterte Volk noch ein Gemeinsames und Einigendes. Das war die Ehrfurcht vor dem uralten Nationalheiligthum der sogenannten Kaabah in Mekka, welche Stadt, zwischen dem Steppenplateau und dem Küstenlande mitteninne gelegen, schon mittels ihrer Lage, dann aber auch durch die Beschaffenheit ihrer Einwohnerschaft, welche aus Hirten, Ackerbauern, Groß- und Kleinhändlern bestand, die Wechselbeziehungen zwischen dem Beduinenthum und dem civilisirteren Araberthum vermittelte und endlich als Stätte der Kaabah eines geradezu herrschenden Ansehens im ganzen Lande genoß. Die Legende will bekanntlich, Ismael, der Hagar Sohn, der angebliche Stammvater der Araber, hätte in Gemeinschaft mit seinem Vater Abraham die Kaabah erbaut. In Wahrheit war dieser Tempel von dem Stamme Koraysch gestiftet oder wenigstens ausgebaut worden, welcher Stamm, eben als Eigenthümer, Wächter und Nutznießer des Nationalheiligthums, für den vornehmsten und mächtigsten aller arabischen Klane galt. Unter den Heiligthümern, welche die Kaabah umschloß, waren die verehrtesten der berühmte schwarze Stein und der Brunnen Zem-Zem, beide vonseiten des urväterlichen arabischen Quell- und Steinkults dem Islâm vermacht. Außerdem war der Tempel die Stätte einer absonderlichen Götterversammlung, weil daselbst die Haus- und Stammgötzen der verschiedenen Stämme Arabiens ihre Plätze hatten. Zu diesen Idolen wallfuhren die Araber aus allen Ecken und Enden ihrer Halbinsel, um ihre Gebete und ihre Opfer darzubringen, und demnach war Mekka schon vor Mohammed seinen Landsleuten das, was Jerusalem den Juden, Delphi den Griechen, der Tempel des Jupiter auf dem Kapitol den Römern, das Sonnenhaus Korikancha zu Kuzko den alten Peruanern gewesen und Rom den Katholiken ist. So fest hatte sich die Vorstellung von der Heiligkeit dieses Ortes dem arabischen Bewußtsein eingeprägt, daß der Islâm, als seine Zeit gekommen, wohl die Götzenbilder in der Kaabah zerschlagen, jedoch den Ort in seinem Ansehen nicht erniedrigen konnte, sondern noch erhöhen mußte; die Kaabah zu Mekka ist ja, wie allbekannt, der hochheilige Mittelpunkt der ganzen islamischen Welt, in den Augen jedes richtigen Muslem der Nabel der Erde. Darum mußte es denn auch von größter Bedeutung sein, daß gerade an dieser Stätte der Mann aufstand, welcher sein Vaterland Arabien religiös und politisch vereinheitlichte und dasselbe aus geschichteloser Abgeschiedenheit und Dunkelheit auf die offene und helle Bühne herüberstellte, worauf die menschheitliche Tragikomödie sich abspielt. Denn von Mekka brach das islamische Araberthum erobernd in die Welt hinaus, glühend von dem jugendfrischen Eifer seines neuen Glaubens und alles vor sich niederwerfend wie die Wüstenorkane seines Heimatlandes. Damit war ein neues Kapitel aufgeschlagen im Buch der Weltgeschichte.

(Fortsetzung folgt.)




Agnes von Zesyma.
Eine Episode aus dem Hussitenkriege.


Auf der Richtstätte zu Constanz wurde noch am Tage seiner Hinrichtung die Asche des Reformators Huß gesammelt und in den nahen Rhein geworfen, damit von dem Todten nicht etwas übrig bliebe, was seine Anhänger nach Böhmen tragen und als Reliquie verehren könnten. Dennoch bewahrten die Jünger des Märtyrers eine Reliquie, die kein kaiserliches oder kirchliches Decret zu zerstören vermochte: die Erinnerung an die Lehren des Meisters und an seinen Märtyrertod, welche mächtig genug war, die Flammen eines der furchtbarsten Kriege, die Europa jemals geschaut hat, anzufachen und beinahe durch Jahrzehnte zu nähren.

Um den flammenden Scheiterhaufen von Constanz wob inzwischen die Phantasie des Volkes einen Legendenkranz, der bis auf unsere Tage unverwelkt geblieben. Eine spätere Zeit erdichtete den charakteristischen Ausruf „O heilige Einfalt!“ und die Prophezeiung von dem stolzen Schwane, der nach hundert Jahren das begonnene Werk der geistigen Befreiung vollenden werde. Und als der Sturm des mit wilder, dämonischer Macht geführten Hussitenkrieges vertobt war, da breitete sich der Kreis hussitischer Sagen noch mächtiger aus; denn in dem gewaltigen Ringen der feindlichen Parteien schuf der Krieg eiserne Charaktere und zeitigte Heldenthaten, auf welche die Nachwelt mit Staunen zurückblickte.

An das Geschlecht der Herren von Rosenberg, welche in jener Zeit treu zu ihrem König und dem rechtmäßigen Glauben standen und an der Spitze der Deutschen und der Katholiken Böhmens den Wagenburgen Ziska’s und der beiden Prokope trotzten, knüpfte sich gleichfalls eine Sage, die wegen ihrer dramatischen Momente ein besseres Loos verdient, als in den Staub der Vergessenheit zu versinken. Wir erzählen dieselbe nach dem Hormayr’schen „Taschenbuche für vaterländische Geschichte“ (Jahrgang 1823).

Die Zeit der Handlung dieser Sage fällt in den Abschnitt des Hussitenkrieges, in welchem nach der blutigen Schlacht bei Aussig am 16. Juni 1426 der Führer der Taboriten, Prokop Holy, auch der Große genannt, zum höchsten Gipfel seiner Macht gelangte. Die Sage selbst erzählt, daß der Kampf, von dem wir im Nachstehenden berichten werden, drei Jahre nach des blinden Ziska Tode, also im Jahre 1427, stattgefunden. Damals wurde nämlich der Plan des siegreichen Prokop, in die deutschen Lande einzudringen, von der Gegenpartei verworfen und der Beschluß gefaßt, die Burgen derjenigen Ritter in Böhmen und Mähren, welche dem katholischen Glauben treu geblieben waren, mit bewaffneter Macht zu bedrängen.

Unversöhnliche Rache hatte Prokop vor Allem den Rosenbergen geschworen, und während seine Hauptleute alles Rosenbergische Besitzthum weit und breit um Budweis und Tabor plünderten, zog er selbst mit dem Schlacht- und Gewalthaufen vor die feste Burg Kamenitz, in welche sich der Rosenberger, Prokop

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_011.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)