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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

vor sich zu sehen glaubte. Diese rein innerlichen Vorgänge, diesen psychologischen Proceß würde selbstverständlich die Menge weder begriffen, noch würde sie daran geglaubt haben. Um so etwas dem Volke mundgerecht zu machen, mußte überall und allezeit die Maschinerie des Uebersinnlichen, des Mythologischen in Bewegung gesetzt werden. Die islamische Ueberlieferung weiß darum von der „Erleuchtung“ und „Berufung“ des Propheten dieses zu melden: „In seinem 40. Lebensjahre erschien dem Mohammed der Engel Gabriel als Ueberbringer der göttlichen Offenbarung und befahl ihm, als Prophet Allah’s, des höchsten Gottes, diese Offenbarung den Menschen zu verkündigen.“ In dieser Weise, d. h. durch Vermittelung des Engels Gabriel seien dann dem Propheten die einzelnen Abschnitte des Korans, d. h. der islamischen Bibel geoffenbart worden.

Während der ersten Jahre seiner Erleuchtung und Berufung gab sich Mohammed nur seiner Frau Chadyga und etlichen vertrautesten Freunden gegenüber als Prophet. Seine erste, eifrigste und treueste Jüngerin Chadyga ist es gewesen, welche den ersten kleinen Kreis von Muslîm, d. i. Gläubigen, für das islamische Evangelium gewann. Zu diesem Kreise gehörten Mohammeds Sklave Zayd, nachmals vom Propheten an Sohnesstatt angenommen, dann die beiden angesehenen Mekkaner Abu Bakr und Othman, sowie der junge Aly, ein Sohn von Mohammeds Oheim Abu Talib, später, mit des Propheten Tochter Fatima vermählt und, mit dem Preisnamen „Der Löwe Gottes“ geschmückt, einer der herrlichsten, aber auch unglücklichsten Helden des Islâm. Es giebt eine Erzählung, welche dem jungen Aly schon zum Anfang eine vortretende Rolle zuweis’t. Bekanntlich ist es ein fragwürdiges Vorrecht der Jugend, über jedes und alles, was sie versteht und nicht versteht, mit mehr oder weniger liebenswürdiger Unverfrorenheit absprechen zu dürfen, weil sie ja nur ein Achselzucken vonseiten der Wissenden riskirt. Die Jugend besitzt aber auch das edle Vorrecht, oft mit dem Instinkt des Herzens das Große und Wahre rasch und begeistert ergreifen zu können, während demselben das reifere Alter noch zaudernd, zweifelnd und zagend gegenübersteht. Nach dreijähriger Prophetenarbeit war Mohammed erst soweit, daß er eines Tages etwa vierzig seiner Verwandten und Freunde, welchen seine Bestrebungen einige Theilnahme eingeflößt hatten, in seinem Hause versammeln konnte, um ihnen die Frage vorzulegen: „Glaubt ihr an mich und meine Sendung? Und wer will mir beistehen in meinem Werk?“ Da hätten alle geschwiegen. Aber der sechszehnjährige Aly wäre aufgesprungen und hätte mit ungestümem Enthusiasmus ausgerufen: „Ich will!“ Es scheint demnach, daß der nachmalige „Löwe Gottes“ in einer Stunde der Entscheidung eines jener durchschlagenden Worte gesprochen habe, welchen die Bedeutung von Thaten zukommt.

In demselben Maße jedoch, in welchem die kleine islamische Gemeinde sich mehrte, wuchs auch der Widerstand gegen sie und nahmen die ihr bereiteten Widerwärtigkeiten zu. Mächtigste Männer vom Stamme Koraysch – auf dessen Stimmung und Haltung doch vorerst alles ankam – traten gegen die neue Heilsbotschaft und deren Träger auf. Wie es unter ähnlichen Umständen anderwärts geschehen war, so forderten die Widersacher auch hier vor allem, der Prophetseinwollende sollte seine angebliche Sendung bewahrheiten mittels Wunderwirkens. Darauf Mohammed: „Allah hat mich nicht gesandt, Wunder zu thun, sondern nur, seine Offenbarung den Menschen zu bringen. Dieser Offenbarung Inhalt ist Wunders genug.“

