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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

ausbilden. Die Arbeiten haben Dauer, repräsentiren eine gewisse Solidität, verlangen Exactheit und Sorgfalt, und man kann bei ihrer Herstellung gleichzeitig den Sinn für Formenschönheit üben. Auch unter den Theilnehmern zeigt sich eine besondere Lust für diese Branche; ich sah Anfängerarbeiten, bei denen man mir auf Ehrenwort versichern mußte, daß sie von Anfängern herrührten.

Für die Laubsäge-Abtheilung habe ich mit dem besten Willen keine Sympathien in mir erwecken können. Das ewige Fitscheln mit der Laubsäge ist kaum eine Technik zu nennen; die Ornamente bleiben immer flach, schablonenhaft und nichtssagend; zudem nimmt man den Holzflächen durch das gebräuchliche übermäßige Ausschneiden den Halt und die Erzeugnisse gleichen allzu sehr Conditoreiwaaren, während man berechtigt ist, bei dem sonst so soliden Rohmaterial auch stabile Arbeiten zu verlangen. In Verbindung mit der Bildschnitzerei und bei Einlege-Arbeiten kann die Laubsäge allerdings in ihrer Mission bedeutend gehoben werden, doch dazu werden sechs Wochen sich zu kurz erweisen.

Die Metallarbeiten sind noch nicht obligatorisch eingeführt. Jetzt beginnt man mit Drahtgegenständen, und das ist nur anzuerkennen. Der Draht im Haus ist das für den Hausvater, was der Flickzwirn für die Hausfrau darstellt. Später will man physikalische Schulapparate fertigen.

Clauson von Kaas möchte gern noch weitere Branchen einführen, wenn nicht die leidige Kürze des Cursus zwingend dagegen spräche. Er hat mancherlei Musterarbeiten aus dem Norden mitgebracht, die vielleicht Anstoß zu weiteren Hausindustrien geben könnten; so sah ich Koffer und Hutschachteln aus Stroh und Haselnußrinde geflochten, mit denen ein englischer Fothballclub glaube ich jahrelang seinen Sport treiben könnte – so dauerhaft sind sie gearbeitet.

Vielleicht giebt man bei künftigen Handfertigungscursen das Eine auf und setzt das Andere dafür ein. Als Sohn eines Landwirths könnte ich für Landschulen die Riemerei empfehlen. Wie oft reißt und platzt etwas an Schiff und Geschirr, und wie oft steht ein armer Tropf von Fuhrmann hülflos an der Landstraße! Ein Pfriemen und ein Riemen in der Schoßkelle und die nöthige Fertigkeit in der Hand kann mancher Verlegenheit vorbeugen. In die Metallbranche sollte man unbedingt das Härten von Messerklingen etc. aufnehmen. Eine Schneide, die nicht stehen will, ist beinah schlechter als gar keine Schneide, und mit wie wenig Handgriffen kann dem oft abgeholfen werden!

Nun, die Entwickelung des Handfertigkeitsunterrichts hat ja eben erst begonnen; als Freund der Sache berührte ich die Mängel absichtlich, um nicht in den Verdacht der Voreingenommenheit zu gerathen und um auch bei dem Gegner Vertrauen zu gewinnen. Nur die Discussion kann weitere Klarheit schaffen, und möchte ich daher wünschen, daß mit der negirenden Resolution der Kasseler Lehrerversammlung wenigstens das Discutiren der Frage nicht in’s Stocken gerathe und sich die Kluft zwischen Schulbank und Werkbank nicht noch mehr erweitere.

Die heutige Zeit fordert alle Intelligenz heraus, auch die Intelligenz der Hand, und wenn die Lehrerwelt auch dieser nachstrebt und sie auf die Jugend überträgt, so wird nach meiner innersten Ueberzeugung die Schule das erst im vollsten Sinne werden, was sie sein muß: eine Vorbereitung für’s Leben.




Aus Bayreuth, der Stadt der Parsifal-Aufführungen.

Wenn man augenblicklich von Bayreuth erzählen will, kann man sich und dem Leser eine längere Einleitung ersparen. Es ist zur Zeit fast ein Kunststück Nichts über Bayreuth zu wissen. In der Telegrammrubrik unserer politischen Zeitungen steht der Titel Bayreuth in gleichem Course mit den Namen der Weltstädte, mit London und Paris, mit Constantinopel und Alexandrien. Ein Fremder, der nur oberflächlich die Tagesblätter überfliegt, kann auf die Idee kommen, daß dieses Bayreuth in einem besonderen Zusammenhang mit der orientalischen Frage steht, namentlich da auch im Jahre 1876, während der serbisch-türkische Krieg im Gange war, mit den Berichten von der unteren Donau unausgesetzt Depeschen aus Bayreuth durch die Blätter liefen.

