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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Kopf gesetzt, die Stadt nicht zu verlassen, bevor ich meinen hohen Gönnern eine Probe meiner Kunst geliefert habe. Ich will zeigen, was ich kann.“

Grüßend schwenkte er den Hut.

„Sie werden jedenfalls noch von mir hören,“ sagte er mit einer Art von herausforderndem Nachdruck und schritt in den Wald.

„Oho! Das klang ja zuletzt fast wie eine Drohung,“ meinte Edwin, der schon begonnen hatte, sich an dem komisch pathetischen Wesen des sonderbaren Gesellen zu belustigen.

Hilda hatte für den Spaziergang alle Lust verloren; sie hieß den Knecht deshalb willkommen, der sich in einer wichtigen Angelegenheit von ihr Raths erholte, was ihr den Vorwand bot, ihren Begleiter zu verabschieden und sich nach dem Hofe zu begeben.




4.

Herbst! Herbst! – Dem Herbste hatte Hilda’s Seufzer gegolten, und doch war dieser, als der Seufzer erklang, noch ein munterer alter Bursche gewesen, der in seiner bunten Narrentracht gar malerisch aussah und statt der lustig klingelnden Schellen reife Früchte schüttelte. Damals war er noch bei Laune – nun aber, nachdem rauhe Tage in’s Land gezogen, hatte er seinen grauen Mantel umgeworfen und fegte mit ihm über die Fluren, daß sich die Falten des Mantels im Winde blähten, und wo er zwischen die Bäume des Waldes gerieth, da troff aus dem zerfetzten schmutzigen Saume das Wasser.

So düster war heute der stürmische Mittag, daß er fast dem grauenden Morgen glich, und was ihm einen noch unfreundlicheren Charakter lieh, das war der dichte Sprühregen, welcher leise niederging und den Lehmgrund des schmalen Waldsträßchens schier aufweichte. Hilda, die des Weges daherkam, dachte diesmal nicht an den Herbst; sie hüllte sich fester in das über den Regenmantel geworfene Tuch und strebte tapfer vorwärts. Es galt ja ein gutes Werk, und der Streit mit der erregten Natur war das beste Mittel gegen jede melancholische Anwandlung; denn er gab ihr das stolze Vollgefühl siegreichen Wollens und ungeminderter jugendlicher Kraft.

„Hier ist’s gewesen,“ sagte der junge Waldhüter, der sich dicht hinter ihr hielt, als sie ungefähr in der Mitte des Hohlweges an eine Stelle gekommen waren, wo an der ausgewaschenen wohl drei Meter hohen Wand ein frischer Riß sichtbar war. „Er muß in der Dunkelheit da oben am Rande gegangen und sammt demselben abgerutscht sein.“

Oertlichkeit und Thatbestand schienen aber für Hilda weniger Wichtigkeit zu haben, als ihr Begleiter ihnen beizulegen bestrebt war. Sie nickte nur und schritt, möglichst von Stein zu Stein tretend, auf dem schlüpfrigen Wege weiter. Nicht die Art, wie Jemand ihrer Hülfe bedürftig geworden, war ihr die Hauptsache, sondern daß diese Hülfe ihm möglichst rasch zu Theil werde.

Vor einer Viertelstunde saß sie noch in ihrem behaglichen Zimmer, ihren Gedanken überlassen, wie ihr das in den letzten Tagen geradezu zum Bedürfniß geworden. Da hatte sich nach mehrmaligem schüchternem Klopfen die Thür aufgethan, und der Waldhüter war verlegen und ehrerbietig eingetreten. Es war noch nicht lange her, daß er auf die durch den Tod seines Vorgängers erledigte Stelle versetzt worden war, und so hatte er sich noch nicht auf dem Gute eingelebt. Was er vorzubringen hatte, kam daher einigermaßen unbeholfen von seinen Lippen.

Er habe – so berichtete er – gestern Nacht beim Nachhausegehen einen Menschen im Hohlwege liegen gefunden und anfänglich für todt oder schwer betrunken gehalten; dem sei aber, wie sich bald herausgestellt, nicht so gewesen. Der Mann müsse sich bei einem Falle weh gethan haben und ohnmächtig geworden sein. Er habe ihn darum, als er zu sich gekommen, mit in das nahe Jägerhaus genommen, und weil es doch schon spät gewesen sei und der blessirte Mensch seinen Weg unmöglich fortsetzen konnte, ihm allda auch ein Nachtlager gegeben. Wie ein echter Handwerksbursche habe er allerdings nicht ausgesehen, doch auch nicht wie ein Strolch; nach der Kleidung könne man ja heutzutage nicht mehr schließen, da die Arbeiter jetzt oft elegantere Anzüge trügen als die Herren. Um ein Wanderbuch habe er auch nicht fragen wollen; der arme Teufel habe doch gar zu müde und elend ausgesehen; einer Nacht wegen wär’s ja am Ende auch gleichgültig, wem man ein christliches Erbarmen angedeihen ließe.

