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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

den Rath bitte, mich des Geschmucks zu berauben, den meine Mutter und Großmutter als eine Ehrenkrone hochgehalten haben?“

„Weil Ihr nit Eure Großmutter seid,“ antwortete ärgerlich die Rotmundin. „Wollt Ihr allein mit dem Scheusal auf dem Haupte dasitzen, während wir schöne Häublein tragen? Hütet Euch, daß Ihr nicht die alberne Els genannt und der herben Ursel zugesellt werdet, die auch noch schön sein könnte, wenn sie sich nicht so altfränkisch kleidete! Sie hält sich stattlich, wie die Markgräfin von Brandenburg, wenn sie von der Cadolzburg hereinreitet. Ihre Augen sind schön, und ihre Haut ist glatt, wiewohl sie sich schon dem Schwabenalter nähert. Aber sie hat doch keinen Ehegesponsen bekommen und mag leicht eine alte Jungfer werden. So wird auch vor Euch den Männern grauen, zuerst einem solchen, der gern davon erzählt, wie die Frauen in Hispania, Welschland und Frankreich meisterlich verstehen, die Männer zu berücken.“

Die alte Imhofin schlug ein Kreuz:

„Die heilige Jungfrau behüt’ uns vor solchen Teufelskünsten!“

Elsbeth’s Brauen hatten sich gesenkt. Sie schaute zum ersten Mal nicht träumerisch aus, sondern unwillig, wie Eine, die unsanft aus süßem Schlummer geweckt ward.

Die Rotmundin lächelte und bot ihr auf’s Neue die Feder. Elsbeth aber schritt stumm zur Thür.

„Wo wollt Ihr hin?“ fragte die Rotmundin.

Sie schwieg. Da rief die alte Imhofin:

„Elsbeth, maule nicht! Du bist kein Kind mehr; Du bist eine erwachsene Jungfrau.“

„Bin mir dessen wohl bewußt,“ antwortete Elsbeth. „Und darum will ich nimmer dabei sein, wenn Frauen sich verschwören gegen ihre eigene Ehre und prängisch sein wollen, gleich welschen Teufelinnen.“ Schon hielt sie den blitzenden Messinggriff der Thür in der Hand.

Da trat ihr noch einmal die Rotmundin in den Weg.

„Wollt Ihr Euch etwa zur herben Ursel begeben und ihr unsren Handel erzählen, damit sie Schultheiß und Rath in allem Götzendienst stärke, den sie mit der alten Zeit treiben, und unser armes Häublein zur Stadt hinaus hetze? Erinnert Euch, es war eine geheime Berathung heute, wenn wir Euch auch nicht erst das Wort abgenommen haben zu schweigen!“

Die Jungfrau sah sie verächtlich an.

„Ich bin die Elsbeth Imhofin,“ antwortete sie, „und keine schwatzhaftige Stadtfraubas.“

„Auch die Dummheit ist zu was gut,“ dachte die Rotmundin.

Die alte Imhofin raffte ihren schweren Rock empor und folgte der Tochter.

„Wir wollen halt gehen, Frau Rotmundin,“ seufzte sie, „daß wir einmal über den Entschluß schlafen.“ Und als sie das Gemach verlassen hatten, fuhr sie fort: „Wenn i nur wüßt, wie man’s hindern thät, daß zwischen der Rotmundin und uns aus Eintracht Zwietracht wird!“

Elsbeth richtete sich schroff auf.

„Was kümmert uns, wie die Frau von uns denkt, deren Sinn unstät ist wie ein Wandelstern?“ sprach sie. „Wir haben Recht und Gesetz auf unserer Seite; das sind die sichersten Gefreunde.“

„Laßt sie laufen!“ rief die Rotmundin, als Elsbeth die Thür hart hinter sich zugedrückt hatte. „Sie ist wie ein stätischer Gaul.“

Die Frauen wandten sich schnell wieder dem Häublein zu.

„Möchte es wohl einmal aufsetzen!“ rief die eine.

„Ich auch! Ich auch!“ erschallte es im Kreise.

Die Stürze flogen herab, und die neue Haube begann die Rundreise von Kopf zu Kopf.

„Wie muß man sie rücken? Steil auf den Scheitel?“

„Nein, ein wenig nach hinten!“

„Den Schleier vor das Gesicht?“

„Heilige Jungfrau, Ihr setzt sie verkehrt auf. Der Schleier muß über den Rücken herab fliegen. Hier ist mein Handspiegel.“

„Eia, wie wunderfein!“

„Nun ich! Nun ich!“

So summte es durch einander.

Da riß plötzlich die Gürtelmagd die Thür auf.

„Der Herr ist wieder daheim.“

Als ob der Habicht über ein Hühnervolk gekommen sei, so flüchteten die Frauen wieder unter ihre Stürze und schauten dann klagend aus dem Spalt einander an.

