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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

in Hilda’s sonst nur matt gefärbtes Antlitz getreten war, dessen reinen Teint keine Sonne zu bräunen, kein Wetter, dem es sich tapfer aussetzte, rauh zu machen vermochte, zauberte eine Jugendfrische über diese reizvollen Züge, die ganz mit den anmuthigen Bewegungen der feinen elastischen Gestalt harmonirte. Hilda war Mimi’s ansprechender, aber noch nicht zur vollen Entwickelung gereifter Erscheinung weit überlegen und durfte für den Moment selbst den gefährlicheren Vergleich mit der üppigen strahlenden Schönheit der jungen Frau nicht scheuen. Nur ein Lächeln fehlte auf diesen jetzt eben herb geschlossenen Lippen, um unwiderstehlich hinzureißen, aber es fand sich nicht ein, auch über die Lobsprüche nicht, wenn ihr dieselben auch nicht ganz mißfielen.

Der Gutsherr hatte den Rest seiner Cigarre weggelegt und war aufgestanden.

„Na, es kann ja recht schön werden,“ sagte er, „wenn mit den Complimenten so fortgefahren wird. Am Ende trifft auch mich eins an den Kopf; da will ich mich lieber bei Zeiten aus dem Staube machen. Ich meinte, Du wollest mich begleiten, kleine Hexe,“ fuhr er dann mit einem Blick auf seine Tochter fort, „aber Du bist wohl auch abtrünnig geworden wie Edwin. In solchem Wichse geht man nicht auf die Pürsch in den Wald.“

„In der That, man sollte eher glauben, zu einer Visite bei Hof,“ stimmte Hilda mit etwas erkünsteltem Scherze zu. Sie war froh, von dem unbehaglichen Gesprächsthema abzukommen, und nahm somit lebhafter einen Umstand auf, den sie vielleicht sonst kaum der Beachtung werth gefunden hätte. „Mimi, Du hast ja große Toilette gemacht, wie ich sehe. Schon jetzt am frühen Morgen das neue Tuchkleid mit der Goldstickerei.“

Mimi zuckte die Achseln und erwiderte schnippisch:

„Wann soll ich es denn tragen? Mama hat es mir doch nicht gebracht, damit es im Kasten liege.“

„Da wirst Du freilich nicht mit dem Papa in den Wald gehen dürfen,“ sagte Hilda, „und auch mich wirst Du nicht begleiten können, wenn Dir auch ein Morgenspaziergang ganz wohl bekäme.“ Sie wollte vor den Anderen ihrem Tadel keine schärfere Form geben, milderte sie sogar noch durch die Erklärung, zu einem eigentlichen Spaziergange habe sie übrigens keine Zeit. Da kein Reif gefallen, sei das Gras trocken und so recht ein Tag zum Auflesen des Frühobstes. Sie habe schon Befehl gegeben, die Bäume zu schütteln.

„Und da wollen Sie sich selbst bemühen?“

„Bemühen?“ entgegnete sie lächelnd auf Edwin’s Frage. „Es muß doch Jemand die Leute beaufsichtigen.“

„Wie fleißig! Immer thätig! Siehst Du, Edwin!“

Der Anruf enthielt aber vielleicht noch eine andere geheime Mahnung von Seite der Mutter; denn Edwin bat Hilda sofort um die Erlaubniß, sie begleiten zu dürfen, sodaß seine Schwester den verwunderten Ausruf nicht zurückhalten konnte:

„Du warst ja selbst gegen jeden Ausgang.“

„Nur gegen die Jagd, nur speciell gegen die Jagd,“ befliß er sich zu erläutern. „Genau genommen ist sie doch ein sehr barbarisches Vergnügen.“

„Danke schön! Das war nicht immer Deine Meinung,“ warf die Gutsherrin ein.

„Ja siehst Du, Schwager, ich will Dir nicht zu nahe treten – ich kann doch nicht revociren. Man lebt so hin und thut und treibt, was man so bei Andern sieht – findet sogar Gefallen daran – ich will es nicht leugnen. Aber es kommt ein Tag – ein Tag, an dem man plötzlich stutzt und sich Rechenschaft zu geben anfängt.“

„Wenn das bei Dir nur der Fall wäre!“ ließ seine Schwester einfließen, aber er hatte kein Ohr für diesen Seufzer, fuhr vielmehr mit einer gewissen Beredsamkeit fort:

„Was ist es eigentlich, was uns an der Jagd Vergnügen macht? Das Schießen? Nein. Dazu braucht man nur Soldat oder Mitglied einer Armbrustgesellschaft zu werden. Das Treffen? Nein. Das kann man beim Scheibenschießen executiren. Der Todeskampf des erlegten Wildes? Gewiß nicht. Wer könnte es ungerührt mit ansehen, wenn sich der brechende Blick des armen Thieres mit fast menschlichem Ausdruck auf den Mörder richtet? Ein Schatz von Poesie liegt in diesem vorwurfsvollen brechenden Auge, den ich heben würde, wenn er – nicht schon so häufig gehoben und in gangbarstes lyrisches Kleingeld ausgemünzt wäre. Was also, frage ich Dich, Nimrod, was ist die Freude an der Jagd?“

„Die Jagd,“ antwortete Franz mit Nachdruck.

