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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

ermahne ich zur Eintracht.“ Dann befahl er, allen seinen Sklaven die Freiheit zu schenken und alles Geld, welches in seiner Kasse, den Armen zu geben. Es war freilich wenig genug, 6 oder 7 Denare. Denn der Fürst der Gläubigen, der Beherrscher Arabiens starb arm. Der 7. oder 8. Juni von 632 war sein Todestag. Da, wo sein Sterbebett gestanden, wurde sein Grab gegraben, bestimmt, das sehnsüchtig erstrebte Ziel der Pilgerfahrt von Millionen zu werden.




7.


Der menschliche Hang zur Mythenbildnerei im allgemeinen und die arabische Fabulirsucht im besonderen haben nicht gezögert, nach dem Hingange des Propheten die Erscheinung desselben, auch die körperliche, mit einem so dicken Nimbus des Wunderbaren zu umhüllen, daß man denselben vorher energisch zerreißen und beseitigen muß, wenn man die wirklichen Umrisse und die wahren Züge des großen Mannes erkennen will. Es ist auch wohl nur billig, daß man bei Vergegenwärtigung seines Gesammtcharakterbildes den Propheten nehme, wie er in seiner besseren und besten Zeit war, wennschon nicht verschwiegen werden darf, daß er in späteren Jahren mitunter, sogar häufig, bedenklich von jenem bösen Gebresten angekränkelt war, welches ich die Weihrauchskrankheit nenne. Gegen die giftigen, Unheil stiftenden Dünste derselben scheint leider kein menschliches Gehirn fest genug vermauert zu sein.

Fassen wir die Züge zusammen, welche uns über die Persönlichkeit Mohammeds überliefert worden, so gewinnen wir dieses Bild: Von Mittelgröße, besaß er einen schlanken, geschmeidigen, sehnigen Wuchs, einen wohlgeformten Kopf, ein rundliches, braunes, rothwangiges Gesicht, mit einer hohen, schön gewölbten Stirn, unter welcher große schwarze Augen hervorblickten, gewöhnlich sanft und träumerisch, stralenwerfend in Augenblicken der Begeisterung, feuersprühend im Zorn. Die schmalrückige Adlernase mit ihren sehr beweglichen Flügeln deutete auf Leidenschaftlichkeit, der Mund mit den vollen, aufgeworfenen Lippen auf Sinnlichkeit, das massive, von einem starken Bart bedeckte Kinn auf Energie hin.

Leicht und lustig ertrug der Prophet Anstrengungen und Strapazen aller Art, ließ sich von Hitze und Frost, von Hunger und Durst wenig anfechten, war ein kühner Reiter, ein geschickter Bogenschütze und Schwertkämpfer, persönlich tapfer, als Führer in der Schlacht ebenso scharfblickend und umsichtig wie als Politiker, als welcher er seine Entwürfe auf das Fundament tiefer und vielseitiger Menschenkenntniß stellte, um sodann mit geduldiger Beharrlichkeit an der Durchführung derselben zu arbeiten. Seine Stimmung äußerte sich in Haltung und Miene zumeist als milder Ernst, aber im Umgang und Gespräch waren ihm die Formen anmuthsvoller Leutseligkeit eigen. Wann Zeit, Ort und Anlaß es forderten, hat sich der sonst gewöhnlich wortkarge Mann zur hinreißenden Beredsamkeit erhoben. Dann strömte die Zunge des Dichters die Eingebungen des Propheten in Worten aus; die flammten wie Blitze und rollten wie Donner. Er war ein durch und durch ehrlicher Mensch, offen und ohne Hehl auch in seinen Fehlern und Ausschreitungen. Nichts Gleißnerisches, Scheinheiliges, Muckerisches war in ihm. Aus der Tiefe einer felsenfesten Ueberzeugung heraus handelte er. Er glaubte an das, was er verkündete, und darum glaubten die Menschen auch ihm. Er war ein Principmann, kein aalglatter Opportunist, kein zweiächslerischer Kompromissekünstler, sondern ein Geradausgänger und weder ein Höfling der Macht noch ein Schmeichler der Menge. Der Grundzug seines Wesens ist zweifellos Liebe zu den Menschen gewesen, wie denn ja, wo diese mangelt, wohl etwa so ephemere Scheindinge wie napoleonische Kaiserschaften aufgeschwindelt werden können, nie aber Bleibend-Großes gedacht, gewollt und geschaffen wird. Es fehlten ihm auch nicht die menschlich guten, feinen und edeln Charakterstriche, deren Mangel an dem berühmtesten Manne der ersten wie gleichermaßen an dem berühmtesten Manne der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so störsam auffällt. Der Prophet war gegen die Menschen billig und nachsichtig, liebte auch einen harmlosen Scherz. Als ihn eines Tages eine alte Frau hartnäckig behelligte mit der Bitte, er möchte doch beim Allah fürsprechen, damit sie ins Paradies käme, sagte er ungeduldig: „Es kommt keine alte Frau ins Paradies.“ Als aber die gute Greisin darob in Schluchzen ausbrach, tröstete er sie, sprechend: „Allerdings kommt keine Alte ins Paradies; denn an der Schwelle desselben werden die alten Frauen durch Allah’s Gnade wieder in schöne junge Mädchen verwandelt.“

