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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

nach der aufregenden Scene im Jägerhause so weich und bewegt, daß er zu Allem nur nickte. Mama hat mir eine schöne Aussteuer versprochen, und Edwin will Alles thun, was Papa von ihm fordert. Er will ein Buch schreiben und Artikel für die Blätter, und sobald er die ersten tausend Gulden Honorar vorzeigen kann, dürfen wir heirathen – ja heirathen, Onkel Meinhard.“

Der Stationschef war an die beiden so vollkommen in ihr Gespräch Vertieften herangetreten, sie waren schon Zielpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit geworden.

„Herr Sectionsrath!“ mahnte er höflich. „Es ist die höchste Zeit. Ich darf den Zug nicht länger aufhalten.“

„Lassen Sie ihn abgehen, lassen Sie ihn abgehen!“ erwiderte Meinhard in großer Erregung. „Ob ich nun zwölf Stunden früher oder später ankomme, davon hängt das Wohl des Staates nicht ab.“

Ein Wink! Es läutete – ein Pfiff, und vorwärts pustete der Zug, der sich ächzend und klirrend von der Stelle losriß, wo er kurze Zeit gerastet.

Mitten in dem Getöse die feine Stimme erhebend, erzählte Mimi auf Meinhard’s erneuerte Frage, wie Alles gekommen.

„Im Walde hat er mir’s gesagt,“ schloß ihr kurzer Bericht. „Er hat ja doch eigentlich mich lieb. Und ich glaub’s ihm – er wäre ja zu falsch, wenn es anders wäre.“

„Und – Hilda?“

„Tantchen wollte eben nur Jemand haben, der ihre Geschäfte besorgt, dazu aber braucht man doch nicht nothwendiger Weise zu heirathen – nicht wahr?“

„Mein Gott, wäre es denn aber wirklich möglich –! Wo ist sie, Mimi?“

„Da drinnen und weint sich die Augen aus.“

„Daß ihre Verlobung mit Edwin auseinander ging?“

„Gott bewahre, sie war es ja, die ihn fortgeschickt hat. Ich habe sie dafür so lieb.“

„Warum weint sie denn?“ drang er in steigender Aufregung in sie. „Um den Todten?“

„Danach können Sie sie ja aber doch selber fragen, Onkel Meinhard,“ versetzte Mimi achselzuckend, indem sie ihn schlau von der Seite ansah. „Warum sprechen Sie denn nicht zu ihr, wie Sie zu mir gesprochen haben? Ich habe ihr schon ein Bischen davon gesagt, nur ein klein Bischen – – Himmel! Jetzt sind Sie wirklich sitzen geblieben,“ rief sie lachend und klatschte hinter dem letzten Wagen des davonrollenden Zuges fröhlich in die kleinen Hände. „Wird das eine Ueberraschung geben!“

Meinhard war plötzlich von ihrer Seite verschwunden, und seine während des fliegenden Gespräches discret ferngebliebenen Bekannten sahen ihn nun mit ungemessenem Erstaunen zurückbleiben und dann mit beflügelten Schritten, leidenschaftlich wie einen Jüngling, in den Wartesaal eilen.

Ihm war zu Muthe, als hätte ein Sturmwind ihn plötzlich erfaßt, der ihn aus düsterer Schlucht zum hellen Sonnentage emporwirbelte.

Dort, im Wartezimmer, saß sie auf dem Bänkchen in der Ecke und lehnte schluchzend an ihres Bruders Schulter.

„Meinhard!“ rief dieser erstaunt dem in’s Zimmer Tretenden entgegen. In seinen Augen blitzte ein frohes Licht auf, als er den Freund erscheinen sah.

„Ich bin zu spät gekommen,“ versuchte Meinhard schüchtern eine Entschuldigung.

„Ich glaube eher – gerade zurecht. Gut, daß Du da bist; sie ist mir fast umgesunken.“

„Hilda, ist es möglich – ist es möglich, daß Du um mich weinst?“ fragte er mit bewegter Stimme. Hastig ergriff er ihre Hände und zog sie mit zärtlicher Gewalt von dem thränenfeuchten Antlitze hinweg.

