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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

bloßen Klange ihrer Namen wird meine Phantasie rege und schweift in längst vergangene Zeiten zurück: rasch setzt sie sich über die enggezogenen Marken der menschlichen Geschichte hinweg und schaut unbefangen in das mythische Dunkel, als auch hier Götter auf die Erde herniederstiegen, um die Menschen zu beglücken oder über sie das Füllhorn des Elends unbarmherzig auszuschütten.

Ich stehe vor den kleinen Wasserfällen, welche die Indianer Minnehaha, „lachende Wasser“, nannten, und da muß ich Longfellow’s, des edlen Sängers, gedenken und seiner wunderschönen Dichtung „Hiawatha“. Mein Fuß steht auf dem romantischen Boden, auf dem einst die Volkssage ihre glänzenden Fäden spann, aber wie Wehmuth beschleicht mich der Gedanke, daß das Volk, welches diese Sage schuf, zerstreut oder gar ausgerottet ist, während eine fremde Sprache, die Sprache seiner Vertilger, von seinen Göttern und Helden singt und sagt. Das ist eine grausame Ironie der Geschichte. Man will nicht leise rühren an Longfellow’s Lorbeerkranz; denn „Das Lied von Hiawatha“ ist eine Perle im Diadem der amerikanischen Dichtung – aber die Helden, die das Lied besingt, wer schonte sie einst in dem grausamen Vernichtungskriege – die armen Indianer?

Hier beim Minnehaha schaute der Indianerapostel Hiawatha zum ersten Male seine Geliebte. Wie gebannt stand er vor der schönen Dacotahjungfrau; denn ihre dunklen Augen waren seltsam wie der Fall des Minnehaha:

„Bald voll Sonne, bald voll Schatten
Lacht’ und grollt’ ihr Auge wechselnd;
Wie der Fluß war flink ihr Füßchen,
Und ihr Haar floß wie das Wasser,
Und so tönend war ihr Lachen; –
Von dem Wasserfall des Flusses
Hatte sie auch ihren Namen:
Minnehaha, Lachend-Wasser.“

Aber es war nur die zartgewobene Liebesepisode Hiawatha’s, die sich hier, in der reizvollen Umgebung von Fort Snelling, abspielte; denn der Schauplatz seiner ferneren Thaten ist die Südküste des Oberen See.

O Hiawatha, poesiegeschmückter Indianerheld, was ist heute aus deinem Stamm geworden! Von den steil herabstürzenden Fowns Leap kommend (vergl. unsere Abbildung), machte ich die Bekanntschaft deiner rothhäutigen Brüder. Am Rande eines hügelumschlossenen kleinen Sees hatten sie ihre rauchgebräunten, kegelförmigen Zelthütten aufgeschlagen; sie gehörten dem berüchtigten Stamme der Sioux an, boten aber nur noch wenig Zeichen ihrer Abkunft; dahin, verloren, zerstoben ist die wilde Poesie ihres unberührten Naturlebens!

Mein Besuch galt zunächst der Pa-chu-ta, einer unter dem Namen „Medicin“ bekannten Indianerin. Sie ist die Tochter der 1873 im Alter von 105 Jahren verstorbenen Aza-ya-man-ka-wan, jener „Beerenpflückerin“, die während der fürchterlichen Indianergräuel bei Neu-Ulm (siehe „Gartenlaube“ 1865) vielen Menschen das Leben rettete und bei den Bewohnern von St. Paul und Umgegend in bestem Gedächtniß steht. Als ihre letzte Krankheit über sie kam, verschrieb ihr die Handelskammer eine Summe Geldes, um ihr allen möglichen Comfort zu bereiten.

Pa-chu-ta trafen wir in ihrer Hütte eben beschäftigt, an qualmigem Feuer Kartoffeln und ein Omelette zu bereiten. Aus ihrem breiten, schmutzig rothen Gesichte blinzelten verschmitzt ein Paar lustige Aeugelein, während den Mund ein sonderbar süßes Lächeln umspielte.

Sie war, wie die Mehrzahl der anderen Frauen, eine ungeheure Fleischmasse, ward aber bei weitem überboten von Tha-ti, das heißt der, „die ein eigenes Lager hat“. Fürwahr, kein übel erfundener Name; denn Tha-ti ist wirklich eines eigenen Wigwams durchaus bedürftig; ihre Körperfülle ist der Grund, daß ihr gestrenger Herr und Gemahl die himmlischen Jagdgründe seiner Väter aufgesucht, da sein junges Weib, aufschießend und zunehmend, sehr bald den ganzen Raum innerhalb der vierundzwanzig Pfähle seines Wigwams ausfüllte, und ihm so Luft, Licht, Raum und Leben raubte. Jetzt theilt Tha-ti ihr Zelt mit einem elenden mageren Krieger, einem Steifleder in buntem Hemde und zerrissenen Beinkleidern, der von Männerwürde niemals eine Ahnung gehabt. Imponirend war nur sein furchtbarer Griff – in die von uns präsentirte Candydüte.

