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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

vollzählig zusammenfanden, schloß Völk sich der nationalliberalen Partei an und zählte fortan zu ihren thätigsten und regsten Mitgliedern, zugleich zu den zuverlässigsten Förderern der damaligen Politik des Reichskanzlers.

Bekannt ist, daß die Einführung der Civilehe und der Civilstandsregister namentlich aus der Anregung Völk’s hervorging. Die Verhältnisse in Baiern hatten ihm die Nothwendigkeit derselben nahe gelegt, war doch für die katholische Geistlichkeit das Trauungsmonopol zu einer Handhabe religiöser Intoleranz geworden, und machte sie bei Eingehung gemischter Ehen ihren Consens doch geradezu von der Bedingung abhängig, daß die Brautleute sich verpflichteten, ihre späteren etwaigen Kinder katholisch erziehen zu lassen, während von katholischen Eheleuten das Bekenntniß zum Unfehlbarkeitsdogma verlangt wurde.

Nachdem die baierische Abgeordnetenkammer einen bereits eingebrachten Gesetzentwurf, wenn auch mit geringer Mehrheit, abgelehnt hatte, blieb nur der Reichstag als weitere Instanz für die Abhülfe der schreienden Mißstände übrig, und so brachte Völk schon im Jahre 1872 eine Resolution an die Reichsregierung ein. Sie wurde angenommen, als aber die letztere mit der Einbringung des Entwurfes zögerte, veranlaßte er mit Hinschius die Initiative des Reichstags, und da die Sache in einer Commission vergraben zu werden schien, brachte er in der Frühjahrssession 1874 den Antrag von Neuem ein. Nun erlangte der Entwurf mit großer Mehrheit die Annahme.

In seiner auch hier wieder wesentlich entscheidenden Rede führte Völk aus, daß der Staat, indem er das Recht der Eheschließung selbst beanspruche, im Grunde genommen nichts weiter verlange, als was ihm von Alters her bereits zustand; denn die Eingehung der Ehe vor Laien war die ursprüngliche, die echt deutsche Form. Erst später, führte der Redner weiter aus, und es ist geboten, gerade jetzt wieder auf das damals Gesagte zurückzukommen – erst später habe die Kirche, treu ihrem Grundsatze, sich in alles zu mengen, dem Staate sein gutes Recht entzogen. Der ultramontane Abgeordnete Dr. Jörg wollte umgekehrt in dem Gesetze einen Eingriff des Staats in die Rechte der Kirche finden, und ihm hielt Völk mit Recht entgegen: wenn man sagen wolle, der Staat habe hier einen Rechtsbruch begangen, so sei ihm das gerade so unerfindlich, als daß die vatikanischen Decrete nichts an der katholischen Kirche geändert hätten.

Wie im Reichstag dem Reichskanzler, so war Völk in der baierischen Kammer dem liberalen Ministerium Hegnenberg-Lutz eine kräftige Stütze, wie denn auch die Einfügung des sogenannten Kanzelparagraphen in das Reichsstrafgesetzbuch, der dem Mißbrauche der Kanzel und der geistlichen Stellung zu staatsfeindlichen Agitationen steuern soll, wesentlich das Werk des den Antrag der Regierung lebhaft unterstützenden Völk ist.

Stand somit Völk bis dahin immer auf dem Boden der nationalliberalen Partei, so wurde dieser feste Boden für ihn ein schwankender, als die neue Wirthschafts- und Zollpolitik des Reichskanzlers ihren opferreichen Einzug in das Haus der Abgeordneten hielt. Völk hatte seine national-ökonomische Bildung aus den Schriften des schutzzöllnerischen Volkswirthes List gezogen, und die Beziehungen persönlicher Freundschaft zu den Großindustriellen seiner baierischen Heimath hatten ihn darin nur bestärkt.

Als daher nach dem Ende der Aera Delbrück der Reichskanzler, dem Völk mit hoher persönlicher Verehrung zugethan war, die gleichen schutzzöllnerischen Bahnen wie Völk’s volkswirthschaftliches Vorbild, Friedrich List, zu wandeln begann, da war gegen diesen gemeinsamen Druck der Gegendruck der Fractionspolitik nicht mehr stark genug, und die Katastrophe war unausbleiblich. Sie brach denn auch herein und zwar leider weit schroffer und herber als die Verhältnisse dazu nöthigten; sie wurde herbeigeführt durch den ominösen Antrag Frankenstein, der für die Parteiverhältnisse, besonders aber für die nationalliberale Partei eine so verhängnißvolle Tragweite gewann. Dieser Zusatzantrag des Centrumsmitglieds von Frankenstein vom Zolltarifgesetzentwurf vom 10. Juli 1879, beabsichtigte die Ueberweisung des Ueberschusses der Zölle und der Tabakssteuer an die einzelnen Bundesstaaten nach Maßgabe der Matricularbeiträge und unter Zugrundelegung eines dreijährigen Durchschnittsergebnisses.