Rastlos war sein Wunsch, wohlzuthun, und es ist bekannt, daß er sich in Speise, Trank und Kleidung die größte Mäßigkeit und Sparsamkeit auferlegte, um desto wohlthätiger gegen andere sein zu können. Auch jenes Kennzeichen menschlicher Herzensgüte, das Mitgefühl für die Thiere und die Fürsorge für dieselben, fehlte ihm nicht. Summa: Im seltensten Maße hat Mohammed Genie, Mannhaftigkeit, Einfachheit, Edelmuth und Thatkraft in sich vereinigt. Er war so recht eine elementare Persönlichkeit, ein ursprünglicher Mensch, ein Held im Hochsinn des Wortes, und zutreffender als von jenem etwas zweifelhaften römischen Helden hätte der große Tragiker von dem arabischen rühmen können:

So mischten sich in ihm die Elemente,
Daß die Natur aufstehen durft’ und sagen:
Das war ein Mann!“ …

Einen Dichter, welcher seiner würdig wäre, hat der Prophet Allah’s noch nicht gefunden. Die bekannte Tragödie Voltaire’s ist nur eine im Sinne der aufklärerischen Philosophie des 18. Jahrhunderts gezeichnete Karikatur. Von dem wahren Wesen und Wirken seines Helden hatte der große Spötter gar keine Ahnung. Großartig zwar hat Julius Mosen in den Schlußgesängen seines „Ahasver“ den Eintritt des Islâm in die Weltgeschichte dargestellt, aber wie sehr haben wir es doch zu beklagen, daß die jugendfeurige Absicht Göthe’s, einen Mohammed zu dichten, nicht zur Verwirklichung gelangt ist!

Das Werk aber dieses Mannes darf nicht nach dem Anblick beurtheilt und gewerthet werden, den es heute darbietet. Vom Anfang an zwar war es, wie alles Menschliche, mit dem Mal der Vergänglichkeit bezeichnet, allein der Islâm in seinem Niedergang darf uns nicht ungerecht machen gegen den Islâm in seinem Aufgang. Seit länger als einem Jahrtausend ist dieser Glaube für hunderte und wieder hunderte von Millionen Menschen der Inhalt ihres Denkens, ihr heiligster Besitz, ihr höchstes Hoffen, ihre mächtigste Stärkung, ihr bester Trost gewesen. Und mit welcher Kraft und mit welchem Glanz hat diese Religion ihre Eroberungsrolle durchgeführt! Binnen des ersten Jahrhunderts schon nach dem Tode des Propheten langte der Mohammedanismus mit seiner linken Hand an den Ebro in Spanien und mit seiner rechten an den Ganges in Indien. Der arabischen Unwiderstehlichkeit hat nur germanische Unbesiegbarkeit den Weg zur Weltherrschaft zu verlegen vermocht. Großes also vollbrachte der Islâm mit dem Schwert, aber Großes auch mit dem Geiste. Was alles das christliche Mittelalter der weit vorgeschritteneren islamischen Bildung zu verdanken hatte, ist bekannt. Unter dem Schutze der Chalifate von Bagdad und von Kordova sind herrliche Kulturfrühlinge aufgeblüht. Die Prachtbauten von Kordova, Sevilla und Granada, wie die von Delhi und Agra, zeugen noch jetzt beredsam von dem künstlerischen Wollen und Können dieser Kultur, welche der Weltliteratur einen Firdusi, Sadi, Dschelaleddin, Hafis, Hariri und alle die spanisch-arabischen und sicilisch-arabischen Dichter gab, der Wissenschaft einen Avicenna und Averroes, eine ganze Reihe von Mathematikern, Astronomen, Forschungsreisenden und Heilkünstlern, sowie auch aus dem Boden philosophischer Spekulation den Sufismus hervortrieb, jenes pantheistische Evangelium freudiger Gotttrunkenheit. Das alles ist nicht verloren, sondern vielmehr zum Gesammteigenthum der civilisirten Menschheit geworden.

Derzeitig freilich scheint der Islâm, schon seit Jahrhunderten von innen heraus gewelkt, im Absterben begriffen – wenigstens in seinen staatlichen Formen und Gestaltungen. Der Möglichkeit einer Wiederverjüngung steht sein ganzes Wesen entgegen. Allah wird an ihm wohl kein solches Wunder thun, wie der Prophet jener weinenden Greisin tröstend eins in Aussicht stellte. Das Endschicksal alles Gewordenen und Werdenden, das Vergehen, das Schicksal von Religionen, Staaten, Völkern, Rassen, von Weltkörpern sogar, wird auch das des Islâm sein. Schon seit lange hört man ja in russischen und anderen Staatskanzleien die Diplomatenfedern kritzeln, welche ihm das Testament aufsetzen, dem armen „kranken Mann“ von Mohammedanismus, den die Unentwickelbarkeit seines Dogma’s und der daraus entsprungene dumpfe Fatalismus mit dessen ganzem verderblichen Gefolge, Sultanismus, Vielweiberei, Sklavenwesen, Unwissenheitsdünkel und Trägheit, zu

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_052.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)