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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Nordamerika aber Millionen von Anhängern zählt. Sie selbst nennen sich bekanntlich Baptisten und stehen in der Regel durch Fleiß, Sparsamkeit, Wahrheitsliebe, Ehrenhaftigkeit und Toleranz gegen Andersdenkende in hoher Achtung. – –

Kehren wir zum Schluß unseres Artikels nochmals zur Lambertikirche zurück! Sie liegt am Marktplatze der bischöflichen Residenz, nahe an dem stolzen gothischen Rathhause in dessen „Friedenssaale“ am 24. October 1648 der „Westphälische Frieden“ zwischen dem deutschen Reich und den fremden Mächten ratificirt wurde. Wie dieses ist auch die Kirche ein herrlicher gothischer Bau aus der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts. Das Aeußere der Kirche ist reich an Verzierungen, von denen jedoch leider ein Theil in den Stürmen des Wiedertäuferaufstandes zu Grunde ging. Insbesondere rühmt man an ihr das Maßwerk der tief herabgehenden Fenster des Langhauses, die vorspringende Fenstereinfassung sowie das Dachgesims von zierlichem Laubwerke, aber nicht minder interessant ist die architektonische Ausstattung des Innern wegen der Mannigfaltigkeit und Schönheit der einzelnen Theile, insbesondere der Pfeiler, die an den Capitälen ebenfalls anmuthiges Laubwerk zeigen, sowie durch die Anordnung des Schiffes und des Chores. Arm dagegen ist die Kirche an werthvollen Gemälden und Sculpturen, was wiederum in der Zerstörungswuth der Wiedertäufer, die gegen allen Bilderdienst eiferten, seinen Grund hat; nur das Hauptportal ist mit achtzehn Statuen unter Baldachinen geschmückt. Bis zur jüngsten Zeit herunter knüpfte sich jedoch das Interesse Einheimischer und Fremder für diese Kirche weniger an ihre baulichen Schönheiten, als vielmehr an jene vielgenannten drei eisernen Käfige, welche als ein unheimliches Wahrzeichen der Stadt wie des ganzen Münsterlandes an der Südseite des halb romanischen, halb spätgothischen Hauptthurmes, und zwar unmittelbar unterhalb der Gallerie, angebracht waren. Jene Käfige enthielten einst die Leichen der drei Hauptanführer der Wiedertäufer, Johann’s von Leyden, Knipperdolling’s und Krechting’s, von deren martervoller Hinrichtung weiter oben die Rede war. Längst hatten die Stürme jede Spur von den Gebeinen jener unglücklichen Phantasten verweht, aber die eisernen Stäbe der düstern Behältnisse trotzten der Zerstörung, und wenn der Blick des Geschichtsfreundes auf dem mittelsten haftete, das ein wenig erhöht über die beiden anderen hinaufragte, wenn er sich erinnerte, daß in ihm die Leiche des weiland „Königs von Zion“ lange Zeit hindurch ein Spiel der Winde und eine Beute der Raubvögel gewesen, so ließ er schaudernd jene schreckensreiche Episode der Münsterschen Geschichte an seinem Geiste vorübergleiten.

Da die „Gartenlaube“ mit der gegenwärtigen Wochennummer ihren Lesern die Lambertikirche mit dem nun im Abbruche befindlichen Thurme bildlich vor Augen führt, so beschließen wir diese Zeilen wohl nicht unpassend mit dem Ausdruck des Wunsches, es möge die Vollendung eines stilvollen, der schönen Kirche würdigen Neubaues sich nicht allzulange verzögern. Und dann werden, wie man hört, am neuen Thurme auch die historischen drei Käfige wieder ihren Platz finden, um von dort wie seit nunmehr vierthalb Jahrhunderten, abermals weit hinauszuschauen in’s Münsterland.




Deutschlands große Industrie-Werkstätten.

Nr. 14. Das Schmirgeldampfwerk in Hainholz vor Hannover.

Die pergamenischen Altertümer waren erst vor kurzer Zeit nach Deutschland gekommen, als ich eine Reise von Berlin nach Wien unternahm. Ein Reisegefährte, der in mir einen Bewohner der deutschen Kaiserstadt erkannt hatte, brachte das Gespräch auf diese erhabenen Denkmäler einer bis dahin wenig gekannten Kunstepoche und wünschte von mir, der ich sie ja gesehen haben müsse, eine genaue Schilderung derselben zu hören.

Gesehen hatte ich die Sachen allerdings und mich von Herzen daran erfreut, aber die an mich gerichteten Fragen zu beantworten, war ich außer Stande und würde arg in’s Gedränge gekommen sein, hätte sich nicht ein anderer Herr, der erst unlängst zu uns eingestiegen war, in’s Gespräch gemischt und statt meiner die gewünschte Auskunft ertheilt.

