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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

und dieser Valois war ein Prakticus. Unsere gute Lossen, die mir in jüngster Zeit noch viel verschlossener und egoistischer als früher vorkommt, kann durchaus nicht mitzählen. Also weg mit der Zaghaftigkeit! Du bist jetzt über vierzehn Tage hier, warst bereits vier- oder fünfmal, und sage stundenlang mit Alma zusammen; dennoch habe ich trotz öfteren Beobachtens noch nicht das kleinste Anzeichen entdecken könnten, daß ihr Deine Gesellschaft, wie man so sagt – gefährlich sei. Das muß anders werden; ich an Deiner Stelle hätte ihr das Herzchen längst bis in die Goldaugen gejagt. Die schimmern aber und blitzen immer noch in alter Klarheit, ohne jenes weiche Feuer, das sie erst entzückend – ah –!“

Mit einem Laute des Schmerzes verstummte der Commerzienrath und lehnte sich schwer an die Brüstung der Thür.

Bob, der sehr blaß geworden, vergaß bei diesem halben Aufschrei des Vaters jede Vertheidigung und fragte besorgt, ob ihm durch irgend Etwas zu helfen wäre. Er dankte aber für Alles und versuchte sogar, als sich jetzt die gegenüberliegende Thür öffnete und die Gäste, von der Ehrendame des Hauses, Frau von Lossen, geführt, eintraten – diesen allein entgegen zu gehen.

Alma Ruland, in dem Lieblingscostüme des Pathen Commerzienrath, einem bordeauxrothen Kleide mit gleichfarbiger, enganliegender Sammetweste, von der sich die kostbare Goldkette mit Medaillon, welche ihr der Pathe am Tage der Confirmation umgehängt hatte, doppelt funkelnd abhob – eilte in jugendlicher Hast, Bob’s Verbeugung blos durch ein leises Neigen des Hauptes erwidernd, auf den Commerzienrath zu und suchte sich in ihrer herzlichen Art vor Allem zu vergewissern, ob ihm das vorgestrige Diner bei Kronau’s auch gut bekommen wäre. Der geschmeichelte Pathe durfte sie darüber beruhigen und fuhr, ihr dankbar die Hände drückend, fort:

„Aber Sie? Ist Ihnen die Langeweile unter all den Alten gleichfalls leidlich bekommen? Ich fürchtete schon, wir würden Sie bei der heutigen Wiederholung entbehren müssen.“

„Unter all den Alten?“ lächelte Alma. „Herr Geheimrath, Ihr Herr Sohn dürfte damit –“

„Ach, Bob!“ fiel der Commerzienrath mit scheinbarer Geringschätzung ein. „Der gehört schon voll zu uns alten Herren: sehen Sie sich ihn nur einmal genauer an! Wenn ich Sie nun auf’s Gewissen früge, bekämen wir sicher wieder eins Ihrer herzhaften ,Ja‘ zu hören.“

„Was das für Annahmen sind!“ mischte sich der Regierungsrath Ruland in das Gespräch, welcher dem Freunde vorher nur flüchtig die Hand gereicht und dann mit Frau von Lossen weiter geplaudert hatte. „Bob’s achtundzwanzig Jahre zu uns zu rechnen!“

„Ich werde freilich bald neunundzwanzig,“ sagte Bob möglichst trocken, warf dabei jedoch einen raschen Blick auf Alma.

Diese, so plötzlich zum Mittelpunkt der kleinen Gesellschaft gemacht, hätte sich lebensgern mit etwas Geistreichem aus der Affaire gezogen; da ihr momentan aber nichts dergleichen einfiel, versicherte sie einfach, daß sie von Jugend auf an die Gesellschaft und Umgebung älterer Leute gewöhnt sei, und ihr diese ganz so sympathisch wie Ihresgleichen wäre.

„Charmant herausgezogen!“ bemerkte Frau von Lossen spitz, vielleicht sogar ein wenig malitiös. „Fräulein Alma will es mit keinem der beiden Theile verderben! Und das ist keine geringe Lebenskunst.“

„Bis zu welchen Jahren rechnen Sie übrigens diese Ihresgleichen?“ fragte Bob mit nervöser Lebhaftigkeit.

„O – bis fünfundzwanzig!“ erwiderte Alma, dem Pathen zunickend.

„Da haben wir es,“ rief dieser, gab jedoch keine weitere Erklärung seines Ausrufes, da ein Diener Frau von Lossen meldete, daß angerichtet werden könne.

Das Wort elektrisirte stets den alten Gourmand. So nahm er auch jetzt hastig den Arm des Freundes und befahl zu seinem Sohne gewandt:

„Die Jugend voran!“

Am oberen Ende der Tafel stand in vornehmer Einsamkeit, gleich einem Thronsessel, ein großer, auf’s weichste gepolsterter Armstuhl: zu diesem hatte Ruland den Commerzienrath zu führen, welcher gerade beim Diner nichts so nöthig fand, als freie Bewegung der Arme.