Die liberalen Parteien erblickten in diesem Antrage eine Hintansetzung des konstitutionellen Budgetrechtes, eine Verschiebung der Verhältnisse der Reichsgewalt zu der Vertretung in den Einzelstaaten, eine Conservirung der Matricularbeiträge, deren endliche Beseitigung durch eine Steigerung der Reichseinnahmen erwünscht erschien. Bennigsen, der Führer der nationalen Partei, stellte deshalb einen Gegenantrag, der die Selbstständigmachung des Reichs und seiner Finanzwirthschaft durch die jährliche Feststellung der Zollsätze im Reichshaushaltetat und damit zugleich eine Wahrung der konstitutionellen Garantien bezweckte. In der Fractionssitzung kam es bereits zu einem heftigen Für und Wider. Dennoch erklärten am Schlusse Völk und Treitschke, daß sie, obwohl sie dem Frankenstein’schen Antrage eine principielle Bedeutung beimessen könnten, dennoch gegen denselben stimmen würden.

In der Reichstagssitzung Tags darauf legte Fürst Bismarck, wie er das gern in allen entscheidenden Lagen zu thun pflegte, das ganze Gewicht seiner, wir möchten sagen historischen Persönlichkeit zu Gunsten des von der Regierung adoptirten Antrags Frankenstein in die Wagschale. Er werde, sagte er, den Weg, den er betreten und den er für recht und gedeihlich halte, bis an’s Ende gehen. Möge er darum Haß oder Liebe ernten. Die Einigung Deutschlands zu fördern und so zu erhalten, daß sie dauernd erhalten bleibe, aus dem freien Willen aller Mitwirkenden, sei von Anfang an sein Streben gewesen.

Dieser Berufung an seinen eigenen Idealismus widerstand Völk nicht. Angesichts der Bennigsen’schen Erklärung, daß die ganze nationalliberale Partei beschlossen habe, gegen den Antrag Frankenstein zu stimmen, und des von der Regierung erklärten Bruchs mit den liberalen Parteien, stimmte er für den Antrag. Er könne, meinte er in seiner Rechtfertigungsrede, die grundsätzlichen Bedenken gegen denselben nicht theilen, mindestens seien sie nicht so tiefgreifend, daß er es verantworten könne, deshalb dem deutschen Volke das ganze große Reformwerk des Reichskanzlers vorzuenthalten. „Wo Begriffe fehlen,“ schloß er mit einem schwungvollen Citate aus Goethe’s „Faust“, „da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.“

Das Citat war unglücklichen Ursprungs; denn es entstammt bekanntlich dem Munde Mephisto’s, der die Worte dem Schüler gegenüber gebraucht, mit dem er seinen Spott treibt. Weit schlimmer aber war es, daß Völk nicht das that, was Treitschke that, daß er seinen faktischen Bruch mit der nationalliberalen Partei nicht sofort vollzog, sondern vielmehr abwartete, bis die Parteigenossen in einer sehr erregten Sitzung ihm ein Mißtrauensvotum, das eine Minorität sogar bis zu einem Tadelsvotum steigern wollte, zuerkannten.

Völk’s gemüthliche und versöhnliche Natur mochte wohl trotz seiner Stimmabgabe einen so schroffen Bruch nicht erwartet, eine Aussöhnung nicht für unmöglich gehalten haben, aber nirgends herrscht das Princip des Unversöhnlichen wohl so sehr wie auf dem Gebiete der Politik. Völk büßte seine That mit dem Fluche politischer Vereinsamung, da die neugebildete Gruppe Schauß-Völk zu keiner selbstständigen Bedeutung gelangte, und das mag er tief empfunden haben, er, der so gern unter Vielen stand und sich gern von Vielen gehört und geehrt sah. Sein Herz mochte nach dem, was er früher im Dienste des Vaterlands gethan, die strenge Logik der Thatsachen als bitteren Undank empfinden. Und es ist ja wahr: er hat dem deutschen Vaterlande viel, sehr viel geopfert, nicht blos an geistiger Kraft, auch an äußeren Gütern. Seine advocatorische Praxis hätte ihm ein großes Vermögen gesichert, wenn er ihr seine Zeit und seine Kraft voll hätte widmen wollen. Doch blieb diese Uneigennützigkeit wenigstens nicht ganz ohne dankbare Anerkennung; denn an seinem fünfundzwanzigjährigen Kammerjubiläum übergaben ihm seine politischen Freunde und Anhänger ein Haus in Augsburg als Dotation für sein opferreiches Wirken. Er hat den behaglichen Besitz, die Erfüllung eines längst gehegten Wunsches, nicht lange genossen, und auch die kurze Ruhe wurde ihm noch durch den frühzeitigen Tod seines ältesten Sohnes Josef tief vergällt, desselben, der, in der Liebe zum deutschen Vaterlande mit dem Vater wetteifernd, als der „jüngste Soldat der deutschen Armee“ – er war damals erst fünfzehn Jahre alt – 1870 in den Kampf gegen Frankreich gezogen war. Dann schlichen sich die Schatten finsterer Krankheit auch noch in’s Haus und mißgönnten Völk den Humor, dem der Frohgesellige sich allezeit so gern hingegeben.

Völk starb, wie die Zeitungen berichteten, an der vollständigen Degeneration des Herzens, des Herzens, das immer so warm geschlagen für des Volkes Wohl und des Reiches Größe.

Uneigennützig und selbstlos hat Völk den besten Theil seiner Zeit und seiner Kraft dem Vaterlande gewidmet; eingedenk des

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_135.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2017)