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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

zu machen, mein Fräulein, indem ich mir die Ehre nehme, mich Ihnen vorzustellen. Mein Name ist Ihnen vielleicht nicht unbekannt; ich heiße: Louis Schöpf. Dieser Name sagt alles: Louis Schöpf, Theaterdirector außer Dienst, durch die Tücke des Schicksals arg reducirt im Personale, in Garderobe und sonstigen Requisiten. Aber wie ist’s, Wilhelm“, wandte er sich an den schweigend aufhorchenden Kranken, „magst Du Deinem zärtlichen Schwiegerpapa nicht die Hand reichen? Du hast wohl nicht erwartet, mich so bald zu sehen?“

Schöpf lachte spöttisch, was ihm das Aussehen eines kollernden Truthahns gab.

„Und auch nicht gehofft,“ sagte Wilhelm in müdem Tone.

„Glaub’s wohl, glaub’s wohl, mein Junge,“ höhnte Herr Louis Schöpf, Theaterdirector außer Dienst, auf dieses nicht sehr schmeichelhaft klingende Bekenntniß unbekümmert weiter. „Aber man muß gute Lebensart zeigen und seinen Freunden in der Höflichkeit zuvorkommen. Du ahnst nicht, mein Sohn, wie sehr ich nach diesem Wiedersehen schmachtete.“

„Ich meinerseits hätte gern darauf verzichtet.“

„Nicht möglich! Du verkennst Dein eigenes besseres Selbst. ‚Ich kann’s, ich kann’s nicht glauben,‘“ parodirte er den „Wallenstein“, „‚daß mich der Max verläßt‘.“

Bisher hatte Hilda wortlos und mit wachsendem Erstaunen zugehört.

„Sie sehen, mein Herr,“ sagte sie jetzt mit selbstbewußtem Stolz, „daß man Ihre Anwesenheit hier nicht begehrt.“

„Das ist allerdings sehr kränkend für mich, keineswegs aber maßgebend,“ erklärte er. Sein Ton hatte wieder gewechselt; er war jetzt scharf und boshaft geworden. „Ich habe nicht umsonst mein ganzes Talent und den feinsten Spürsinn aufgeboten, um diese Zusammenkunft herbeizuführen, mein Fräulein. Seit ich Nachricht von der Abreise meines hochwohlgeborenen Herrn Schwiegersohnes erhalten, machte ich es mir zur Aufgabe, vor ihm hier einzutreffen; denn endlich, sagte ich mir, muß das Schiff hier einlaufen; es hat keinen andern Hafen. Wozu sollte ich auch auf’s Ungewisse auf den Landungsplätzen und Bahnhöfen liegen? Hier galt es zu sondiren, zu recognosciren und – zu warten. Geduld, weiter nichts, und sie hat sich gelohnt. Ich brauchte ja nur das gnädige Fräulein im Auge zu behalten. Empfangen Sie meinen Dank, schöne Dame! Sie waren es selbst, die mich hierher geführt. – Ich arbeite ganz ohne Apparat. Ein Bischen Geschicklichkeit, ein Bischen Verstand, ein Bischen Combination. Un, deux, trois! Allez, passez! Et me voilà!“

„Aber dennoch muß ich bitten –“

„Laß’ ihn!“ unterbrach Wilhelm die Weisung seiner Schwester.

Jetzt trat auch Trine wieder ein, und Hilda, die es in Gegenwart der Alten zu keiner Scene kommen lassen wollte, nahm ihr ohne ein weiteres Wort die große Schüssel ab und machte sich an ihren Dienst als Krankenpflegerin. Sie holte ihre Fläschchen hervor, goß aus dem einen gelbliche Tropfen in das Wasser und tauchte mit ihren zarten, sich rasch röthenden Fingern die gefalteten Drelltücher ein, welche die Alte in Eile aus der Kommode herbeischaffte, während sie fortwährend verwunderte und nichts weniger als freundliche Blicke auf den neuen Gast, den Taschenspieler, warf, der ohne ihr Wissen Eingang in ihre Wohnung gefunden und sich dort nun schon ganz wie eingebürgert benahm.

Er hatte sich an der äußersten Tischecke, dem Kranken gegenüber, niedergelassen, seinen Hut abgelegt und es sich bequem gemacht.

„Ein Glas Wein würde ich jetzt nicht verschmähen,“ bemerkte er mit unverblüffter Sicherheit. „Ist wohl keins vorräthig für den Moment. Na, wird schon anders werden. Werden uns wohl für ein paar Tage häuslich hier einrichten müssen, denk’ ich. Der Fuß sieht verflucht gepolstert aus. Hm, so ein Bischen Ausruhen in guter Gesellschaft schadet nichts. Man erzählt seine Erlebnisse – muß ein sehr interessantes Land sein, Amerika; man macht Pläne; dann wieder ein Spielchen; so vergeht die Zeit. – Rouge ou noir? Ehrlich ohne Kunstgriff, auf Parole! Was ist der Einsatz?“

Er hatte dabei ein schmutziges Spiel Karten aus der Tasche oder vielleicht auch aus dem Aermel gezogen, mit einem geschickten Aufblättern durch die Finger laufen lassen, abgehoben und mit einem Schlage auf den Tisch gelegt. Aber Niemand als die Alte, welche jetzt ganz zornig blickte, schien davon Notiz nehmen zu wollen.

