Seite:Die Gartenlaube (1882) 592.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

so müssen wir mit in den Militärzug einsteigen, welcher Mannschaft, Pferde und etwaiges Kriegsmaterial nach dem Schießplatze befördern soll.

„Wie lange fahren wir denn noch?“ fragen wir auf einer Station. Da erhalten wir gleich die Antwort.

Es tritt ein Unterofficier an das Coupé heran und macht die Mannschaften darauf aufmerksam, daß auf der nächsten Station ausgestiegen wird und daß sie sich hierzu bereit halten sollen. Demzufolge werden die Mützen in die gerollten Mäntel gesteckt, die Röcke zugeknöpft, die Helme aufgesetzt, die Tornister zur Hand genommen. Die Büchse war natürlich während der Fahrt nicht aus der Hand oder dem Arm genommen.

Auf dem Artillerieschießplatze: Lagerbelustigungen.

Jetzt hält der Zug auf einem Nebengeleise; die Wache verläßt zuerst den Wagen, und nun ertönt das Signal: „Aussteigen!“ Noch ein kräftiger Zug aus der Pfeife, die nunmehr in den Brodbeutel wandert, und rasch steigt Alles aus. Bald sind auch die Pferde und das Material ausgeladen, und sofort wird der Marsch nach dem nicht mehr weit entfernten Lager angetreten. Unter Sang und Klang natürlich, nach echter und rechter Soldatenart!

Auf dem Artillerieschießplatze: Nachtschießen mit Fünfzehncentimeter-Kanonen (Vierundzwanzigpfünder) aus einer Belagerungsbatterie.

Wer da gedacht hat, er werde in dem Lager auf dem Schießplatze nur ein paar elende Hütten finden, die kaum Schutz gegen Wind und Wetter gewähren, der muß sich eines Besseren belehren lassen. Es ist ja eine förmliche kleine Militärstadt, die da vor unseren Augen liegt; wohl an 2000 Mann mit der entsprechenden Anzahl von Pferden vermag sie Unterkunft zu geben. Da giebt es rechtwinklige Straßen, die das Lager in verschiedene Quartiere eintheilen, und die Namen der Straßen, die klingen recht gut für jedes deutsche Ohr: Sedan-, Wörth-, Moltke-Straße etc. Da finden wir auch ein freundliches Officierscasino, wie es unser Maler auf dem hübschen Initial an der Spitze unseres Artikels abgebildet und dessen Skizze er sich in dem Lager von Zeithain geholt hat. Auch die Baracken für die Mannschaften sind recht sauber und wohnlich; sie weisen zwar keinen besonderen Comfort auf, bieten aber durchaus eine menschenwürdige Unterkunft – und so muß es auch sein: das Volk zahlt ja gern die Steuern für unser Militärbudget.

Doch die knapp zugemessene Zeit verbietet uns, hier über die Verpflegung der Truppe, über Schlaf- und Küchenräume oder über das interessante Marketenderwesen Studien zu machen; wir sind ja gekommen, um ein kriegerisches Vorspiel zu genießen – sehen wir uns also den Schießplatz etwas genauer an!

Es giebt hier Gebäude, die von Eisen wahrhaft starren, artilleristische Etablissements, Eisenmunitionsschuppen, Wagenhäuser, Parkplätze, Laboratorien und in gewisser Entfernung auch Pulvermagazine. Die letzteren sind vor Explosionen durch alle erdenkliche Mittel geschützt und mit hohen Erdwällen umgeben, durch welche die Wirkung etwaiger Explosionen in horizontaler Linie aufgehoben wird.

Doch siehe! – da marschirt eine Compagnie nach dem eigentlichen, unmittelbar an das Lager stoßenden Schießplätze. Wir folgen ihr und gewinnen nunmehr eine weite Aussicht über eine weithin gestreckte Sandfläche. Hier ragen Wälle empor; dort sind auf einem Erdhügel abschüssige und steile Wege angebracht – die Hindernißbahn für die Uebungen der reitenden und der Feldartillerie (S. 593); an den Grenzen des weiten Platzes bemerken wir hohe Gerüste, auf welchen weiße Scheiben in die Höhe gezogen werden, durch die der Umgebung auf weite Fernen kundgegeben wird, daß man auf dem Platze scharf schießt und daß alle Unberufenen sich von demselben fernzuhalten haben. Auch finden wir hier manchmal Feldschanzen, deren Bedeutung durch die Kämpfe um Plewna weit und breit bekannt wurde – und eine solche Feldschanze neuester Coustruction hat unser Zeichner links auf seinem Bilde (S. 593) sehr naturgetreu wiedergegeben.

Inzwischen hat die Compagnie, mit der wir ausgerückt waren, Halt gemacht und aus dem an Ort und Stelle vorhandenen Strauchmateriale Faschinen und Schanzkörbe zu arbeiten begonnen. Wie wir erfahren, soll in der kommenden Nacht eine Belagerungsbatterie gebaut werden, und die Mannschaft ist soeben mit den nöthigen Vorarbeiten beschäftigt.

Um nun die Bedeutung dieser Vorarbeiten richtig zu würdigen, wolle der Leser hier eine kurze kriegswissenschaftliche Abhandlung mit in den Kauf nehmen.

Da die Fußartillerie im Kriege dazu bestimmt ist, entweder die feindliche Festung anzugreifen oder die eigenen Bollwerke gegen feindlichen Ansturm zu vertheidigen, so muß sie auch hier auf dem Platze ihre Uebungen in einer Weise abhalten, die nach beiden Richtungen hin ihrer Aufgabe gerecht wird. Betrachten wir sie hier als Belagerungsartillerie!

Diese hat die Aufgabe, die feindliche Artillerie in der Festung niederzukämpfen, militärische Etablissements, wie Casernen, Laboratorien, Proviantmagazine etc. zu vernichten, gedeckte, bombensichere Unterkunftsräume zu zerstören, Eingänge, Passagen, Thore zu öffnen und schließlich durch Niederlegen eines Theiles der Umwallung eine prakticable Bresche herzustellen. Dabei ist sie bestrebt, feindliche Ausfälle zurückzuweisen, wendet sich gegen Truppenansammlungen, macht sich mit einem Worte der feindlichen Besatzung, zum Theil auch den Einwohnern, so unleidlich und widerwärtig,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1882, Seite 592. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_592.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2023)