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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

„Ja, warum erheben die Frauen ihre Stimmen?“ lächelte Altdorfer. „Dieweil die meisten mehr einem Drachen denn einer heiligen Jungfrau gleichen.“

Die Andern lachten, aber Herr Albrecht nickte und erwiderte:

„Du hast Recht, mein Sohn.“ Und dabei malte er an dem Madonnenbilde auf seiner Staffelei einen feinen Pinselstrich, wodurch der Blick ihrer blauen Augen noch sanfter wurde.

[WS 1]Da öffnete sich die Thür, und die Dürerin schaute selbst herein.

„Es sind zwei Frauen draußen,“ rief sie, „in Sturz und Brokatrock, die mit Euch reden wollen. Ihr habt doch keine Bilder hier, die ihren Augen anstößig sein möchten? Denn ich meine, es sind die Imhofischen.“

„Laß sie eintreten!“ sagte Herr Albrecht mild.

Aber Wilhalm war aufgesprungen; seine Augenbrauen hatten sich finster zusammengezogen.

„Wenn auch Eure Bilder sie nicht verscheuchen so ist ihnen vielleicht mein Anblick widerwärtig. Laßt mich hinter die Leinwand schlüpfen!“

Kaum hatte er sich verborgen, da traten die Frauen ein.

Herr Albrecht nahm das Barett vor ihnen ab. Sie neigten das Haupt zum Gegengruß, und Elsbeth sprach:

„Wir kommen, um eine Bestellung bei Euch zu machen, Herr Dürer. Wollt Ihr mich abconterfeien? Ich möcht, daß ein Bild von mir in dem Gange aufgehängt werde, wo die Imhofinnen alle von der Wand blicken, bevor ich aus dem Hause scheide; denn ich gedenke in ein Kloster zu gehen.“

Da war es, als wenn leise Einer mit dem Absatz aufträte, wie in schwer bezähmter Ungeduld.

Herr Dürer war es nicht; der sah in Elsbeth’s Augen und fragte:

„Ihr sollt in’s Kloster gehen?“

„Es zwingt sie Keiner,“ fiel die alte Imhofin ein. „Sie folgt ihrem eignen Entschluß. Und sie wird auch nicht früher in dasselbe eintreten, bis sie bei den Festen, so uns bevorstehen, noch einmal weltliche Luft gekostet hat.“

„Wie wollt Ihr gemalt sein?“ wandte Dürer sich an Elsbeth.

„In Sturz und Kirchenrock!“

„Im Sturz?“ fragte Herr Dürer verwundert, und es ging ein Gemurmel durch die Reihen der Schüler, das ein Echo hinter der Leinwand hervorrief.

„Warum wollt Ihr Euch also verunstalten?“ fragte der Meister und forschte durch den Schleier, ob er vielleicht dahinter ein abstoßendes Antlitz entdecke.

„Aber Meister!“ seufzte die alte Imhofin kummervoll. „Stimmt Ihr vielleicht auch für die Augsburgische Haube?“

Dürer schüttelte den Kopf.

„Die aufstutzige Haube strebt ebenso gegen die Gesetze der Schönheit wie Euer Sturz. Wollet Ihr nicht das Schleiertuch wählen? Es verwahrt das Haupt auf natürliche Weise und verleiht ein madonnenhaftes Ansehen.“

Elsbeth's Augen blickten finster.

„So kleidet sich keine ehrsame Jungfrau,“ sagte sie.

„Hätte der Antwort gewärtig sein können,“ meinte Dürer. „Wir Maler sind übel daran in dieser guten Stadt. Ihre Thore sind so fest, ihre Mauern so hoch, daß das Neue nicht herein, das Alte nicht hinaus kann. Woher sollen wir da schöne Vorbilder nehmen? Der Tizian hat’s doch leichter. Der sieht die Frauen im Schmuck lichter Schleier und mit Perlenschnüren im Haar.“

„O schweigt von den welschen Frauen!“ rief Elsbeth entrüstet. „Sie sind aller Eitelkeit voll.“

„Weiß nit, warum den Frauen versagt sein soll, ihr Haupt nach eigenem Gefallen zu schmücken,“ bemerkte der junge Mann mit dem Kräuterbündel, der dem zeichnenden Schüler neben ihm allerhand Blattwerk und Blumen als Muster hinlegte. „Wäre es Sünde, sich herauszuputzen, alsdann würde unser Herrgott den Pflänzlein nicht so mancherhand wunderlichen Schmuck angehangen haben.“

„Der Herr Hieronymus Bock vertheidigt den Putz,“ sagte David Kandel, der Zeichner, „und trägt doch selbst das Zwillichwams und den Bundschuh des Bauern, statt des schwarzen Rockes der gelehrten Herren.“

„Also ziemt es sich für den Wurzelgräber,“ lächelte der Botaniker, welcher unter dem Namen Tragus später zu hohem Ruhme kam.

„Wenn Ihr gelehrt seid,“ fragte Elsbeth fast rauh, „wie könnt Ihr eine solche Schwachheit entschuldigen?“

Hieronymus Bock sah sie freundlich an.