Die einzige Hiawatha’sche Figur, die mir bei meinem Besuche zu Gesicht kam, war ein junges Mädchen im Alter von dreizehn Sommern, nach indianischen Begriffen also schon bald heirathsfähig. Schlank und zierlich gewachsen, flog sie leicht dahin wie ein Reh, und ihr langes schwarzes Haar flatterte im Winde. Die Züge ihres Gesichtes hatten feinen, regelmäßigen Schnitt – wie lange aber mag es dauern, dann ist auch aus dieser Libelle eine jener derbknochigen, wohlbeleibten Schönen geworden, wie ich deren eine in Tha-ti kennen gelernt.

Interessant war die innere Ausstattung der Zelte; da war all das bunte Sammelsurium zu finden, welches einen halb barbarischen, halb civilisirten Sittenzustand charakterisirt; da gab es Kaffeemühlen und Friedenspfeifen, Riflegewehre und Bogen, Büffelhäute und alte Steppdecken. Was mich aber am seltsamsten berührte, das war eine riesige Karte der Vereinigten Staaten von Anno Tobak und eine wahrhaftige Standuhr, deren Zeiger eine Stunde in vierzig Minuten zurücklegte und also ganz besonders dem Fortschritt huldigte.

Anderthalbe Stunde von St. Paul entfernt liegt auf einer Wiese am Ufer des Mississippi ein Denkmal aus besseren Tagen des Indianerthums; ich habe es auf der beigegebenen Illustration nachzubilden versucht – der sogenannte Indian oder Red Rock, ein etwa drei bis vier Fuß langer, entsprechend dicker, eiförmiger Steinblock. Was an ihm zunächst in die Augen fällt, ist eine Anzahl blutrother Streifen, die sich quer um ihn ziehen, während an dessen spitzem Ende mit wenigen Strichen ein von Strahlen umgebenes Gesicht gemalt ist, etwa so, wie wir als Kinder die Sonne dargestellt. Das Ganze gleicht einer riesigen, versteinerten Käferlarve, und der indianische Name für dieses Ungethüm ist „Wakon“ oder Geisterstein. Seit langen Jahren schläft Schweigen und Vergessenheit über dem einsamen Steine; kaum daß die tiefe Ruhe umher der Schritt eines aus Neugierde landenden Bootfahrers stört, der das seltsame Denkmal in stillen Gedanken betrachtet.

Als ich das Indianerlager verließ, da fielen mir Longfellow’s wehmüthige Verse ein, die Prophezeiung des Hiawatha an sein Volk:

„Ja, ich sah in meinem Traume
Das Geheimste selbst der Zukunft,
Sah im Westen jenes Sumpfland
Der uns unbekannten Stämme;
All’ das Land war reich an Menschen,
Rastlos kämpfend und sich mühend,
Mancherlei der Zungen sprechend,
Doch nur einen Herzschlag fühlend.
Ihre Axt hallt’ in den Wäldern;
Ihre Stätten rauchten qualmend;
Ueber alle Seen und Ströme
Rauschten ihre Donnerkähne.
Dann kam mir ein traurig düst’res
Traumgesicht – so wolkentrübe;
Uns’re Stämme sah zerstreut ich,
Meiner Lehren nicht gedenkend,
Schwächlich und sich stets bekriegend,
Sah die letzten unsers Volkes
Westwärts schweifend wild und elend,
Gleich zerriss’nen Wolkenmassen,
Gleich des Herbstes welken Blättern.“




Kloster Lehnin.

Ein Stück märkischer Romantik.
(Schluß.)

Das Kloster Lehnin wäre wohl längst der Vergessenheit anheimgefallen, wenn nicht ein literarisches Curiosum ihm zu einem besonderen Ruf, zu einer fast populären Berühmtheit verholfen hätte. Das ist die sogenannte „Lehninische Weissagung“ – das „Vaticinium Lehninense“ – auf welche am Schlusse der ersten Hälfte dieses Artikels hingewiesen worden und über die nun das Wesentlichste berichtet werden soll.

In den achtziger Jahren des siebenzehnten Jahrhunderts wurden in geheimnißvoller und offenbar ebenso vorsichtiger als kluger Weise Abschriften einer lateinischen Dichtung an’s Licht gebracht,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_150.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2022)