„Hilda!“

„Nimm mich mit, Bruno,“ klagte sie sanft. „Ich kann nicht sein ohne Dich !“ –

„So war’s gemeint!“ sprach Franz nach einer Weile, während welcher er mit Rührung den Freund und die Schwester betrachtet, die sich wortlos umfangen hielten. „Na, was lange braucht, wird gut.“

„Das wollen wir hoffen!“ sagte Meinhard leuchtenden Blickes. „Endlich, endlich ist der säumige Gast doch noch eingekehrt in dieses widerspenstige Herz.“

„O nein,“ entgegnete sie, und mit schmerzlichem und doch glücklichem Lächeln, dessen Spiegelung sie in des Geliebten Augen suchte, schmiegte sie sich innig in seinen Arm. „Er ist immer dagewesen, von jeher – ich habe es nur nicht gewußt.“

„Da ist er also doch, der heimliche Gast,“ frohlockte Mimi. „Hatt’ ich nicht Recht mit meiner Warnung vor dem gefährlichen Nebenbuhler? O, ich hab’ es gefühlt. – Was wohl Edwin dazu sagen wird?“

Leise nickte Franz vor sich hin.

„Dort ist der Tod – hier das Leben. Das bleibt im Rechte.“




Das Moharremfest in Constantinopel.

„Haben Sie Zeit?“ rief es in mein Zimmer im Gesandtschaftshôtel zu Constantinopel.

„Ja!“

„Auch gute Nerven?“

„Natürlich – was giebt es denn?“

„Machen Sie sich schnell fertig! Der Wagen wartet; ein Schauspiel steht Ihnen bevor, wie Sie es schwerlich hier auf europäischem Boden erwarten.“

Die lange Gestalt meines Freundes M. tauchte im Hintergrund des Zimmers auf, hinter ihm, wie sein Schatten, der getreue Lazarian, das „Factotum“ der Gesandtschaft.

„Wir haben nur noch eine Viertelstunde bis zum Sonnenuntergang,“ fuhr der Eingetretene fort, indem er mit unverhohlener Geringschätzung die angebotene Cigarette zurückwies und die geliebte Virginia wieder mit einiger Mühe in Brand setzte, „das Fest beginnt mit einbrechender Nacht, und es ist fraglich, ob wir später noch Einlaß finden. Also eilen Sie!“

„Vor Allem,“ unterbrach ich den unermüdlich Redenden, „haben Sie die Güte, mir zu sagen, was denn das für ein ‚Fest‘ ist, das während der Nacht abgehalten wird und starke Nerven erfordert!“

„Unterwegs sollen Sie Alles erfahren. Haben Sie nie von den persischen Flagellanten gehört?“

„Ach, wieder einmal ein religiöser Humbug,“ rief ich enttäuscht, „eine Wiederholung der Taschenspielerkünste aus dem Kloster der heulenden Derwische oder etwas Aehnliches.“

„Unverbesserlicher Kritiker,“ warf er ein. „Erst sehen und dann urtheilen! Das heutige Fest hat nichts gemein mit jenem lächerlichen Gaukelspiel, von dem Sie da sprechen. Es ist eine persische national-religiöse Todtenfeier, die alljährlich im Validé-Khan[1] abgehalten wird, und Sie werden schwerlich eine bessere Gelegenheit finden, den Fanatismus in seiner ursprünglichsten rohesten Gestalt zu beobachten. Doch die Zeit drängt! Also avanti –“

Er zog mich fort. Ich hatte eigentlich geringe Lust, einem zum Ueberdruß bekannten Schauspiel zu Liebe die behagliche Wärme meines Zimmers mit der kalten Winterluft zu vertauschen. Gehörte ich doch zu den Bevorzugten, die sich bei den damaligen abnormen Witterungsverhältnissen einer wasserdichten Zimmerdecke und eines heizbaren Ofens erfreuten. Nicht Jedem ward es in jenen kalten Tagen so wohl in Constantinopel. Tausendmal schrecklicher als bei uns daheim in Deutschland sind die Plagen des Winters, wenn sie einmal hereinbrechen, in den gesegneten Zonen des südlichen Europas.

„Wer Pillaf[2] nie mit Unschlitt aß,
Wer nie im Bett den Schirm aufspannte,
Am kalten Ofen fröstelnd saß,
Der kennt dich nicht, du himmlische Levante!“

Die tiefe Wahrheit dieser classischen Verse hat gar Mancher in dem herrlichen Constantinopel zu erproben Gelegenheit gehabt.

Es dämmerte bereits, als wir hinaustraten. Der Abend war klar und von nordisch-winterlicher Schönheit. Tiefblaue Schatten lagerten auf den Cypressenhainen der Kirchhöfe, die nach dem

  1. So heißt die große Herberge der Perser in Constantinopel.
  2. Türkisches Gericht, bestehend aus Reis und Hammelfleisch.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_204.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2023)