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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Aber wie würde ich es denn sonst sagen?“

„O, Sie sagen es – freilich – Sie sagen es, damit man Sie in Ruhe läßt, und weil Sergius Ihnen wohl schon verrathen hat, was man gegen Sie beabsichtigt – nun sagen Sie es, in der Angst davor –“

„Was wissen Sie von Sergius? Sie wissen, daß er –“

„Mein Gott, die Fräulein Diering hat es ja schon in der Frühe unserer Jungfer erzählt. Sergius ist ganz spät – in der Nacht – bei Ihnen gewesen. Und wozu kann er bei Ihnen gewesen sein? Er ist verliebt in Sie – das haben wir längst gemerkt. Und nun hat er gedacht, es wäre ein genialer Streich von ihm, wenn er allein zu Ihnen ginge, wenn er Ihnen verriethe, was beschlossen worden, und wenn er Sie ganz allein für sich einfinge – dann hätte er Dortenbach und Alles und wir nichts! Damian schäumte vor Wuth, als er es hörte. Es ist nur gut, daß Sie Sergius die Thür gewiesen haben; Sie haben so Andreas zu Ihrem Schutze herbeigeklingelt – nicht wahr, Sie haben es?“

„Ein Verrath an dem schönen Familiencomplot, welches die Ihrigen abgekartet haben, scheint es allerdings, Fräulein Dora, was Sergius zu mir führte,“ sagte Regine mit steigender Bitterkeit, „aber Sie kommen ja nun auch heimlich, sicherlich ohne der Ihrigen Wissen zu mir. Wozu? Wollen Sie für die Ramsfeld die Partie gleich machen?“

„O nein, o nein, daran habe ich ja mit keiner Silbe gedacht,“ entgegnete das junge Mädchen lebhaft; „aber sehen Sie, da nun Sergius einmal das ganze Vorhaben verrathen hatte, wurde mir immer beklommener; es wurde mir immer mehr zu Muthe, als ob nun Alles verloren sei, als ob Sie, so gewarnt, nun sich schon vorsehen würden, und dann, dann ist ja für uns Alles verloren, die ganze Erbschaft – wir haben dann nichts, gar nichts zu erwarten; Herr Benning hat es uns gesagt und Alles aus einander gesetzt, und dann bin ich arm, und es wird ein so schreckliches Unglück für mich sein – mein ganzes Lebensglück ist dahin, dahin für immer; ich weiß nicht, was wir dann beginnen, wo wir bleiben sollen …“

„Die Mutter und Sie?“

Dora war in Thränen ausgebrochen.

„Die Mutter und ich …“ schluchzte sie, „ja, auch die Mutter, aber dann auch …“

Dora schluchzte so heftig, daß sie nicht weiter reden konnte.

Regine legte ihr die Hand auf die Schulter.

„Trösten Sie sich, Dora!“ sagte sie, ohne daß ihre Stimme durch den Anblick dieses Kummers sehr erweicht gewesen wäre. „Ich weiß, was Sie sagen wollen, was Ihnen schwer wird, über die Lippen zu bringen. Und Sie haben Recht, zu stocken, es mir nicht zu sagen. Sprechen Sie kein Wort weiter, Dora! Es wäre unnütz wie Ihr ganzer Kummer – wie all Ihre Sorge. Sie wollen meine Theilnahme erwecken, wollen mein Versprechen, daß ich, wenn ich die Erbin von Dortenbach geworden, Ihnen einen Ersatz für Ihre verlorenen Hoffnungen gewähre, genug, um Ihnen eine Verbindung mit Edwin Klingholt, in der Sie Ihr Lebensglück sehen, zu ermöglichen … Ist es nicht so? Ist es nicht das, weshalb Sie kamen?“

Dora nickte heftig mit dem Kopfe.

„Nun wohl, so können Sie getröstet von mir gehen. Ich habe Ihnen meine Antwort ja bereits gegeben. Sie glauben nicht an den Ernst meines Entschlusses. Das bedauere ich, es ändert aber nichts daran. Sie können alles, was ich Ihnen gesagt habe, auch den Ihrigen mittheilen und hinzufügen, daß ich alle directen Verhandlungen mit ihnen zu vermeiden wünsche. Sagen Sie ihnen das recht nachdrücklich – wollen Sie es thun? Sagen Sie ihnen, daß es derselben wirklich nicht bedarf – aber freilich, Sie werden ja nicht eingestehen wollen, daß Sie bei mir waren – nun, dann gehen Sie jetzt, Dora – ich will auch gehen …“

In diesem Augenblick klopfte es leise an die Thür, Regine öffnete und blickte in Andreas’ runzelvolles, bekümmertes Gesicht.

