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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

die zerfallenden Steindenkmäler längst entschwundener Zeiten gleiten läßt! –

Um Alles zu kosten, ließen wir uns von dem schönen Wirthstöchterlein auch den berühmten Sipplinger credenzen. Das Mägdlein that’s mit großem Sträuben, und ich möchte auch Jedem rathen, von diesem Weine abzusehen; denn er ist noch heute der sauern sauerster am Bodensee. Aber er schafft ruhiges Ueberlegen, und so einten wir uns denn dahin, daß die Heidenlöcher in ihrer ursprünglichen natürlichen Höhlenform gerade so, wie andere in ihrer Nachbarschaft den ältesten Einwohnern des Landes, den Kelten oder Urgermanen und allen später folgenden Heidengeschlechtern ein willkommener Wohnplatz gewesen sein mögen. Später, zur Zeit der Römerherrschaft und des beginnenden Christenthums, mögen sich dort Christen angesiedelt haben – nicht als Märtyrer; denn dazu wäre ihr Versteck zu Wasser viel zu leicht zu erreichen gewesen, wohl aber als Anachoreten, die mit römischer Kunst und mit römischem Meißel im höhlenreichen Steine sich jene Gelasse schufen und in diesem traumverlorenen Erdwinkel ihrem Cultus, ihrem Gotte lebten. Von jener Zeit an blieben die Heidenlöcher wohl nie ganz unbewohnt und haben zumal während des Dreißigjährigen Krieges, in welchem die weite Umgegend harte Unbilden erlitt, wohl mancher bedrängten Familie ein schützendes Obdach geboten. Auch heute noch deuten frische Rauchspuren auf zeitweilige Insassen.

Der Dichter aber konnte jedenfalls für seinen alten Kaiser kein besseres Plätzchen stiller und einsamer Abgeschiedenheit finden, als diese verwitterten, sagenhaften Höhlen, und wir wollen ihm Dank wissen, daß er durch seinen „Ekkehard“ auch sie der Vergessenheit entrissen hat.

Wir sind noch länger in Goldbach sitzen geblieben und haben dem Sänger des „Ekkehard“ noch manches volle Glas dargebracht – aber nicht in Sipplinger.

F.




Mohammed und sein Werk.


Ein Vortrag von Johannes Scherr.


(Schluß.)


Die Beantwortung der Frage: Welche Glaubenslehre wird im Korân vorgetragen? suche ich möglichst knapp zu formuliren. Bekanntlich ist die Vorstellung vom Dasein einer Gottheit der Punkt, von welchem alle systematisirten Religionen ausgehen und in welchen jede zurückmündet. Der Mensch glaubt, daß ein Wesen über ihm sei, ein höheres, übermenschliches, göttliches Wesen, welches er verehrt, liebt, fürchtet, eine Macht, von welcher er Hilfe und Trost erwartet im diesseitigen und Seligkeit in einem gehofften jenseitigen Dasein. Der Islâm nun, von der Voraussetzung getragen, es wäre rein unmöglich, nicht zu wissen, daß Gott sei, hat sein Gottesbewußtsein, sein Grunddogma zusammengefasst in das lakonische Symbolum: „Lâ ’ilâha illâ ’llâhu,“ d. h. „Kein Gott außer Allah.“ Der Gottesname Allah, sprachlich naheverwandt mit den hebräischen Bezeichnungen der Gottheit (el, eljon, elohim), ist zusammengezogen aus dem Artikel al und dem Substantiv elah und bedeutet „der Verehrungswürdige“, „der Erhabene“. Sein streng-monotheistisches Grunddogma betont der Islâm fortwährend. Der Korân kommt immer wieder auf den Satz von der unwandelbaren Ewigkeit Gottes zurück, nicht selten mit einem polemischen Seitenblick auf die christliche Trinitätslehre. So lautet am Ende der islamischen Bibel die 112. Sure noch einmal nachdrucksam: „Gott ist Einer. Er ist von Ewigkeit. Er ward nicht gezeugt und hat nicht gezeugt. Ihm gleich ist Keiner.“ Trotzdem vermochte dieser strenge und starre Eingottesglaube sich nicht folgerichtig zu erhalten. Alle entwickelteren Religionen beweisen das Bedürfniß des Menschen, zwischen Menschheit und Gottheit eine Mittelstufe zu setzen, und so sah sich auch Mohammed gedrungen und gezwungen, sei es in Anlehnung an die persisch-jüdische Lehre, sei es in Erinnerung an den uralten Geister- und Dämonenglauben seines eigenen Volkes, seinen alleinigen Gott mit Scharen von Engeln als mit dessen Dienern und Boten zu umgeben. Und worauf sollte ferner das in der Welt vorhandene Böse zurückgeführt werden? Doch nicht auf den allmächtigen, allweisen und allgütigen Gott?

