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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

den Propheten: „Nun sage, bin ich nicht besser als Chadyga? Die war ja alt, zahnlos und unschön. Du liebst mich mehr, als Du sie geliebt hast, nicht wahr?“ Aber darauf Mohammed: „Nein, beim Allah, nein! Sie glaubte an mich, als niemand an mich glauben wollte. Auf der ganzen weiten Erde hatte ich nur einen Freund, und das war sie.

Bis zu seinem 40. Jahre lebte und arbeitete Mohammed als Händler. Dann erst ist er als Prophet und Religionsstifter aufgetreten. Er scheint aber doch schon ziemlich lange vorher mit Höherem sich befasst und den Handelsgeschäften nur noch geringe Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Hierauf deutet auch die Nachricht, daß er seines erheirateten Vermögens verlustig gegangen, sowie die Thatsache, daß er viele Zeit dem Sinnen und Denken widmete, zu diesem Zwecke die Einsamkeit suchte und darum bald allein, bald mit Chadyga, der Vertrauten aller seiner Gedanken, auf Tage und auf Wochen in eine Höhle des unfern von Mekka gelegenen Berges Hara sich zurückzuziehen pflegte. Ich brauche kaum daran zu erinnern, daß wir eine solche Zurückgezogenheit, ein Aufsuchen der Einsamkeit in Wildnissen oder Gebirgen auch in dem Dasein anderer Religionsstifter finden. Mose, Zarathustra, Buddha, Jesus sind in die Wüste gegangen, um, so zu sagen, allein zu sein mit ihrer Seele und in der erhabenen Stille der Einöde die Kraft zu sammeln, das Geheimniß ihrer Mission auf dem lärmenden Markt des Lebens zu enthüllen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, daß Mohammed in beschaulicher Einsamkeit über sich und seine Aufgabe klargeworden. Sein bis jetzt zurückgelegter Lebensweg hatte ihn an den verschiedenen Seiten der Daseinsweise seiner Landsleute vorübergeführt, wie er auch auf seinen Händlerfahrten mit den Lehren und der Lebensführung der Juden und der Christen Bekanntschaft zu machen ausreichende Gelegenheit gehabt. Er hatte Steppen durchwandert und in Städten gelebt; er war Hirt und Händler gewesen, Knecht und Herr, arm und reich; er hatte die Anschauungen und Bedürfnisse, die Tugenden und Laster der Menschen beobachtet; er hatte auch ein Stück Krieg gesehen. Aber alle diese Beobachtungen, Erlebnisse und Erfahrungen hatten ihn nicht befriedigt. Er ahnte, wußte, wollte Besseres. Auch in ihm glühte jene Flamme, ein Funke von jener Centralsonne der moralischen Welt, welche Begeisterung heißt und ihre berufenen Träger befähigt, in die Geschicke der menschlichen Gesellschaft schicksalsmäßig einzugreifen, selber ein Stück Schicksal. Wie alle Menschen, in welchen der „göttliche Anhauch“ (afflatus divinus), der Genius, sich offenbart, dachte er mehr an andere als an sich selbst. Ihn bekümmerte die Finsterniß, in welcher sein Volk wandelte, das infolge seiner politischen Zersplitterung und religiösen Zerfahrenheit seine beste Kraft in zwecklosen Fehden vergeudete. Als das Grundübel seines Landes erschien ihm der Mangel eines großen, umfassenden und einigenden religiösen Princips. Ein solches müßte aufgestellt und in Wirksamkeit gesetzt werden. Ob dem Propheten dabei auch schon der Gedanke vorschwebte, sein Volk würde, unter dem Banner eines neuen Glaubens gesammelt und geeint, wohl das Zeug haben, eine große politisch-geschichtliche Rolle zu spielen, diese Frage ist mit Bestimmtheit weder zu bejahen noch zu verneinen. Für wahrscheinlich kann gelten, daß Mohammed anfänglich nur eine religiöse Reform seiner Nation im Auge hatte, daß aber die Logik der Thatsachen, der Zwang der Verhältnisse ihn bald nöthigte, mit dem Reformator den Feldherrn und den Staatsmann in seiner Person zu vereinigen.

Vor allem war er kein in elegischem Brüten über einer großen Idee sich verzehrender Mensch, sondern ein Thatmann. Er wollte, das Licht, welches er in seiner Seele brennen fühlte, sollte hinleuchten über ganz Arabien, hellend und wärmend, und mit echtarabischer Begeisterung und Tapferkeit, nicht weniger auch mit echtarabischer Klugheit und Zähigkeit ging er daran, seinen Gedanken zu verwirklichen.