„Fräulein,“ sagte er, „ich habe mit dem Kutscher gesprochen …“

„Nun?“

„Ich habe ihm gesagt, daß Sie sogleich den Wagen verlangten, daß er Sie zur Eisenbahn zu fahren habe. Aber er will nicht.“

„Er will nicht?“

„Nein, er weigert sich. Sie bekämen weder Wagen noch Pferde. Der Herr von Sander und der Herr von Ramsfeld hätten es ihm schon gestern Abend verboten, für Sie einzuspannen. Er thäte es nun einmal nicht.“

Regine gerieth bei dieser Meldung in die äußerste Entrüstung. Also man wollte sie wirklich als eine Gefangene hier zurückhalten! Und diese Verwandten erlaubten sich das hier im Hause, wo sie doch nur die Gäste waren – es war zu empörend, zu frech – in hellem Zorn sagte sie:

„Dann will ich sehen, ob wirklich in diesem Hause kein andrer Herr mehr ist, als – Sergius oder Damian! Ich will sehen, ob ich bei meinem Oheim Schutz dawider finde oder nicht – ich bin arglos, vertrauensvoll in sein Haus gekommen, und er wird, er soll die Kraft haben, mir wenigstens den Ausgang zu bahnen.“

Damit verließ sie raschen zornigen Schrittes das Zimmer und eilte durch den Saal in die Wohnung des Barons. Sie hatte ja auch jetzt nichts mehr zu schonen. Seit Leonhard sie dem Oheim verrathen, seit beide den Adoptionsplan geschmiedet – was war da noch zu verhüllen? Sie trat in ihrer Erregung ohne anzuklopfen in das Zimmer des Barons.

Er saß in seinem Schlafrock bequem in den Lehnstuhl zurückgelehnt, sein Buch, „die Gänge nach Canossa“, auf den Knieen, das ihm aus der Hand gesunken zu sein schien.

„Ah,“ sagte er, bei Reginens raschem Eintritt nervös zusammenfahrend. „Sie erschrecken mich, Kind – welcher Sturm weht Sie herein?“

„Ich bedauere, daß ich Ihnen einen Sturm bringen muß,“ antwortete sie, „ich kann Sie leider damit nicht verschonen. Um es kurz zu machen: seit Ihnen der Doctor Klingholt so abscheulich wortbrüchig verrathen hat, wer ich bin, seit nun Jedermann hier im Hause dies weiß, seit man mich mit Gewalthandlungen bedroht – mit lächerlichen albernen Gewalthandlungen, kann ich länger – keinen Augenblick länger bleiben. Ich will fort, natürlich fort – auf der Stelle, um nie zurückzukehren; ich werde ewig bereuen, daß ich so thöricht war …“

„Aber um Gottes und aller Heiligen willen,“ rief der Baron schreckensbleich geworden und seine beiden zitternden Hände erhebend, „was sagen Sie mir da? Mich trifft der Schlag – und ich verstehe doch keine Silbe von alledem.“

„Sie verstehen doch, daß ich fort will, und nun will man mich nicht fortlassen; man will mich als eine Gefangene behandeln – und deshalb komme ich zu Ihnen – Sie werden, und wenn ich auch tausendmal Ihre Verwandte, Ihre Nichte bin, nicht vergessen, daß Sie mir vor Allem Schutz für meine persönliche Freiheit schuldig sind; so viel Energie und Kraft werden Sie besitzen, so viel ritterliche Ehrenhaftigkeit, um dafür zu sorgen, daß ich kommen und gehen darf, wohin ich will.“

Der alte Herr hatte sie angestarrt wie ein Gespenst; er mußte nach Athem ringen; er klammerte seine Hände krampfhaft um die Arme des Sessels.

„Dies ist mein Tod,“ sagte er mit hin- und herwankendem Kopf. „Dies ist mein Tod. Wenn ich nur etwas davon verstände! Wenn ich nur verstände, wie Sie meine Verwandte, meine Nichte sein können, und wer, was Sie dann forttreibt? Doctor Klingholt? Gewalthandlungen? Drohungen?“

„Nun ja, nun ja! Die Gewalthandlungen, die Drohungen würden mich nicht vertreiben; denn ich verachte sie, aber Sie müssen doch selbst begreifen, daß ich jetzt, wo Klingholt mich Ihnen verrathen und Sie zum Werkzeuge seiner Absichten gemacht hat –“

„Immer räthselhafter, immer räthselhafter!“ sagte mit seinem vor Rathlosigkeit schwankenden Kopfe der alte Herr. Er bot ein wahres Jammerbild dar, wie er so dasaß und, Schrecken in jeder seiner Mienen, sie anstarrte.

„Was kann Ihnen denn dabei rätselhaft sein?“ eiferte Regine weiter, ohne sich dadurch irgend erweichen zu lassen. „Leonhard Klingholt hat Ihnen gesagt, daß ich Ihre Nichte Regine Horstmar bin, er hat Ihnen aber auch gesagt, daß ich nichts wissen, nichts hören will weder von dieser Verwandtschaft mit Ihrem Hause, noch von Rechten, die sie mir geben könnte. Und nun hat er Sie bewogen –“

„Mein Kind, mein Kind!“ rief hier der alte Herr in heller Verzweiflung und schlug, als ob er sich dadurch eine Erleichterung verschaffen könnte, die Hände mehrmals auf die Knäufe seiner Sesselarme,

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