Nachdem derselbe Platz genommen und sich bequem zurecht gerückt hatte, begann seine Laune auch bald eine wahrhaft glückliche zu werden, und er beschwingte die Unterhaltung förmlich durch zündende Anekdoten oder sonstige heitere Episoden aus seinen respective Freund Ruland’s jüngeren Jahren. Nebenbei waren die Austern aus Milton gekommen; die Fasanen hatte Böhmen geliefert; auf den Dessertschalen lagen die unvergleichlichen Früchte von Kiew, und der Steinberger von 1857 wie der Chambertin mundete nicht weniger als der Champagner von Ay, dieser prickelnde, markige Trank.

Es war daher nur selbstverständlich, daß die beiden älteren Herren am Schlusse des Diners höchst animirt geworden und es angenehm fanden, sich mit einer Havana in’s Arbeitszimmer des Commerzienrathes zurückzuziehen, bis der Kaffee, den Frau von Lossen immer selbst bereitete, fertig wäre. Alma und Bob, nachdem sie diesem liebenswürdigen Geschäfte eine lange Weile zugesehen hatten, traten, von einer Bemerkung Frau von Lossen’s dazu angeregt, auf einen Balcon heraus, der nach der Gartenseite des Hauses lag.

Die Sonne mußte im Untergehen sein: sie hatte in den fernen, sich bereits gelb färbenden Landpartien jenen wundersamen rothen Schimmer entzündet, der im Herbst an Alpenglühen mahnt. Auch das Meer, welches den äußersten Horizont umsäumte, verschwamm schon in Duft und Schatten; nur die Segel eines großen Schiffes erschienen noch röthlich angehaucht.

Alma hatte sich ganz in eine Ecke des Balcons gedrückt und schien in Sinnen verloren – wenigstens kam das ihrem Partner so vor. Er blickte darum still die Allee hinunter, welche jenseits des großen Rondels, das sich vor der Mittelfront der Villa in geschmackvollster Teppichgärtnerei ausbreitete, nach dem Meer zulief. Den letzten Theil der Allee bildeten Ahornbäume, deren Laub ganz vergilbt war, und Bob’s Blicke schwelgten mit halb unbewußter Freude in diesem Strom von Gold, der so harmonisch in das dämmernde Blau des Meeres überging.

Auch Alma sah endlich nach der Allee hinüber und sagte, indem sie dabei auf die Statue eines knieenden Knaben zeigte, die inmitten des Rondels stand:

„Wie hübsch hebt sich heute die dunkle Bronze meines Lieblings von dem frischen Grün ab, das auf seiner Schale liegt! Was kann das für ein Gewächs sein?“

Bob zuckte leicht die Achseln.

„Sie haben aber Recht! – Das Grün ist von seltener Frische – beinahe Maigrün. Ich werde mich bei Friedrich erkundigen.“

Der Gedanke an Friedrich brachte ihn auf ihr heutiges gemeinsames Straußbinden; er sah unwillkürlich auf Alma’s Hände. Diese hielten jedoch keinen Strauß; der mußte vergessen auf der Tafel liegen geblieben sein.

Er lächelte bitter. den Strauß vergessen zu können! Aus diesem Empfinden heraus meinte er in etwas mühsam klingendem Scherze:

„Uebrigens wieder eine Illustration zu Ihrer Vorliebe für Ihresgleichen“

Sie sah ihn fragend an.

„Maigrün gehört doch zu achtzehn Jahren,“ erläuterte er mit unsicherem Blick.

Alma wandte sich halb ab und versetzte kühl:

„Sie sind ein böser Nachträger; schon während des Essens mußte ich Sie ein- oder zweimal –“

„Bitte, höchstens einmal!“

„Unbedingt jetzt aber das zweite Mal mit einer ganz harmlos gemeinten Bemerkung gleichsam Fangball spielen hören! Das wird –.“

„Zu viel! wollen Sie sagend“ fiel Bob erregt ein. „Wenn mir das nun immer von Neuem einfällt, einfallen muß, da ja so viel – Alles davon abhängt.“

Er war Alma näher getreten und sah sie mit einem Ausdruck an, der für sie etwas Erschreckendes zu haben schien, sie jedenfalls zu einer Bewegung veranlaßte, als möchte sie sich noch weiter von ihm entfernen.

Und doch erschien sie gerade in ihrer Besorgniß reizender als je. Der rothe Wiederschein der untergehenden Sonne erhöhte wunderbar die Farbenwirkung ihrer errötheten Wangen; die braunen Augensterne flimmerten in ihrem Goldglanz, wie der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 438. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_438.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2023)