„Gehen Sie, Trine,“ sagte jetzt Hilda, welcher die Gegenwart der Haushälterin inmitten dieser bedenklichen Situation höchst peinlich war, „gehen Sie in die Schloßküche und besorgen Sie uns zur Stärkung des Kranken etwas alten Wein! Ich werde unterdessen selbst das Wechseln der Tücher besorgen.“

Trine ging eilfertigen Fußes, aber nicht ohne dem unliebsamen Gaste dort am Tische noch einige Blicke des Mißfallens zuzuwerfen.

Hilda sah sich aber kaum mit den beiden Männern allein, als sie auch schon mit unverhohlenem Widerwillen an ihren Bruder die Frage stellte, ob sie nicht vielleicht selber das Zimmer hätte räumen sollen, damit der vertraute Verkehr zwischen ihm und dem Manne da sich ungestört entwickeln könne.

„Ich bin neugierig,“ sagte der Kranke, ohne auf ihre Frage einzugehen, „wohinaus die Spionage führen wird. Ohne Zweck nimmt man sich nicht die Mühe, irgend Jemand auszukundschaften. Das geschieht nur Leuten, an denen etwas gelegen ist. Ich habe also noch Werth? Das giebt mir wirklich ein Gefühl des Gehobenseins.“

„Du solltest daran doch nicht zweifeln,“ nahm Schöpf mit einem gewissen Pathos das Wort, indem er die Karten mischte, „daß es Herzen giebt, für welche Dein Verschwinden nicht ohne Wichtigkeit ist. Solche Zweifel sind tief kränkend.“

„Hm! Ich muß doch fortfahren, Dich zu kränken.“

„Und gedenkst Du nicht Deiner Frau, die Du allein und hülflos in fremdem Lande zurückgelassen, gleich einer Ariadne im Labyrinth des Lebens?“

„Ich habe in der That jetzt sehr viel Aehnlichkeit mit Bacchus.“

Aetzender Spott durchtränkte diese Worte, so müde sie Wilhelm auch vor sich hin sprach.

„Sie war es, die mir schrieb,“ fuhr der Taschenspieler fort, „sie forderte mich auf, Deiner Spur nachzugehen. Ihre Sehnsucht ließ den Brief gleich einer Taube ausflattern –“

„O, wirklich? Wo sie nur die Taube hergenommen hat? Ich vermuthe, sie stammt noch aus dem väterlichen Requisitenschatz. Also Alma? Ich hätte ihr wirklich nicht so viel Zärtlichkeit zugetraut, daß sie mich zurückhaben will. Es ist rührend. Wann soll ich abreisen?“

„Abreisen, mein Sohn? Ja, siehst Du, einer Wiedervereinigung setzen sich für’s Erste allerdings noch einige Hindernisse entgegen,“ sagte er einigermaßen verlegen. „Meine Tochter hätte sogar Anlaß zu einer Scheidungsklage –“

„Zugestanden.“

„Und in diesem Falle Ansprüche zu erheben –“

„Natürlich, natürlich; das ist mir ganz entgangen. Genau betrachtet, wog ich doch nicht gar zu leicht. Ab und zu konnte eine geschickte Scheere noch einen Coupon von mir abschneiden, der am Verfallstermin immer noch von einer gutmüthigen Seele eingelöst wurde, nämlich zur Anschaffung von Nähmaschinen und dergleichen nothwendigem Hausrath einer Coupletsängerin.“

„Wilhelm,“ sagte der Alte mit dem sentimentalen Bühnenpathos des „edlen Vaters“, „Du solltest mit mehr Achtung von meiner guten Tochter, von Deiner Dich innig liebenden Frau sprechen, von diesem edlen, aufopferungsvollen Wesen, das Dir in’s Exil folgte, und zwar mit bewundernswerther Hintansetzung ihrer tief verletzten besseren Gefühle, von ihr, die sogar der Mißdeutung einer vorurtheilsvollen Welt Trotz bot, um die Noth von den Häuptern ihrer Lieben abzuwenden. Wilhelm, willst Du es ihr zum Vorwurf machen, daß sie zur göttlichen Kunst zurückkehrte, als ihre ach! um Euretwillen wundgearbeiteten Hände das Brod für ihr darbendes Kind nicht mehr herbeizuschaffen vermochten?“

„Singst auch Du das Lied?“ erwiderte ihm Wilhelm, wie aus seinem Hindämmern plötzlich erwachend, mit Heftigkeit. „Wer von uns Beiden ist der Narr? Streut Eure Lügen auf alles, nur nicht auf dieses kleine Grab.“ Er richtete sich mit aller Anstrengung seiner erschöpften Kraft über dem Tische auf, und über die hageren Wangen flammte eine heißlodernde Röthe empor. „Wenn unser Kind nicht darben sollte, warum verschwendete die Mutter das Vermögen, das der kleinen Anny dereinst zugefallen wäre? Längst, längst wollte ich das arme Ding mit mir nehmen und fortgehen, weit, weit weg. Hätt’ ich es doch gethan! Aber schwach war ich all mein Lebelang, erbärmlich schwach. Es hing so sehr an der Mutter, und ich war zu feig, dem kleinen Herzen ein Weh anzuthun. Jenes Weib aber wußte das und hielt mich an dem Faden, hielt mich fest, bis – er riß.“ Er schwieg einen Augenblick und seufzte laut. „Was soll ich jetzt bei Alma?“ fragte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_074.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)