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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 5.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Der heimliche Gast.
Erzählung von Robert Byr.
(Fortsetzung.)


„Widersprechen? Wozu? Du glaubst mir ja doch nicht,“ antwortete ihr Wilhelm.

Der vergiftete Humor spielte nun wieder um die zusammengepreßten, müden Lippen des abgezehrten Mannes und furchte die grauen, scharf eingegrabenen Linien an den Mundwinkeln bis zur Nase hinauf noch tiefer aus. Es war ein seltsamer Widerstreit zwischen Verwilderung und Gram, der an diesen einst so schönen, nunmehr aber verlebten und krankhaft zugespitzten Zügen gearbeitet und seine unverwischbaren Spuren hinterlassen hatte. Jetzt, wo der Kopf des Kranken wieder wie der einer Leiche in die Kissen zurücksank, hatte sein Anblick etwas wirklich Schreckhaftes.

Hilda kämpfte eine tiefe Bewegung in sich nieder.

„Ich muß meine Frage wiederholen,“ sagte sie mit erzwungener Ruhe. „Was soll nun werden – –?“ Sie stockte.

„Sprich nur aus, Hilda,“ sagte er tonlos, „sprich aus, was Dir auf den Lippen schwebt! Sag’ nur gerade heraus: ‚Gesehen haben wir uns nun, Bruderherz – fahr weiter!‘ Bin just mit Zärtlichkeiten nicht verwöhnt. Ich sehe schon, das Beste ist, ich hebe mich hinweg. Es ist ja auch alles eins, wo es ausläuft. Ich meinte nur, es müsse gerade hier sein; man ist so sehr Gewohnheitsmensch, siehst Du. Wie ein Wink war’s mir: ,bis hierher hat dich dein Fuß getragen‘. Es ist Aberglaube: weiß wohl, man spottet darüber, aber man kann das Zeug doch nie ganz los werden – die dummen Ammenmärchen! Ja, Du mußt Dich freilich überzeugen, ob es nicht ebenfalls erlogen oder anempfunden ist, was ich Dir da von den Ammenmärchen sage – ja, freilich: ich könnte auch das simuliren; – ist mir alles zuzutrauen. Sonderbar ist’s aber doch, daß meine Kraft nicht früher versagte und mich bis hierher trug, als die Baarschaft für die Bahn nicht mehr weiter reichen wollte. Ja, hätt’ ich nur nicht die dumme falsche Scham gehabt, so wäre ich nicht bei Nacht und Nebel hier eingezogen, und bei Tage hätte ich den Fall nicht gethan. So hängt eins mit dem andern zusammen, Hilda.“

Während er so matt dahinplauderte, wie wenn er, von einem kurzen Ausflug zurückgekehrt, seine kleinen Abenteuer, und diese auch nur in Ermangelung von etwas Interessanterem, beiläufig mittheile, war Hilda stumm geblieben, aber, durch seine Worte an den Bericht des Jägers erinnert, daran gegangen, den auf der Bank ruhenden Fuß seiner Umhüllung zu entkleiden; sie erschrak über den Anblick, der sich ihr bot.

„Ich habe gleich heißen Camillenthee aufgelegt,“ erklärte die Alte hinzutretend und nicht ohne Selbstgefühl; sie hatte bei dem Zwiegespräch zwischen Bruder und Schwester immerfort den Kopf geschüttelt und dann und wann die Hände wie betend erhoben.

„Aber, Trine,“ sagte Hilda jetzt, „das ist ja keine Gichtgeschwulst. Es gehörten kalte Umschläge darauf, damit die Hitze der Entzündung ausgezogen werde. Schaffen Sie doch schnell frisches Wasser, wenigstens eine Schüssel voll!“

„Ich will auf der Stelle zum Brunnen gehen,“ antwortete Trine. „Gleich bin ich wieder da.“

„Ja ja, sorgt nur, daß ich rasch wieder hergestellt bin!“ nahm Wilhelm wieder das Wort. „Mit solchem Bein marschirt sich’s etwas unbequem.“

„In diesem Zustande kannst Du nicht fort, Wilhelm. Und wohin willst Du überhaupt? Was willst Du beginnen? Harrst Du denn bei etwas aus? Hast Du Willenskraft genug, um etwas anzufassen?“

Er schwieg. Nicht ein einziges Wort hatte er auf den gerechten, aber harten Vorwurf zu erwidern, der in dieser Frage lag, aber ein Strahl schmerzlicher Demüthigung in seinen sich langsam schließenden Augen begegnete Hilda’s verächtlichem Blicke.

Plötzlich fuhr Hilda betroffen aus ihren Gedanken auf. War das nicht ein Schatten, der da am Fenster vorüberstreifte? Eine fremde Stimme ließ sich neben ihr vernehmen.

„So! Klapp! Falle zu! Der Vogel ist gefangen.“

Ein Gesicht lachte höhnisch über Hilda’s Schulter herüber – dasselbe breite, verschlemmte Gesicht, das sich schon zweimal an die kleinen Fensterscheiben gelegt hatte, ohne daß die im Zimmer Befindlichen etwas davon geahnt. Der außen Lauernde mußte die Gelegenheit wahrgenommen haben und durch die von Trine, welche noch am Brunnen schöpfte, diesmal offen gelassene Thür hereingeschlüpft sein. Hilda hatte den Sinn der Worte gar nicht gefaßt und gab nur ihre Entrüstung kund über die Unverschämtheit des Mannes, sich auch hier einzudrängen.

„Was wollen Sie schon wieder?“ fragte sie. „Sie wählen Ihre Zeit schlecht.“

„Im Gegentheil, gnädiges Fräulein! Noch nie hat mich ein Stern günstiger geführt als eben jetzt. Ich komme ja gerade recht, um meinen theueren Bill auf Europas Boden willkommen zu heißen. Sei mir gegrüßt, Du Gatte meines Kindes!“

Und unvermittelt aus dem Pathos in einen natürlicheren Ton übergehend, fuhr der alte Bauchredner und Taschenspieler mit der Verbeugung eines Bühnenbonvivants fort:

„Ich habe Versäumtes nachzuholen, ein grobes Versehen gut

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_073.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)