Mit dem orientalischen Kriegsschauplatz hat nun allerdings Bayreuth Nichts zu thun – aber einen halb kriegerischen Charakter kann man dem Platze immerhin beilegen. Bayreuth ist das Generalstabs- und Hauptquartier einer sehr kampfeslustigen Kunstpartei. Es wird dort Viel gestritten, wenn auch nur mit Worten und blos über ästhetische und musikalische Dinge – und der Aufenthalt in dieser Stadt hat Manches von der Natur des militärischen Lagerlebens, des Bivouakirens mit seinen Reizen und seinen kleinen Uebelständen.

Einer unsrer besten Culturhistoriker, der Münchener F. W. Niehl, spricht einmal von einer „Kriegsgeschichte der Oper“. Die Geschichte der Oper aber hat mit dem Auftreten Richard Wagner’s eine ihrer kriegerischsten Epochen begonnen. Seine Hauptschlachten nennt Wagner „Festspiele“, und der Schauplatz dieser Festspiele ist eben unser Bayreuth.

Wie gerade Bayreuth zu dieser Bestimmung gekommen ist – das umständlich und diplomatisch genau aus einander zu setzen, würde uns zu weit führen. Daß der Ort sich zu dem Zwecke gut eignet, giebt die Mehrzahl Derjenigen zu, welche daselbst im Jahre 1876 der Aufführung des ersten Festspiels „Ring der Nibelungen“ beigewohnt haben. Und man darf sagen: er hat sich jetzt, wo der „Parsifal“, den Wagner ein „Bühnenweihfestspiel“ genannt hat, abermals der Einwohnerschaft Woche um Woche einen Zuwachs von mehreren Tausenden zum Theil anspruchsvoller Gäste bringt, noch besser bewährt.

Wir Deutschen sind von Haus aus gar nicht gewöhnt, die Kunst blos in den großen Städten, wo Hunderttausende von Menschen zusammenwohnen, aufzusuchen. Die Geschichte unsrer Kunst, unsres geistigen Lebens ist in mancher ihrer wichtigsten Partien eine halbe Dorfgeschichte, und einzelne unsrer größeren Geister lebten und wirkten an kleinen Orten. Bayreuth selbst war der Wohnsitz eines Dichters, den Deutschland unter seine eigenthümlichsten und höchst angelegten Poeten zählt: Jean Paul verbrachte hier einen schönen Theil seines Lebens. Er zog sein Bayreuth dem Glanz der großen Städte vor; hier fand er Stoff für seinen Humor und sein Gemüth. Niemand und Nichts störte ihn hier in seiner Eigenart. Er blieb in Bayreuth und starb daselbst.

Im Gegensatze zu einem andern berühmten Musiker, Robert Schumann, welcher leidenschaftlich für den Dichter von Bayreuth schwärmte, sind Wagner’s Beziehungen zu Jean Paul etwas dunkel. Eins aber theilt er mit dem großen, phantasiekühnen Humoristen: das ist die Liebe der Bayreuther. Ja, ich glaube nicht, daß Jean Paul die Gunst seiner Mitbürger in dem gleichen, allgemeinen Maße besessen hat, wie Richard Wagner; denn diesem fühlt sich Jedermann in Bayreuth zu Dank verpflichtet.

„Wenn wir vor zehn Jahren“ – sagte ein einfacher Gewerbsmann – „hinaus in die Fremde kamen, da wußte Niemand etwas von Bayreuth. Sagten wir: Bayreuth liegt im Fichtelgebirge, fragten sie: Ja, wo ist denn das Fichtelgebirge? Heute aber ist Bayreuth ebenso bekannt wie Nürnberg. Ja“ – so schloß unser schlichter Freund – „der Wagner ist ein tüchtiger Mann, und wenn auch nicht Alles nach seinem Kopfe gehen kann – er versteht sein Geschäft.“

Die Beweise von dieser Popularität Wagner’s traten uns in Bayreuth handgreiflich auf Schritt und Tritt entgegen. Man benennt Kellnerinnen und Kellner mit den Namen von Wagner’s poetischen Figuren, ja, selbst die vierfüßige Creatur wird in diese unschuldige Spielerei mit hineingezogen. Wenn Wagner von den Toilettenartikeln und Gebrauchsgegenständen, denen sein eigener Name zur höheren Weihe und zur Recommandation vorgesetzt wird, wirklich ohne Ausnahme Gebrauch machen sollte, müßte sein Geschmack von einer unbegreiflich großen Vielseitigkeit sein. Und dieser sichtbare Cultus des Dichtercomponisten geht über den Bereich der Stadt noch weit hinaus. Bereits auf dem Bahnhofe zu Lichtenfels ist der Wartesaal mit einer Büste Wagner’s, geschmackvoll in frisches Grün gestellt, geschmückt worden.

Daß die Bayreuther den geistigen Bestrebungen Wagner’s mit wahrhafter Theilnahme folgen, kann man an verschiedenen Zeichen beobachten. Selbst seine Agitation gegen die Vivisection hat dort praktisch gewirkt und die Gründung eines Vegetarianervereins

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_550.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2023)