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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

ganzen Plan der Burg, und von ihr aus betreten wir das erste Geschoß. Aber ehe wir die einzelnen Räume besichtigen, machen wir hier erst Halt, angeregt durch eine am Eingang zum herrlichen Kirchsaal angebrachte Inschrift, die nach einer alten Chronik meldet:

„Anno 930, also drei Jahre nach der großen ungarischen Schlacht, hat Kaiser Heinrich den Schloßberg gegen Mitternacht räumen, die Bäume und Sträucher ausrotten, ebenen und ein wohlverwahrt festes Schloß, beides zu einer Bastei und Brustwehr und zu einer fürstlichen Wohnung bauen und zurichten lassen, auf welchem nachmals je und allewege die Meißnischen Markgrafen ihr Hoflager gehalten, welches erstlich von den Feinden vielmal überfallen, eingenommen und zerstört und doch von den Markgrafen stets wieder gebaut und erhalten.“

Der Um- und Neubau dieses alten Schlosses ward bekanntlich von den fürstlichen Brüdern Ernst und Albrecht 1471 nach dem Plane Meister Westfal’s begonnen und in der Hauptsache bis 1483 vollendet, und so erscheint es vollkommen gerechtfertigt, daß es vorwiegend Scenen aus dem Leben der Nachkommen dieser beiden Fürsten sind, welche in farbenprächtigen Frescogemälden in den Burggemächern durch hervorragende Künstler der Gegenwart veranschaulicht werden. Wir nennen von diesen Künstlern nur Choulant, Dietrich, Diethe, Gei, Hofmann, Marshall, Oehme, Preller junior aus Dresden, Scholz und Spieß aus München.

Es giebt in der Geschichte der Albrechtsburg einen Moment, wo wir sie ihrer eigentlichen Aufgabe entfremdet finden: im Jahre 1710 war sie seltsamer Weise aus einem Fürstensitze zum Sitze einer Fabrik geworden. Da nämlich der sogenannte „Alchemist“ Böttger früher in der Albrechtsburg gefangen gehalten worden war und hier experimentirt hatte, so war die Burg als das passendste Local zur Zubereitung und Aufbewahrung eines kostbaren Fabrikates erschienen, das zugleich ein „kurfürstliches“ oder „königliches“ war und dessen Herstellungsart man als Geheimniß bewahren wollte: des Porcellans, das eben jener Böttger erfunden hatte. Als nun diese Fabrik schließlich immer größere Dimensionen an- und endlich den ganzen Bau einnahm, drohte derselbe Ruine zu werden. Die Kunstfreunde, an ihrer Spitze König Johann selbst, suchten hier Rettung zu schaffen durch Verlegung der Porcellanfabrik in ein neues Gebäude, zu dessen Errichtung auch die Landstände die nöthige Summe bewilligten, sodaß die Uebersiedelung im Jahre 1863 stattfinden konnte. Das bald hierauf begonnene Restaurationswerk der Burg ward durch die Kriegsjahre 1866 wie 1870 und 1871 sehr gehemmt, bis endlich 1875 auf dem Landtage beschlossen wurde, von der französischen Kriegsentschädigung eine halbe Million Mark dazu und auf die innere Ausschmückung zu verwenden: auf Wandmalereien nämlich 97,270 Mark, auf Statuen, Reliefs und Schnitzwerk 10,500 Mark, auf Decorationsarbeiten 66,590 Mark, auf Fußböden 27,000 Mark, auf Oefen und Kamine 13,000 Mark, auf Thüren 7400 Mark.

Die Eröffnung der Fürstenschule St. Afra zu Meißen (1543).
Gemälde von A. Spieß in der Albrechtsburg zu Meißen.

Oberlandbaumeister Hänel in Dresden hatte bis dahin die architektonischen Arbeiten geleitet; Hofrath Dr. Roßmann entwarf dann den Plan für die innere Einrichtung und das Decorative.

Treten wir denn nun ein in den großen Kirchsaal, an dessen historischer Inschrift wir Halt machten, um daran sogleich die wichtigsten Daten über Gründung und Restauration der Burg zu knüpfen. Gleich den folgenden Sälen, ist auch dieser von einer wundervollen Architektonik. Gold und Roth und bunte Arabesken — nicht angebracht in moderner Willkürlichkeit, sondern nach dem Muster gleichaltriger Schlösser — ziehen das Auge auf sich, und noch mehr die trefflich ausgeführten Wandgemälde von den schon erwähnten Künstlern. Da sehen wir zuerst König Heinrich den Ersten, wie er das Reichspanier aufpflanzt und der erste Markgraf von Meißen ihm Treue schwört. Einen Vorgang von 1015 verherrlicht dagegen ein zweites Bild: wie die Frauen durch ihre Betheiligung an der Vertheidigung der Burg gegen den Polenherzog Mesico (Mieschko) diesen zurückschlagen helfen. Gegenüber befindet sich der Einzug Conrad’s des Großen.

Einzelgestalten meißnischer Fürsten und Fürstinnen sind in den Fensternischen und unter dem „Trompetenstuhl“, von welchem aus die Fanfaren beim Einzuge der Gäste zu ertönen pflegten, dargestellt — und zwar sind alle diese Malereien in Wachsfarben ausgeführt von der Hand eines Meißner Kindes: von Anton Dietrich. Auch in der angrenzenden Burgcapelle sind von ihm die Gestalten Bischof Benno’s und Otto des Großen gemalt, während der kunstreiche Fußboden Meißner Fabrikat aus der Terracottafabrik Buschbad ist. Zittau lieferte die prächtigen Glasgemälde, die vom Kunstglaser Türke nach Diek’schen Cartons gefertigt wurden. Das dreiflüglige Altarwerk stammt dagegen aus dem fünfzehnten Jahrhundert; palmenartige Säulenschäfte einigen sich an der Decke zu dem wundervollen Gewölbe dieser Capelle, die auch dadurch noch an Interesse gewinnt, daß in ihr 1539 die erste lutherische Predigt in Meißen gehalten ward.

An den Kirchsaal schließen sich das erste und zweite Kurfürsten-Gemach; beide enthalten Wandgemälde von Professor Scholtz, welche Ereignisse aus dem Leben Herzog Albrecht’s darstellen. Durch ein paar kleinere Gemächer kehren wir zurück, um aus dem Kirchsaal in den großen Banketsaal zu treten. Es ist die bekannte Geschichte des sächsischen Prinzenraubes, welche hier in drei großen Scenen von Professor Oehme gemalt wurde, während an der Giebelwand A. Diethe ein Turnier Albrecht’s und seine Belehnung durch Kaiser Friedrich den Dritten dargestellt hat. Ringsum fanden Holzstatuetten sächsischer Fürsten ihren Platz,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_016.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)