Allein damit gaben sich die Korayschiten nicht zufrieden. Der Witz Börne’s, daß seit dem Tage, wo Pythagoras nach Findung des pythagoräischen Lehrsatzes dankbar eine Hekatombe darbrachte, d. h. hundert Ochsen zum Opfer schlachtete, jeder Ochse zittere, wann ein neues Licht aufgehe in der Welt, ist und bleibt ein guter Witz, zeichnet jedoch die Sachlage, von welcher ich handle, nicht völlig. Auch mit dem allerdings tausendfach bestätigten Erfahrungssatz, daß die Beschränktheit und der Neid der Mittelmäßigkeit überall und immer gegen das Genialische und Originelle gehässig, abwehrend und feindselig sich verhalten haben, reicht man nicht aus. Mehr schon trifft es das Wesen der Sache, wenn man sagt, daß die Menschen und die Völker allzeit und allenthalben weit lieber und schneller dem Dummen, Gemeinen und Schlechten als dem Gescheiden, Edeln und Rechten zugefallen seien. Uebrigens konnten ja die Leute vom Stamme Koraysch für ihren Widerstand gegen die neue Lehre auch anführen, daß die Begriffe neu und gut keineswegs immer sich decken. Aber schließlich war, wie das in unserer „besten der Welten“ so oft, ja zumeist der Fall zu sein pflegt, die ganze Angelegenheit eine Geldfrage. Die Korayschiten fürchteten, der Prophet wollte an den allerempfindlichsten Theil ihrer heidnischen Orthodoxie rühren, d. h. an ihren Geldsäckel, indem die neue Lehre ihre, der Korayschiten, Einkünfte als Eigenthümer, Hüter und Sakristane der Kaabah schmälern oder ganz versiegen machen könnte. Endlich mögen die Schwierigkeiten, mit welchen Mohammed zu ringen hatte, nicht unbeträchtlich verstärkt worden sein durch den Umstand, daß er nicht mehr reich war. Einem Reichen, welcher mit Millionen gefüllte Säcke als Schutz- und Trutzschilde vor sich hinstellen kann, pflegt ja die menschliche Niedertracht, wenn nicht alles, so doch vieles hingehen zu lassen, sogar wohl auch die Gründung einer neuen Religion. Die Rothschilde und Konsorten haben sich jedoch, soviel man weiß, nie und nirgends mit Religionsgründerei befasst. Wozu auch? Sie standen sich ja bei dem urväterlichen Kultus des Goldkalbes ganz gut.

Es liegt ein tiefer Sinn darin, daß der Königssohn von Kapilavastu sich erst aller Reichthümer und Herrlichkeiten seiner Prinzenschaft entäußern und sich zu einem Armen, zu einem Bettler machen mußte, bevor er aus dem Prinzen Siddharta zum Buddha d. h. zum Erweckten, Erleuchteten, Wissenden werden konnte und als solcher der Stifter der Religion, welche von allen auf dem Erdball heimischen Religionen die meisten Bekenner zählt. Zur Rothschilderei hatten alle die großen und guten Menschen, die Kulturhelden, die Lehrer und Tröster der Menschheit, entschieden kein Talent.

Langsam also, sehr langsam kam Mohammed vorwärts. Der Tod Chadyga’s war für den jungen Islâm ein unersetzlicher Verlust. Die ungetrübte Lauterkeit der neuen Religion, die Makellosigkeit des Verkündigers derselben verschwand mit dieser Frau. Ein bedeutender Gewinn dagegen war es, daß einer der angesehensten Korayschiten, Omar, der neuen Lehre beitrat. Der ist nachmals, als zweiter Chalif, eine der Grundsäulen des Mohammedanismus geworden. Diesen, d. h. die islamische Doktrin, wollen wir uns jetzt rasch vergegenwärtigen.




5.


„Islâm“ – d. i. Hingebung, nämlich an den Willen Gottes – nannte der Prophet die von ihm gepredigte und begründete Religion. Die Bekenner derselben nannten und nennen sich „Muslîm“, wovon unser verderbtes Wort Muselmanen kommt. „Muslem“ im Singular bedeutet einen sich Hingebenden, nämlich an Gott, also einen Bekenner, einen Gläubigen, welcher zu seinem Gegensatz den „Giaur“ hat, den Ungläubigen, weil nicht an den Islâm Glaubenden. Denn das Allahthum hält sich ebenso gut für alleinseligmachend wie das Judenthum und das Christenthum. Es ist in seinem innersten Wesen unduldsam, wie das ja – alle Redensarten beiseite gestellt – sämmtliche monotheistische Glaubenssysteme von jeher waren und ihrer Natur gemäß sein mußten.

Die Lehre des Islâm ist enthalten im „Korân“ (mit dem Artikel „Al Korân“), welches Wort bedeutet „Die Schrift“ oder „Das Buch“ und folglich genau den Sinn unseres aus dem Griechischen herübergenommenen Wortes „Die Bibel“ hat. Der Korân ist den Muslim das Buch der Bücher, das Buch schlechthin, die heilige Schrift, das geoffenbarte Wort Gottes. Jeder orthodoxe Allahbekenner ist felsenfest überzeugt, daß die Urschrift des Korân von Ewigkeit her im siebenten Himmel vorhanden gewesen sei. In Wahrheit ist „Al Kitab“[WS 1], das Buch, die Schrift, wie die islamische Bibel auch genannt wird, das Werk des Propheten, nicht aber als Ganzes genommen, sondern nur in den einzelnen Theilen. Mohammed hatte bei seinen Lebzeiten in verschiedenen Epochen und bei verschiedenen Veranlassungen den Inhalt des Korân seinen Jüngern und Jüngerinnen stückweise mündlich mitgetheilt. Einzelne Abschnitte mag er wohl auch geradezu diesem oder jenem diktirt haben. Bei seinem Tode befanden sich Bruchstücke dieser Bibel, auf Pergament, auf Leder, auf Palmblätter, auf die Schulterknochen von geschlachteten Schafen geschrieben, in verschiedenen Händen. Andere hatten sich ungeschrieben in dem Gedächtnisse von Gläubigen erhalten. Der Prophet selbst hatte weder eine Zusammenstellung veranstaltet, noch auch eine befohlen. Maßen sich aber schon unter dem ersten Chalifen Abû Bakr – Chalif ist Stellvertreter oder Statthalter,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kitah
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_028.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)