Die Rotmundin barg den neuen Kopfschmuck in der Lade. Dann trat sie vor dieselbe und rief:

„Die Augsburger Haube oder ein Zetergeschrei! Das ist unser Losungswort.“

Die Stürze ringsum nickten so kräftiglich, als seien sie schon dem Sturze nahe, und mit feierlichem Handschlag nahmen die Frauen Abschied.

Als sie fort waren, trat Herr Rotmund bei seiner Frau ein. Sie kam ihm lächelnd entgegen und schmiegte sich an ihn wie ein buckelndes Kätzlein.

„Hat mein Herr fleißig regiert? Gewiß könnt Ihr nun bald sagen: ‚Nürnberg vor Augsburg!‘“

„Woher weißt Du davon?“ fragte er vergnügt. „Ist es denn kein Geheimniß mehr, weshalb heute die geheime Rathssitzung war? Wenn Du’s denn schon weißt, will ich’s nur sagen: Wir bekommen auch Fürstenbesuch wie die protzigen Augsburger. Der Bruder des Kaisers Carolus, Erzherzog Ferdinand, kommt gen Nürnberg und wird unser Gast sein.“

Das rosige Antlitz der Frau Rotmundin leuchtete auf.

„Der junge Erzherzog kommt?“ rief sie frohlockend.

„Mit vielen Fürsten, Bischöfen und großem Gefolge,“ antwortete zufrieden ihr Eheherr, „wohl zweihundert Helme stark. Auch seinen berühmten Hofnarren bringt er mit.“

Die Rotmundin nahm eine wichtige Miene an.

„Da wird sich der Rath den Kopf zerbrechen müssen, auf daß Nürnberg nit gegen Augsburg zurückbleibt, welches an Fürstenbesuch gewöhnt ist wie an das tägliche Brod.“

Herr Rotmund hob stolz das Haupt.

„Das macht unsrer freien Reichsstadt noch lange kein Kopfzerbrechen. Wir wollen seiner fürstlichen Durchläuchtigkeit zeigen, wie es um unsere Macht und Herrlichkeit bestellt ist. Alle Bürger werden ihm in Wehr und Waffen entgegenziehen, zur Augenweide und zum Exempel für Jedermann, der etwas wissen will. Ich habe mich schon mit einigen ehrbaren Gesellen berathen; wir wollen uns beim Einholen auf husarisch kleiden, am linken Arm das Tartschlein, den Spieß mit einem Fähnlein in der rechten Hand. Der Schneider, der mir den Rock dazu machen soll, ist schon bestellt.“

„Und wir halten einen Geschlechtertanz,“ rief Frau Rotmundin, „denn solch junges Blut, wie der Erzherzog ist, tanzt gewiß gern. Und dazu bekomme ich eine neue Haube,“ sie streichelte ihrem Eheherrn die Wange.

Herr Rotmund sah verlegen nach der andern Seite.

„Du hast Stürze in großer Anzahl, willst Du aber einen neuen haben?“

Sie zog in bedrohlicher Weise das Nastuch aus der Gürteltasche.

„Dir bestellst Du einen bunten Rock, Tartschlein und Fähnlein, und mir willst Du eine Dornenkrone aufsetzen?“

„Führe keine vermessenen Reden!“ warnte ihr Eheherr salbungsvoll. „Der Sturz ist die Auszeichnung für die Geschlechterinnen; er ist das Symbolum der Ehrbarkeit und Würde, und an der guten alten Sitte darf nicht gerüttelt werden. Sind die Zeiten doch so schwer genug. Der Stuhl des heiligen Vaters wankt unter den Angriffen des Wittenberger Mönches; die Fürsten sind uneins; der gemeine Mann ist aufstutzig. Statt die Stützen und Stäbe, welche unsre weisen Vorväter vorsorglich errichtet haben, mit eigener Hand niederzureißen, sollten wir in uns gehen und Buße thun. – Wo willst Du hin?“

„Deine gehorsame Magd will Buße thun, wie Du gesagt hast,“ entgegnete die Frau, einen grünlich schimmernden Blick ihm zuwerfend, während sie Rosenkranz und Gebetbuch aus dem Schrein nahm. „In St. Sebald hört Pater Aloysius noch Beichte. Jetzt in der Dämmerung ist’s am andächtigsten. Er hat eine sanfte Stimme; sein Haar duftet wie Zibet, und seine schöne Hand, die er uns zum Kuß reicht, schimmert weiß im braunen Beichtstuhl.“

„Laß mich aus mit dem Pater Aloysius!“ rief Rotmund, sich verzweifelnd in die Haare fahrend, daß die kleinen silbernen Spieße, mit denen seine Locken durchstochen waren, zu Berge standen. „Alles verdrehte Weibsvolk ist versessen auf ihn.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_506.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2023)