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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

No. 23.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Engelid.

Novelle von Balduin Möllhausen.
(Fortsetzung.)


„Für zwei Nächte und einen Tag mache ich von Deiner Gastfreundschaft Gebrauch,“ erklärte Knut, indem er der einsamen Schärenbewohnerin die Hand zum Gruß reichte und ihr in die Hütte folgte, „dann findet sich wohl Jemand, der mich nach Frägö übersetzt. Da halten die Dampfschiffe; die bieten mir Gelegenheit, für ein Billiges schnell nach dem Sogne-Fjord hinunter zu kommen.“

„Ich selber werde Dich übersetzen,“ antwortete das Mädchen, – als ein solches glaubte Knut die kräftig gewachsene Gestalt in der unbestimmten Beleuchtung zu erkennen – „doch das eilt nicht. Magst Dich zuvor einige Tage im Hause des alten Saitenspielers ausruhen. Da – setze Dich an den Tisch! Wer am Strande herum hierher kommt, hat sich müde und hungrig gegangen. Ich will Dir ein Mahl bereiten. Auch Wachholderbranntwein hab’ ich noch, und der ist doppelt so viele Jahre alt, wie der Olaf todt ist, und wohl noch älter; er wird Deine Kräfte auffrischen. Der Olaf lobte einen guten, mäßigen Trunk, und deshalb hielt ich braunes Bier seitdem, um es einem Gaste vorsetzen zu können.“

Sie schürte das Feuer und legte dürre Reiser auf, daß die Flammen höher emporschlugen; die Flammen aber erhellten nicht nur das Gemach, sondern verdrängten auch den Rauch, der unter der geschwärzten Balkendecke hing und den Luftlöchern oberhalb der Thür träge zuschlich.

„Nielsen,“ sagte sie nach der anderen Seite des Gemaches hinüber, „geh’ und hole die drei beste Makrelen herein! Nimm von den heute geangelten! Die sind noch nicht gedörrt. Im Vorbeigehen pflücke etwas Lauch – wirst’s ja finden im Dunkeln – das bringe mir!“

Alsbald begann es sich in dem Winkel zu regen, und Knut bemerkte einen gekrümmten Mann mit auffallend langen Armen und wirrem weißem Haar, der unter einer grellfarbig gemusterten wollenen Decke hervorkroch. Der Alte warf ihm einen blöde lächelnden Blick zu und griff nach einem Krückstock; sich schwer stützend, hinkte er zur Thür hinaus.

„Ich nahm ihn zu mir, nachdem der Olaf das Zeitliche gesegnet,“ erklärte die Hausbesitzerin während sie in einer Schüssel Hafermehl mit etwas Ziegenmilch und Wasser zu einem Brei zusammenrührte, dabei aber jede Gelegenheit benutzte, unbemerkt einen Blick ängstlicher Spannung auf ihren Gast zu werfen, „ich that es aus Barmherzigkeit, aber auch, weil ich in der Einsamkeit das Reden nicht verlernen wollte. Nebenbei gebrauchte ich Jemand, der mir beim Fischen und Dörren hülfreiche Hand leistete. Sein Brod verdient er reichlich. Mag es mit seinen Füßen nicht ordentlich bestellt sein, in den Armen besitzt er dagegen große Kräfte. Im Boot arbeitet er für Drei.“

Knut antwortete nicht, und indem er bei der zunehmenden Helligkeit um sich sah, nahm sein ernstes Antlitz einen überaus schwermüthigen Ausdruck an. Er mochte sich fragen, ob in der That so viele Jahre verstrichen seien, seitdem er auf seinen Küstenfahrten den alten Olaf zum letzten Mal besuchte; denn Alles lag und stand noch wie damals. Tage schienen erst darüber hinweggegangen zu sein.

Die rauchgeschwärzten Wände und Tragebalken, von welchen an Drähten mehrere gedörrte, seltsam gestaltete Fische als eine Art Meerwunder niederhingen, hatten nicht die kleinste Wandlung erfahren. Da standen noch der mit phantastischen Schnitzereien verzierte Schrank und die alte Truhe mit den barocken Malereien, standen die schweren Holzschemel, stand der plump gezimmerte Tisch mit den Kreuzfüßen und der breiten Platte, und vor Allem das mit einer farbenreichen, wunderlich gemusterten Decke belegte Bett. Jedes einzelne Stück erkannte er wieder; wie ein alter Freund erschien ihm sogar der oberhalb des Herdes mit der Wand vereinigte rußige Drachenkopf mit dem langen Halse und der sägeförmig ausgezackten Mähne, welche dem Kessel als Träger diente und es ermöglichte, denselben, je nach Bedarf, höher oder niedriger über das Feuer zu hängen. Der greise Olaf – ach! der fehlte zwar, aber die Langeleike lag noch auf ihrer alten Stelle auf einem bunt geschnitzten Tragebrett.

Knut betrachtete das Mädchen, welches sich mit einer gewissen würdevollen Ruhe vor dem Herd einherbewegte und deren Gestalt in der unsteten röthlichen Beleuchtung eine wunderbar einheitliche Beziehung zu der düsteren Umgebung gewann. Jeder Griff der arbeitsgewohnten Hände, jeder Schritt schien genau berechnet zu sein, eine so eigenthümliche Sicherheit offenbarte sich in denselben. Sogar in der Art, wie der kräftige, straff bekleidete Oberkörper sich in den breiten Hüften wiegte, lag etwas wie männliches Selbstbewußtsein, oder vielmehr wie die Ueberzeugung, blindlings nur den jeweiligen eigenen Regungen folgen zu brauchen, um keinen Mißgriff zu begehen. Ihr Antlitz, welches die Bezeichnung einer gereiften Schönheit verdiente, kehrte sich meist dem Feuer zu. Knut sah daher nur wenig von demselben und das Wenige blos flüchtig. Dagegen fesselte seine Aufmerksamkeit das goldblonde Haar, welches, ganz gegen die Landessitte, in zwei schweren Flechten das stolzgetragene Haupt umschlang. Er meinte, ähnliches Haar schon früher gesehen zu haben. Wo, wo?

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_373.jpg&oldid=- (Version vom 8.3.2023)