Seite:Die Gartenlaube (1882) 591.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

für’s Vaterland; ihre Enkel werden einem fremden Volke angehören, und an deren Wiege wird kein deutsches Lied mehr erklingen – das Schiff ist ein Auswandererschiff.

Wahrlich, es wird im deutschen Vaterlande wenige Punkte geben, wo das, woran uns dieser scheidende Dampfer mahnt, eindringlicher, ernster zu uns spräche, als auf dieser leuchtenden Warte an der Grenze zwischen dem Vaterlande und dem Ocean: hier empfinden wir es tief, daß der deutsche Michel, den wir nach der großen nationalen Erhebung für todt und abgethan hielten, wieder auferstanden ist und unsere Zukunft ernsthaft bedroht. Zu den Siegeszeichen blickt der Deutsche stolz und selbstbewußt hinauf – aber er ist taub für Das, was sie uns lehren: daß die Todten des großen Krieges durch ihr Sterben nur den Lebenden die Bahn frei machten, auf der sie nach dem einen großen Ziele mächtig vorwärtsstreben sollten: Theil zu nehmen an der Weltwirthschaft, Theil zu nehmen an der Weltherrschaft, welche den germanischen Völkern dereinst zu Theil werden wird auf Grund ihrer unerschöpflichen Volkskraft. Und der reiche Ueberschuß unserer Volkskraft? Dort geht er hin auf dem riesigen Amerikaner; uns bleibt – der Rauch – das Nichts!

Gebe Gott, daß die Stunde der Erkenntniß und des Handelns nicht mehr fern ist! Und als gute Vorbedeutung möge es gelten, daß jetzt, während wir auf dem hohen Thurme an der Elbmündung stehen, drüben im Osten der erste Strahl der aufgehenden Sonne emporschießt – die nun hell und klar, aber auch kalt und nüchtern wie die Wahrheit, in die Welt tritt – kalt und nüchtern; denn es ist ein Irrthum, zu glauben, daß der Sonnenaufgang über der See immer denselben Reiz übe – ja, wenn Wolkenungethüme sich dem Lichte entgegenstemmen, dann ist das Emporsteigen des Tagesgestirns über der Salzfluth von imposanter Wirkung; bei klarem, reinem Himmel aber ist nur die eben geschilderte Dämmerung von zauberhaftem Reiz – das Erscheinen der Sonne selbst ist nüchtern – nüchtern geht sie zur Tagesordnung über.

Wir folgen ihrem Beispiele! Denn im Hafen unten wird es lebendig, und eben drückt auch der Lampenwärter dem Leuchtthurme das Auge zu.




Etwas von der schwarzen Schaar.

Ein Blick auf die deutschen Artillerie-Schießplätze.
Mit Abbildungen von Paul Heydel.

„Kanonendonner ist unser Gruß;
Wir sprechen mit Mörserblitzen.
Bald sind wir zu Pferd, bald sind wir zu Fuß,
Doch stets bei unsern Geschützen,
Und wenn der Kartätschenhagel kracht,
Nehmt euch vor dem schwarzen Kragen in Acht!“

     (Aus einem alten Soldatenliede.)


Das alte Soldatenlied hat auch heute noch Recht, ja vielleicht mehr Recht, als in jener entlegenen Zeit, in welcher das Lied entstand und in der die nunmehr in Arsenalen oder auf entlegenen Festungswällen langsam verrostenden „Feldschlangen“ und „Basiliske“ dem ungenannten kriegerischen Dichter einen gelinden Respect und eine nicht unbedeutende poetische Begeisterung einflößten. Ist doch, dank den modernen Fortschritten, die Wirkungsfähigkeit unserer Geschütze so gewaltig gesteigert worden, daß man mit ihnen in wenigen Stunden große Städte, wie weiland Alexandrien, völlig zusammenschießen kann, und daß der Wucht ihrer Geschosse selbst dicke Panzerplatten nicht zu widerstehen vermögen. Freilich ist diese Wirkungsfähigkeit nicht allein dem vortrefflichen Kriegsmaterial der Neuzeit, sondern zu einem guten Theile auch der vorzüglichen Ausbildung der Artilleriemannschaft im Frieden zuzuschreiben.

Nur Wenigen dürfte es aber bekannt sein, mit welcher Sorgfalt die Ausbildung der Artillerie betrieben wird, und wir laden daher unsere Leser zu einem wenn auch nur flüchtigen Besuche der großen Schießplätze ein, auf welchen deutsche Kanoniere im Kriegshandwerk geübt werden. Wir können dem donnernden Treiben, welches sich dort vor unsern Augen entwickelt wird, mit um so größerer Theilnahme folgen, als wir sicher annehmen dürfen, daß die Schlünde der deutschen Kanonen sich nie auf halbwehrlose Städte richten werden, um etwaige Raubgelüste zu verwirklichen, sondern daß sie immer drohend dastehen werden, um die Grenzen des Reiches vor feindlichen Uebergriffen zu schützen und den Frieden zu hüten.

Auf also mit der „schwarzen Schaar“! Begleiten wir einmal eine Truppe, die im Regimentsverbande auf dem Schießplatze einrückt, um eine mehrwöchentliche Uebung abzuhalten! Aber nach welchem Schießplatze soll es gehen? Da gerathen wir schier in Verlegenheit. Es giebt jetzt in Deutschland mehr als sechszig Artillrieregimenter, und da hat wohl ein jedes seinen Schießplatz? Nun, die Auswahl wäre nicht so leicht. Doch nein! Die Verhältnisse liegen für einen Berichterstatter viel günstiger. Die Artillerieschießplätze müssen wegen der großen Tragweite der modernen Geschütze, die manchmal über eine deutsche Meile beträgt, sehr groß sein, und da der Grund und Boden selbst auf wüsten Landstrecken und in Haidegegenden doch einen gewissen Werth darstellt, so würde es recht kostspielig sein, wenn man jedes Artillerieregiment mit einem besonderen Schießplatze versehen wollte. So hat man denn mehreren Regimentern je einen Schießplatz zur gemeinsamen Benutzung angewiesen, und die Gesammtzahl derartiger Plätze beschränkt sich im deutschen Reiche auf etwa ein Dutzend. Da wäre die Auswahl schon viel leichter. Sollen wir uns nun etwa nach Itzehoe in Holstein, nach Darmstadt, nach Wahn oder nach Zeithain in Sachsen begeben, Ortschaften, in deren Nähe die bekanntesten Schießplätze liegen? Nein! Jeder dieser Schießplätze hat zwar seine besondere Eigenthümlichkeit, aber zeigen wir dem Leser nur einen dieser Schießplätze, so wird er Manches, was sehenswürdig und belehrend ist, nicht erfahren. Wie sollen wir dem abhelfen?

Nun, wir stellen uns für unsere Zwecke einen Schießplatz zusammen, der zwar in seiner Gesammtheit nirgends auf der Erde zu finden sein dürfte, dessen Einzelnheiten aber doch durchaus der Wirklichkeit entsprechen, indem sie bald auf diesem, bald auf jenem unserer Artillerieschießplätze vorkommen. Der Maler, der uns begleitet, hat in ähnlicher Weise gehandelt; er hat hier und dort seine Skizzen gesammelt und sie dann zu kleinen, recht instructiven Gesammtbildern vereinigt. Also, marsch! Auf nach unserm imaginären und doch wahrhaftigen Schießplatze!

Zu Fuß etwa? Nein, da wäre der Marsch zu anstrengend;

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_591.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2023)