Hiernach ist die Frage, ob Mohammed es mit seinem Glauben an seine Berufung und mit seinem aus diesem Glauben entsprungenen Werke ehrlich und ernstlich gemeint habe oder ob er nur ein schlauer Betrüger, ein eigen- und ehrsüchtiger Schwindler und Streber gewesen sei, mit gebührender Verachtung beiseite zu stellen. Diese Frage überhaupt aufzuwerfen, konnte nur die Dummheit oder die Unwissenheit sich einfallen lassen. Eine weltgeschichtliche That wie die Gründung des Islâm kann zu ihrem Vater ganz unmöglich den Betrug haben. Man gründet wohl Großscheinendes, momentan Blendendes sogar, auf Lug und Trug, niemals aber wirklich Großes und Dauerndes. So auch keine Weltreligion. Erst dann, wann der religiöse Gedanke seine ursprüngliche Triebkraft eingebüßt hat, sucht und findet er in dem Betrug einen zweideutigen Helfer. Ganz fraglos war Mohammed ein Mensch von ganzer und voller Ueberzeugung. Sogar ein Fanatiker war er, wie denn, genau angesehen, wahrhaft Mächtiges, Völkergeschicke Entscheidendes gar nie ohne einen gewissen Grad von Fanatismus auf-, durch- und zurechtgebracht wird. Endlich steh’ ich nicht an, Seneka’s bekannten Satz: „Kein Genie ist ohne Beimischung von einigem Wahnsinn“ – auf den arabischen Propheten, insbesondere im Hinblick auf seine erwähnte Krankheit, anzuwenden, und erinnere hier auch noch an das im „Sommernachtstraum“ stehende shakspeare’sche Wort:

Des Dichters Aug’, in schönem Wahnsinn (fine frenzy) rollend,
Blitzt auf zum Himmel, blitzt zur Erde nieder.“

Mit solchen Augen, aber zugleich ein scharfer Beobachter und ein nachdenklicher Erwäger, hatte sich unser Mann umgesehen in der Welt. Er war, wie vorhin schon flüchtig erwähnt worden, auf seinen Handelsreisen mit Juden und Christen in Verkehr gekommen und in Gesprächen mit denselben hatte er ihre religiösen Ueberlieferungen, Glaubenslehren und Gottesdienste kennen gelernt. Denn eine andere Quelle der Belehrung über Judenthum und Christenthum, über die heiligen Schriften und Satzungen dieser Religionen sprudelte ihm nicht, da der „ungelehrte Prophet“ weder zu lesen noch zu schreiben verstand. Das ist allerdings neuerlich angezweifelt, aber das Gegentheil keineswegs glaubhaft erwiesen worden. Wir, an dieser Stelle, können den gelehrten Streit hierüber billig auf sich beruhen lassen, bedenkend, daß es am Ende aller Enden ganz gleichgiltig, ob Mohammed den Koran mündlich oder schriftlich verfasst habe. Viel wichtiger ist der Umstand, daß die Einflüsse von jüdischer und von christlicher Seite her der Unabhängigkeit seines Denkens und der Selbstständigkeit seines Urtheilens keinen Abbruch thaten. Er ließ die jüdische Lehre gelten, und er ließ auch die christliche gelten, beide bis zu einem gewissen Punkte. In Mose, so, wie er denselben kannte und verstand, achtete er den Feststeller des Begriffes eines einzigen, außerweltlichen, geistigen Gottes. In Jesus, soviel er von ihm wußte, ehrte er den großen Reformer des Judenthums, welcher dieses aus der Rasse-Selbstsucht, aus der nationalen Beschränktheit herauszuheben und zum Rein-Menschlichen emporzubilden unternommen hatte. Allein das Judenthum genügte ihm nicht, weil dasselbe die durch den Propheten von Nazareth angestrebte Reform verworfen hätte, und das Christenthum, welches ihm zudem nur in der widerwärtigen Gestalt anatolisch-byzantinischer Fetischisirung vor Augen getreten war, wollte er nicht, weil dasselbe durch die Vergottung Jesu den einheitlichen, den monotheistischen Gottesbegriff getrübt und geschwächt hätte. Ihm schwebte als verständig, ersprießlich und erstrebbar ein Drittes vor. Er wollte nämlich den Grundgedanken des jüdischen Jahvethums, d. i. die Einheit, Alleinheit und Geistigkeit Gottes, verkünden, und zwar verbunden mit einem Gottesdienst, welcher, im Gegensatze zu dem starren, weitschweifigen und bornirt nationalen jüdischen Ceremoniendienst, mehr die ethisch-praktische Seite hervorkehren und also die humanen, im Christenthum gelegenen Elemente in sich aufnehmen und zur Entwickelung bringen sollte.




4.


Nun aber ist es die Wonne und das Weh genialer und zugleich charakterstarker Menschen, daß, wann sie einmal von einer großen Idee erfüllt sind, sie von derselben ganz und gar ergriffen, geradezu besessen werden. So ein Gedanke wird in dem auserwählten Menschen zu Fleisch und Blut, pulsirt in seinen Adern, vermischt sich mit allen seinen Vorstellungen, lässt ihm nicht Rast bei Tage, nicht Ruhe bei Nacht, treibt alle seine Empfindungen auf die Spitze und versetzt sein Nervengeflecht in krankhaft-reizbare Schwingung. Dieses Seelenfieber – denn so darf ich vielleicht den gemeinten Zustand bezeichnen – macht sich in Delirien Luft, welche in phantasiereichen Naturen zur zeitweilig-somnambulistischen Ekstase sich steigern können. Eine solche Natur war Mohammed und überdies, was hier wiederum sehr in Betracht kommt, eine epileptische. Daraus dürfte es sich erklären lassen, daß die den Mann besitzende und beherrschende Idee ihm allmälig visionär gegenständlich wurde, d. h. daß er das, was er fühlte, dachte und wollte, in der Form von Hallucinationen leibhaftig, greifbar deutlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_027.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)