Seite:Die Gartenlaube (1882) 139.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


behaglich wie möglich einrichten. Hilda, wollen Sie mir die Sorge dafür anvertrauen?“

Wie einschmeichelnd das klang! Nichts von jener häßlichen Herrschsucht, die das Weib wie ein unmündiges Kind behandelt, dessen ohnmächtigen Zorn man verlachen darf! Nichts von jener überlegenen Gewaltsamkeit, die sie erst soeben in Meinhard’s herrischer Freundschaft kennen gelernt hatte! Mit einem treuen Cameraden Hand in Hand dahinwandeln, mit ihm alles theilen, Freud und Leid – ja, einen solchen Cameraden hatte sie längst ersehnt – –

Als sich aber sein Arm nun um sie legte, rückte sie vor diesem Zeichen der Vertraulichkeit doch unwillkürlich ein wenig zur Seite; ihr Widerstreben war mehr instinctiv als bewußt; sie hatte sich nehmen lassen wie im Sturm, fast als wäre sie eigentlich dabei gar nicht betheiligt.

Ein Gedanke war es nur, der sie ganz erfüllte: daß ihre Hand von jetzt ab eine Waffe führte und aufhörte, schwach und machtlos zu sein, daß ein Mann an ihrer Seite war, der Meinhard demüthigen, ihn zwingen werde – – und in dieser Zuversicht schwelgte ihr Haß. Die Hoffnung, mit Edwin’s Beistand nunmehr Wilhelm’s Angelegenheit rascher und sicherer zu Ende führen zu können, stand erst in zweiter Linie.

So nahm sie denn kühl und gleichgültig Edwin’s Liebesergüsse hin und als er eben, kühner werdend, ihre Hand mit Küssen bedeckte, da that sich die Thür auf, und hinter dem voranleuchtenden Mädchen erschien Frau Rohrwek. Sie war nicht wenig überrascht, als ihr Sohn ihr seine – „Braut“ vorstellte.

Braut! – Seine Braut! Wie das so wunderlich klang und wie das so schnell gekommen war! Die glückliche Mutter, die nun alle ihre Wünsche in Erfüllung gehen sah, überhäufte Hilda mit Zärtlichkeiten.

Das Paar mußte ihr auch sogleich in’s Eßzimmer folgen; denn Albertine sollte sofort die frohe Botschaft hören. Hier gab es eine kleine Scene: Mimi warf sich, als das Geschehene verkündet worden, mit einem leisen Schrei an die Brust ihrer neuen Mutter.

„Was ist Dir, mein liebes Kind ?“ fragte diese.

„Ich – ich,“ sagte die Kleine sich gewaltsam fassend, aber noch unter Thränen schluchzend. „Ich freue mich – ich freue mich so – haha! Ich bin – ein so dummes Ding – daß ich vor Freude weinen muß.“

„O, das ist so natürlich. Auch ich bin solchen nervösen Anfällen ausgesetzt,“ erklärte Frau Rohrwek, aber sie kam nicht dazu, sich über das Thema zu verbreiten.

„So, Du heirathest also, Hilda?“ fragte Franz, der in der Fensternische stand, ziemlich trocken.

„Nun ja, Ihr habt es ja Alle gewollt,“ entgegnete sie mit blitzenden Augen; sie konnte sich den kleinen Triumph nicht versagen. „Hast Du mir nicht am eifrigsten zugesprochen?“

„Hm, ja. So aber habe ich es allerdings nicht gemeint.“

Diese Meinungsäußerung des Gutsherrn verklang ungehört in dem fröhlichen Durcheinander der Stimmen.

Frau Rohrwek richtete schon den ganzen Zukunfthaushalt ein; Edwin improvisirte Gedichte à la Heine; Hilda selbst war in fieberhafter Erregung; ihr Sein, ihr Denken, ihr Empfinden – alles war wie aus den Angeln gehoben, und der Wein, mit dem man bald auf das Wohl des Brautpaares anstieß, färbte ihre Wangen hoch. All den Lärm aber überjubelte Mimi’s helle Stimme; nach einem wiederholten Weinanfall hatte die Kleine resolut ihre Thränen weggewischt, und nun wirbelte sie, wie ein toller Kreisel, um die lebhafte Tischgesellschaft, unablässig plaudernd und lachend. Es war ein bewegter Verlobungsabend.




9.

Trüb und nebelig stieg der nächste Morgen empor.

Die größte Veränderung war während der Nacht mit dem geschwätzigen, nervös überreizten Kinde vorgegangen. Mimi war fast nicht wieder zu erkennen in der grauen, zusammengekauerten Gestalt, die den moosbewachsenen Felsblock am Rande des Jungwaldes erklettert hatte; mit hinaufgezogenen Knieen saß sie dort oben, die Ellbogen gestützt und das Gesicht so ganz in die Hände vergraben, daß kaum ein Fleckchen der Stirn dem einsamen Strahle der schon hochstehenden Sonne ausgesetzt blieb.