Mit dem Weiterwandern am Morgen sei es aber, wie sich bald herausgestellt habe, nichts gewesen, und als er, der Waldhüter, von seinem vormittägigen Gange zurückgekehrt, da sei der Fremde noch immer im Jägerhause gelegen. Er hätte lange und wie ein Todter geschlafen; als er endlich erwacht wäre, da hätte er absolut nicht auftreten, ja nicht einmal in die Stiefel kommen können.

„Ja, sehen Sie, gnädiges Fräulein, der Fuß ist am Knöchel ganz verschwollen; er muß ihn sich verstaucht haben,“ schloß der Waldhüter seinen Bericht, „und da schickt mich die Trine her, ob das gnädige Fräulein nicht vielleicht noch etwas von der kräftigen Salbe hätten, die ihr im letzten Winter so gut gethan.“

Hilda war sogleich bereit, dem Wunsche zu entsprechen; es kam nicht selten vor, daß die Leute im Dorfe, um den weiten Weg in die Stadt und die Kosten bei Arzt und Apotheker zu sparen, an ihre Hülfe appellirten, und sie wäre ja keine echte Gutsherrin gewesen, hätten sich bei ihr nicht allerlei einfache Medicamente und erprobte Recepte gefunden. Es nahm sie nur Wunder, daß der Jägersmann sich mit dem ihm eingehändigten Büchschen nicht zufrieden gab. Er verweilte noch.

„Haben Sie noch etwas auf dem Herzen?“ fragte Hilda.

Endlich faßte er Muth.

„Ja,“ sagte er zaudernd, „ich weiß nicht, ob ich so etwas ausrichten darf: Die Trine meinte nämlich, es sei sonst wohl auch noch etwas an dem armen Kranken zu heilen, das würden aber das gnädige Fräulein besser verstehen – ein innerlicher Schaden, für den es vielleicht hier im Schloß ein Mittel gebe. Da wäre aber das Beste, das gnädige Fräulein kämen selber nachsehen, was sich schicke, meinte die Trine – ich weiß nicht, denkt sie an Tropfen oder an einen Trank? Bei dem schlechten Wetter hätte ich’s gar nicht gewagt, ein solches Ansinnen zu stellen, aber die Trine sagte, ich kenne das gnädige Fräulein noch nicht, und die mache sich gar nichts aus einem bischen Naßwerden, wenn es sich um ein armes Menschenleben handle, und das Reden könne mir nicht den Kopf kosten, wohl aber das Schweigen meine Stelle, meinte die Trine.“

„Nun, so arg wird es in keinem Falle sein,“ tröstete ihn Hilda freundlich.

„Das habe ich wohl gedacht,“ erwiderte er aufathmend, „aber am Ende hatte ich doch Angst. Du großer Gott, man weiß ja nie, wie’s die Alte meint. Gleich darauf hat sie mir wieder angedroht, es könne mir meine Stelle kosten, wenn ich nicht schweige. Keinem Menschen sollte ich nämlich etwas davon sagen, als nur dem gnädigen Fräulein selbst. Sie wird alle Tage wunderlicher, die Trine. Da hat sie dem fremden Menschen gestern sogar in ihrer eigenen Kammer gebettet und sich selbst auf die Streu gelegt. Das geht mich eigentlich nichts an, aber verkehrt ist’s doch, und wahrhaftig – ich weiß nicht – ich habe sie bisher behalten, weil ich allein steh’ und sie als eine Art Inventarstück mit dem Jägerhause übernommen – aber –“

Hilda sprach ihm Geduld zu. Die an sie ergangene Aufforderung kam ihr zwar auch etwas verwunderlich vor, aber so genau konnte man es bei der Alten mit der guten und feinen Lebensart nicht nehmen. Genau genommen hatte sie ja auch Recht. Die nächstbeste Medicin that es nicht; wenn der fremde Mensch krank war, mußte vielleicht der Arzt in Anspruch genommen werden, und darüber traf Hilda unbedingt am besten die Entscheidung, wenn sie sich selber überzeugte, wie es mit dem Kranken im Jägerhause stand; es kostete ja auch nur einen Gang durch ein bischen Regen und Wind, und dagegen war sie abgehärtet.

Sie hatte nicht lange überlegt, sondern sich rasch gerüstet, und nachdem sie ein paar Fläschchen zu sich gesteckt, war sie mit ihrem Begleiter direct durch den Blumen- und Baumgarten nach dem Jägerhause aufgebrochen. Jetzt war sie am Ziele.

„Da hat die Alte gar die Thür verschlossen – bei helllichtem Tage, als ob es bei uns etwas zu stehlen gäbe! Trine! Trine!“ rief der Waldhüter unmuthig anpochend. Dann wendete er sich wieder, den Hut langsam ziehend, an Hilda: „Brauchen mich das gnädige Fräulein noch – vielleicht für den Rückweg?“

„Nein, Halder, den finde ich schon allein.“

„Es ist nur, weil ich drüben in Großdorf zu thun hätte. Eine Holzversteigerung, gnädiges Fräulein!“

Hilda beruhigte den dienstfertigen Mann und hieß ihn, sich nicht aufhalten. Er pfiff dem Dachshunde, der lustig wedelnd über die Schwelle gehumpelt kam, und schlug, nochmals grüßend,

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