Er vermochte dies in einer eigenartigen und lebendigen Weise zu thun; denn er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie ein Theil der Schätze dem Boden entrissen wurde, der sie neidisch und schützend den Blicken der nachwachsenden Geschlechter so lange entzogen. Der neue Reisegefährte stellte sich uns als einen Freund des Dr. Karl Humann (vergl. „Gartenlaube“ 1880, S. 599) vor, dessen Kunstkenntniß, Umsicht und Energie Deutschland den Besitz jener vielbeneideten Kunstschätze verdankt. Er erzählte von der gastlichen Aufnahme, die er bei wiederholtem Aufenthalte in Smyrna im Hause seines Freundes gefunden, und wußte über türkische und griechische Verhältnisse trefflich Bescheid zu geben; denn auch Griechenland hatte er mehrmals besucht und war gerade wieder auf einer Reise dahin begriffen. Unwillkürlich regte sich die Neugierde. Wer und was mochte der Fremde sein? Alterthumsforscher, Geologe, Künstler, Ingenieur? Jede dieser Vermuthungen hatte etwas Wahrscheinliches.

Unser Reisegefährte mußte uns diese Fragen von den Gesichtern abgelesen haben; denn er kam uns mit der Bemerkung zu Hülfe:

„Sie fragen sich gewiß, was einen einfachen Gewerbetreibenden, als den Sie mich sicher erkannt haben, so oft nach[WS 1] dem classischen Boden von Hellas führt? Ich will Ihnen das Räthsel lösen: Ich kaufe dort das Material zu meinen Fabrikaten, nämlich Schmirgel.“

„Eine hübsche Lösung der Frage.“ dachte ich, „nämlich die Lösung eines Räthsels durch das andere.“

„Schmirgel?“ fragte ich. „Was ist Schmirgel? Wozu wird der gebraucht?“ Mein älterer Reisegefährte, der mich schon durch seine Fragen über die pergamenischen Alterthümer in Verlegenheit gesetzt hatte, schaute mit tiefer Verachtung ob meiner Unwissenheit zu mir herüber. Wieder fand ich Hülfe bei dem Andern, der mein Selbstgefühl hob durch die Versicherung, die gleiche Frage werde unzählige Male an ihn gerichtet. In weiten Kreisen Gebildeter wisse man weder was Schmirgel sei, noch welche Bedeutung er für die Herstellung eines großen Theiles unserer Lebensbedürfnisse habe.

„Das Glas des Spiegels dort an der Wand,“ fuhr er erläuternd fort, „ist mit feinem Schmirgel geglättet; ohne Schmirgel war weder Ihre Brille, mein Herr, noch die Sammetbänder und Kragenschleifen unserer Damen, noch der Hut, welchen ich hier im Futterale mit mir führe, anzufertigen; die blinkenden Griffe an der Außenseite unseres Waggons sind ebenso wohl, wie alle wichtigen Metallgegenstände an demselben bei ihrer Anfertigung mit Schmirgel behandelt, um ihnen den Schliff zu geben, und diese Beispiele ließen sich in’s Unendliche vermehren.“

„Schmirgel ist also ein Mineral?“

„Eine Abart des Korund,“ antwortete statt des Gefragten mit wichtiger Miene der andere Herr.

„Und Sie müssen ihn aus so weiter Ferne herholen?“

„Die Fundorte des Schmirgel, Smergel oder Smirgel“ docirte unser gelehrter Reisegefährte weiter, „sind hauptsächlich Naxos und Klein-Asien, obgleich er auch in Nord-Amerika, auf den Canal-Inseln, in Portugal, aus Ceylon und sogar bei Eisenberg in Sachsen –“

„Bitte um die Billets,“ unterbrach der Schaffner, das Coupé aufreißend.

Wir waren dicht vor Wien. Ich warf dem Vielwisser einen bösen Blick zu und wandte mich eifrig an den Besitzer der Schmirgelfabrik, nur die erwachte Wißbegierde noch nach Möglichkeit zu befriedigen. So gut es in der Eile thunlich war, gab er Auskunft auf meine sich überstürzenden Fragen, that ihnen aber endlich lächelnd mit den Worten Einhalt:

„Sie scheinen die Gründlichkeit zu lieben. Was Sie zu erfahren wünschen, läßt sich im Fluge nicht mitteilen. Hier ist meine Karte; ich bin der Mitbesitzer des Dampfschmirgelwerkes von S. Oppenheim u. Comp.[WS 2] in Hainholz bei Hannover; sollte Ihr Weg Sie je in unsere Gegend führen, so besuchen Sie mich; Sie sollen alsdann durch den eigenen Augenschein die gesammte Fabrikation kennen lernen.“

Seine letzten Worte verhallten schon in dem Lärmen und Gewühl, das regelmäßig durch die Ankunft eines Zuges an einer größeren Station verursacht wird. Ein flüchtiges, aber herzliches Abschiednehmen – dann trieb uns die wogende Menge nach verschiedenen Richtungen aus einander.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: noch
  2. Das Werk ist heute Sitz der Vereinigten Schmirgel- und Maschinen-Fabriken

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_143.jpg&oldid=- (Version vom 2.7.2023)