Die unförmliche, in sich geduckte Figur sah fast selbst wie ein Stück Stein aus, und erst als ein Wagen von der Stadt dahergerasselt kam, hob sie für einen Moment den Kopf, um ihn sogleich wieder sinken zu lassen.

Meinhard mußte das sich ihm bietende Bild genau fixiren, ehe er seinen Augen traute; dann ließ er den Wagen halten, stieg aus und ging, den Straßengraben überschreitend, auf den Felsblock zu.

„Ja, sind Sie es denn wirklich? Wie kommen Sie hierher? Sie sitzen ja wie ein Häuflein Unglück da oben, Mimi. Oder soll ich ebenfalls Emmy rufen?“

„Ich wollte, ich hätte gar keinen Namen, und kein Mensch riefe mich, und ich lebte nicht mehr,“ sagte sie in tiefer Niedergeschlagenheit.

„Ei, das ist ja ein gewaltiger Weltschmerz,“ versuchte Meinhard den gewohnten Humor, der jedoch auch nicht recht frei klang, hervorzukehren. „Was thun Sie denn eigentlich hier auf dem erhabenen Throne? Spielen Sie Norne?“

Jetzt erst sanken die kleinen Hände und enthüllten ein trauriges, grollendes Gesichtchen.

„Ich zeichne. Sie sehen es ja.“

„Das ist mir wirklich entgangen. Der Nebel wird wohl daran schuld sein. Haben Sie sich ihn zu Ihren Studien gewählt?“

„Nein, ich will nicht zeichnen,“ sagte sie und stieß das kleine Skizzenbuch von ihrem Schooße, daß es sammt dem Stifte über den Stein hinabfiel. „Ich habe es von ihr gelernt, und ich will gar nichts, was von ihr kommt, gar nichts! Ich werde auch nie mehr zeichnen oder Clavier spielen. Ich will’s vergessen, vergessen will ich’s, wie wenn ich nie etwas davon gewußt hätte.“

„Das sind aber wirklich heroische Entschlüsse; gegen wen richtet sich denn eigentlich Ihr Groll?“

„Ach, Sie verspotten mich nur,“ entgegnete sie, nahm die Fäuste von den Schläfen, an die sie dieselben gedrückt hatte, und wandte sich mit einem unmuthigen Rucke von Meinhard ab.

„Ich Sie verspotten? Das würde ich nie wagen.“

„Ja, Sie verspotten mich, wie alle Anderen mich verspotten würden, wenn sie wüßten, wie es in mir aussieht. Aber diese Freude werde ich ihnen nicht bereiten – nein, kein Mensch soll mich anders sehen als lachend. Es soll sich kein Mensch über mich lustig machen.“

„Das fällt ja aber gewiß auch Niemandem ein,“ versicherte er mit freundlichem theilnahmsvollem Ernst. „Was für ein Kummer drückt denn das kleine Herz? Aber zuerst kommen Sie da von Ihrem Wolkensitz auf die Welt herunter, Mimi!“

„Die Welt ist falsch, und ich würde am liebsten gar nichts mehr mit ihr zu thun haben. Ich wollte, der Nebel hüllte mich ein und trüge mich fort, hinauf, immer weiter, immer weiter – so weit, daß man von der Erde gar nichts mehr sieht.“

„Das ist aber heutzutage nicht mehr recht üblich, kleine Fee. Also entschließen Sie sich noch ein Weilchen unter uns zu wandeln – gilt’s? Also hopp!“

Trotz ihrer tiefen Seelenverstimmung zauderte Mimi doch nicht mehr, der Einladung zu folgen. Sie setzte ihren Fuß auf eine tiefere Kante, erfaßte die ihr entgegengestreckten Hände Meinhard’s und that frischweg den kühnen Sprung zur Erde.

„Ich habe jetzt wohl ausgesehen, wie eine Fledermaus, in dem flatternden grauen Mantel?“ fragte sie lächelnd, wurde jedoch gleich wieder ernst. „Onkel Meinhard, Sie dürfen aber Niemandem ein Wort davon sagen, wo Sie mich gefunden haben.“

„Keine Silbe. Aber haben Sie denn da so Geheimnißvolles getrieben?“

„O, nicht doch, nein, gar nicht. Nur braucht es Niemand zu wissen. Ich habe blos auf den Wagen gewartet und wollte ihn zurückkehren sehen.“

„Auf den Wagen?“

Mimi kehrte sich ab, um ihre Verlegenheit zu verbergen, und suchte mit besonderem, ihrer früheren Erklärung direct widersprechendem Eifer nach der Zeichenmappe, während sie antwortete: „Papa und Mama sind zu Saldorff’s gefahren; der Graf hat zwei Reitpferde zu verkaufen, die sehr gut unter dem Damensattel gehen. Seit Comtesse Lori gestorben, will er nichts mehr sehen, was ihn an sie erinnert. Papa glaubt, daß die Pferde billig zu bekommen wären.“

„Und darauf freuen Sie sich und wollen die Nachricht ganz brühwarm haben?“ Ihr geringschätziges Achselzucken entging ihm

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_139.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)