Da mußte also die Annahme eines Satans oder Teufels aushelfen, welcher Widersacher Gottes und Verführer der Menschen den Namen Iblis erhielt. Der Gegensatz von Gott und Teufel ist jedoch in der islamischen Dogmatik bei weitem nicht so bestimmt herausgebildet wie in der christlichen. Auch die Bedeutung und Stellung der Dämonen, der sogenannten Djinne, ist im Korân eine unklare und verschwommene, insofern sie nicht immer als böse Geister erscheinen.

Der zweite Hauptlehrsatz des Islâm enthält die Vorherbestimmung der menschlichen Geschicke durch Gott, jene Prädestinationslehre, welche auch in der Geschichte des Christenthums einen so großen Raum eingenommen und so viel Lärm gemacht, im Mohammedanismus aber das große Schisma zwischen Sunniten und Schiiten herbeigeführt hat.

Das dritte Dogma beschlägt das Prophetenthum, indem es feststellt, daß Mohammed der wahre Prophet und Uebermittler der göttlichen Offenbarung sei. Mohammed ist also der Prophet, der Prophet par excellence, jedoch nicht der erste und nicht der einzige. Denn als seine Vorgänger anerkennt der Korân ausdrücklich Mose und Jesus, aber Mohammed ist der Vollender des Prophetenthums.

Das vierte Hauptdogma handelt von der Unsterblichkeit der Seele, von der Auferstehung der Todten, vom Weltgerichte, von der schließlichen Belohnung der Guten und der Bestrafung der Bösen. Diese islamische Eschatologie (Lehre von den letzten Dingen) ist ganz augenscheinlich altpersischen und christlichen Vorstellungen nachgebildet, in ihren Einzelnheiten aber sehr geschickt auf die sinnliche Anschauungsweise der Orientalen berechnet und darum heißblütig-phantastisch ausgemalt.

Wenn das Dogma die Seele der Religion, so ist der Kultus bekanntlich ihr Leib. Da finden wir nun, daß im Islâm das Verhältniß zwischen Seele und Leib, d. h. zwischen Gotteslehre und Gottesdienst, mit äußerster Konsequenz durchgeführt ist. Die strenge Festhaltung des Begriffs eines abstrakten, außerweltlichen, leib- und bildlosen Gottes verwarf und verwehrte das Hereinbrechen weiterer mythologischer Elemente in den Kult und verwarf und verwehrte demzufolge gleichermaßen das Herantreten der Künste zum Gottesdienst. Nur zu Gunsten der Baukunst war eine Ausnahme gestattet, allein die in den Dienst der Religion gezogene Architektur sollte sich bei Schaffung und Auszierung der islamischen Tempel auf das Nothwendigste beschränken. Einen Gottesdienst der Gemeinde kennt eigentlich der Islâm nicht. Die Andachtverrichtung ist Sache des Einzelnen. Den Hauptbestandtheil des muslimischen Gebetes macht die Sure aus, welche den Korân eröffnet. Die Auslegungen von Korânstellen durch die Imame von den Kanzeln der Moscheen herab können als Predigten in unserem Sinne kaum bezeichnet werden.

Die vier großen gottesdienstlichen Pflichten des Muslem aber sind: 1) Das Gebet, täglich fünfmal zu verrichten, mit zur Kaabah gen Mekka gerichtetem Antlitz; 2) das Fasten, namentlich während des ganzen Monats Ramazan vom Sonnenauf- bis zum Sonnenuntergang; 3) das Almosenspenden, d. h. die Mildthätigkeit im engsten und im weitesten Sinne des Wortes; 4) die Wallfahrt nach Mekka, welche jeder Rechtgläubige wenigstens einmal im Leben machen soll. Für weitere gottesdienstliche Verbindlichkeiten gelten: 1) die Beschneidung, 2) häufige Waschungen und Reinigungen, 3) der „Djihad“, d. i. der Krieg gegen die Kiaffir oder Giaurs, d. h. gegen alle Nichtmuslim.

Einen geschlossenen Priesterstand oder gar eine geistliche Kaste hat der Islâm nie gekannt. Er kennt nicht einmal ein Priesterthum, sofern dieses im christlich-kirchlichen Sinne auf einer Weihung beruht. Eine Theokratie allerdings hat der Prophet gestiftet, insofern, dem dogmatisches Ansehen genießenden „Imamet“, d. h. dem Gesetz der Erbfolge, gemäß, die höchste geistliche und weltliche Macht und Gewalt bei seinen Nachfolgern und Statthaltern, den Chalifen, sein sollte. Allein dieser islamische Cäsaropapismus hat seine Einheit und Obmacht bekanntlich nicht lange

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_050.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)