„Nennt Ihr die Freude am Schönen eine Schwachheit? Ich habe oft darüber nachgesonnen, wenn ich auf meiner arbeitsseligen Pflanzenfahrt durch das rauhe Wasgau streifte, wie doch Alles, was Menschenhände machen, so wunderbarlich vorgebildet ist in der Natur. Trägt nit die Goldwurz, die in den hohen Wäldern wächst, ein Gebände, wie der schlimme Türke es um sein Haupt schlingt? Nennen wir nit die Wolfswurz auch Eisenhütlein, weil sie eine blaue Haube hat, gleich unsren Rittern beim Turnei? Setzt der Fliegenschwamm nit einen rothen Hut auf, wie die Cardinäle in Rom? Zieht der Rittersporn nit Schnabelschuhe an? Und der Goldstern, den da mein lieber Gesell so einfältig schlecht und wahrhaftig hinzeichnet, gleicht er nit den feinen Goldröslein, mit welchen die holdseligen Frauen ihre Mieder verzieren? Wenn der allmächtige Gott so große Freude an der Zier hat, warum sollen’s nit die jungen Mägde auch haben, die er schuf, so recht sich und uns allen zur Augenweide?“

„Darf die Jugend nicht auch anmuthig seine“ pflichtete Dürer bei. „Wenn wir ein absonderlich schönes Weibsbild sehen, so malen wir es als liebe Gottesmutter. Wir schaffen die Englein schön und die Teufel häßlich.“

Elsbeth wußte nicht, was sie entgegnen sollte. Auch die künstlichen Meister hier sprachen Alle wie der Haller, und selbst der gelehrte Herr stimmte ihm zu. Traurig sinnend schlug sie die Augen empor; ihre Seele war weit weg bei dem Streite mit dem ungetreuen Verlobten.

„Euren Augen nach müßtet Ihr eine schöne heilige Jungfrau geben,“ sprach Meister Dürer und legte ihr den Buben mit dem Fähnlein in den Arm.

Sie beugte sich freundlich zu ihm nieder. Er sah sie erst starr an; dann jauchzte er auf und faßte in die Schleier des Sturzes. Sie sanken herab.

Und da rollte plötzlich über Hals und Schultern bis zu den Knieen schweres Goldhaar nieder. Sie stand erschrocken, und Frau Imhof zog die Stirn kraus in ernstem Tadel.

Aber die Schüler fuhren von ihren Sitzen auf, bildeten einen Kreis um sie herum, und ein Ausruf der Bewunderung ging durch die Werkstatt. Auch der junge Altdorfer verließ seine emsig durch die Luft rudernde Engelschaar, an der er malte, und drängte sich Allen voran. Schier verzückt schaute er auf die goldnen Wellen, und dann blieb sein Auge mit dem seltsamen durchdringenden Blick, den nur die Maler haben, an dem purpurnen Munde haften, der herbe wie in unterdrücktem Schmerz an den Winkeln leicht sich senkte.

Elsbeth wandte sich verlegen von ihm hinweg. Zugleich polterte es hinter der Leinwand, und – plötzlich trat Wilhalm mit zornigem Gesicht zwischen Altdorfer und sie.

Ueber ihr Antlitz zuckte eine hohe Gluth.

„Warum verbergt Ihr uns, daß Ihr Gäste habt, Herr Dürer?“ fragte Elsbeth diesen vorwurfsvoll, indem sie das Kind vom Arme ließ.

Und während Alle sie sprachlos anstarrten, bemühte sie sich, ihr Haar wieder zu bergen, aber es war zu stark und lang. Die Mutter trug Handschuhe und über diesen noch Ringe, sodaß sie sich ungeschickt im Helfen erwies. Elsbeth vermachte das Gebände nur lose um den Kopf zu schlingen.

Der Wilhalm aber vergaß diesmal seine spanische Reverenz, weil er sie immer anschauen mußte.

„Wenn i nur wüßt’,“ rief die Imhofin, „wo Ihr gesteckt habt, daß wir Euch nicht gewahrten!“

„O, mit solchen Praktiken,“ sprach Elsbeth bitter, „ist Herr Haller wohl vertraut. Heimlich Spiel, so Niemand erfahren darf, versteht er meisterlich.“

„Eure Zunge ist scharf,“ antwortete Wilhalm. „Ein sanftes Wort möchte einer Jungfrau bester anstehen. Ich verbarg mich, weil ich wohl weiß, daß Ihr mir nicht gern begegnet, und ich kam hervor, um Euch zu sagen“ – er stockte, weil sie ihn stolz anschaute; dann fuhr er trotzig fort: – „daß Ihr eine Thörin seid, so Ihr noch fürder den Sturz tragt.“

„Fast möcht’ ich Euch Recht geben,“ sagte die Imhofin. „Wenn i nur wüßt’, ob es anging! Gern schlöss’ auch ich mich der Rotmundischen Rotte an.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: „Da
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_554.jpg&oldid=- (Version vom 1.5.2023)