„Nein, der Braten,“ entgegnete Edwin mit Emphase. „Pfui, über die leidige Prosa! Als ob man den nicht beim Wildprethändler zu kaufen bekäme!“

„Wo er auch nicht lebendig hinkommt,“ warf Franz ein.

„Das ist mir alles in einem Momente klar geworden,“ fuhr der Andere fort. „Ich entsage der Jagd – für heute wenigstens; denn der Mensch kann nie für seine Regungen stehen. Er ist Sclave äußerer Einflüsse – Sclave!“

Mimi, zu welcher sein Blick bei der Wiederholung dieses tragischen Ausrufes seltsamer Weise hinüberirrte, bezwang ihr unverhohlenes Mißvergnügen, um ihm eine vorwurfsvolle Mahnung zuzuwerfen, welche beinahe wie eine Einladung klang.

„Wir rechneten so sicher auf Sie, zur Begleitung unseres Duetts.“

„Wenn Du vielleicht doch mitkommen wolltest, Mimi, da das Duett nun doch einmal gestört ist,“ schlug Hilda freundlich vor. „Ich fürchte, Herr von Tonner wird an mir eine unaufmerksame und anderweitig beschäftigte Begleiterin haben, und Dir dürfte die frische Luft gut thun.“

Das gute Wort fand aber keinen guten Ort. Schmollend nickte die Kleine.

„Ich danke. Wir können uns auch vierhändig durchhelfen.“

„Das heißt, wenn Du es erlaubst, liebe Schwägerin,“ sagte Albertine. „Bis mein Instrument ankommt, müssen wir schon das Deine benutzen.“

„Es freut sich der Ehre,“ ging auch Hilda in den scherzenden Ton ein. „Vielleicht ist es mir auch später gestattet, ein wenig dem Concerte beizuwohnen. Ein Viertelstündchen etwa, wenn ich nach neun Uhr in’s Haus komme, den Leuten das zweite Frühstück herauszugeben.“

„Warum willst Du Dir mit dem Frühstück so viele Mühe machen? Willst Du das nicht lieber mir überlassen? Ich brauche ja nur die Schlüssel.“

„Die Schlüssel?“

Hilda hob unwillkürlich den Kopf.

„Ja, das Schlaraffenleben muß wohl ein Ende nehmen,“ entgegnete die junge Frau mit ruhigem Lächeln und jener sanften Gelassenheit, aus der sich vielleicht in späteren Jahren eine Aehnlichkeit mit dem trägen Hindämmern ihrer Mutter entwickeln konnte, die aber zur Zeit noch dieser blonden weichen Frauenerscheinung einen besonderen Reiz verlieh, der seine Anziehungskraft nicht allein auf die Männerherzen übte, sondern ihr auch aus den Reihen ihres eigenen Geschlechtes Freundinnen erwarb.

„Seit drei Tagen schon gehe ich hier umher und lasse mich bedienen, als ob ich ein Gast in diesem Hause wäre,“ fuhr sie fort. „Ich beginne mich wirklich zu schämen. Was mußt Du eigentlich von mir denken, daß ich so alles auf Dir ruhen lasse, Deine Zeit und Deine Mühe in Anspruch nehme, als ob ich ein Recht darauf hätte? Ich weiß, daß ich Vorwürfe verdiene, und muß Dir danken, daß Du mich nicht tadelst, aber ich will mir bei Euch eine bessere Meinung verdienen, bei Dir und – bei Franz. Er soll in mir nicht seine Hausfrau vermissen. Ich fand es sehr angenehm, von der Reise auszuruhen, aber es ist nun an der Zeit, auch an die Pflicht zu denken. Sollte ich mich nicht gleich zurecht finden in Allem, so wirst Du mir ja Deinen Rath nicht vorenthalten, oder ich werde mir eine Wirthschafterin zu Hülfe nehmen, aber Dir darf das Opfer nicht länger zugemuthet werden. Erlaube also, daß ich Dir die Schlüssel abnehme! Mit der Bürde kommt wohl auch ein wenig die Würde.“

„Die Schlüssel!“ wiederholte Hilda mit seltsam zitterndem Tone. Sie trat dabei einen Schritt zurück, und ihre ganze Haltung verrieth Bestürzung und Empörung. Sie stand da wie ein Krieger, dem man ein anvertrautes Heiligthum entreißen will. Alsbald aber senkte sich ihr kampfbereiter Blick; ihr Antlitz röthete sich und neigte sich langsam auf die Brust.

„Sie sind auf meinem Zimmer,“ sagte sie leise, aber fest.

Der Kampf war vorüber.

Vielleicht hatte auch der jungen Frau davor gebangt; denn sie athmete nun freier auf und sah lächelnd zu ihrem Gatten empor, welcher sie unter heiteren Lobsprüchen an sich zog.

„Gesprochen wie ein Salomo und gehandelt wie eine tüchtige brave kleine Frau. Ich hatte eigentlich schon seit unserer Ankunft auf diesen Act der Schlüsselübernahme gewartet. – So,“ sagte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_043.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)