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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Hände und that ein heimliches Gelübde, so die heilige Jungfrau ihr beistünde.

Und die Hohe sah gnädig auf ihre Noth herab.

Noch ehe ein Stoß geführt ward, nahten die Scharwächter, die ihren abendlichen Umzug durch die Straßen hielten. Sie umringten die Streitenden, und ihr Führer heischte mit barscher Stimme Auskunft, warum die Klingen gezogen seien, worauf schwere Pön stehe.

„Ich schütze mit meinem Degen eine ehrsame Jungfrau, so nicht mehr in unsrer Stadt ihrer Ehre sicher zu sein scheint, und ich bin der Wilhalm Haller,“ sprach trutzig der junge Patricier.

„Ihr sollt ungehudelt bleiben, Herr Haller,“ antwortete der Scharwächter; „geht Eures Weges!“

Aber dieser gehorsamte nicht. Er steckte die Degenspitze auf die Erde und reckte seine schöne gerade Nase in die Luft:

„Wenn ich auch mit Euch fertig bin, mit diesen Herren hab’ ich noch ein Wörtle zu reden,“ sagte er und deutete auf seine Widersacher.

Aber der Herzog von Baiern nahte begütigend.

„Seid nit so wild! Euch und Eure tugendsame Jungfrau hat Niemand kränken wollen. Die Herren kannten Euch nicht.“

„Sie sahen doch den Sturz!“ dräute Wilhalm.

Der Herzog schüttelte lachend den Kopf.

„Leute, die so angehumpt sind, fürchten sich selbst vor dem Teufel nicht, geschweige vor einem Sturz. Sie können halt nit viel vertragen; denn sie zechen erst seit acht Stündlein. Laßt den kleinen Handel geschlichtet sein, auf daß dem Erzherzog nichts davon zu Ohren kommt!“

Wilhalm sah finster drein. Aber Elsbeth hob flehend die Hände gegen ihn auf; da ließ er sich erweichen und zog mit ihr von dannen.

Die Scharwächter aber verfuhren nach dem alten Wort, welches das Recht ein Netz nennt, darin die kleinen Fliegen hängen bleiben, während die großen Hummeln durchwischen. Den geckenhaften Domherrn ließen sie laufen; vor dem Herzog von Baiern, der überlaut gelacht hatte, pflanzten sie den Spieß auf, aber einen Ritter von einem benachbarten armseligen Burgstall, der im Spiel unnatürliches Glück gehabt hatte, belegten sie mit dem Ehrentitel eines Landstörzers und setzten ihn in den Fröschthurm.

Elsbeth schritt stumm neben dem Haller her, bis sie an das Imhofische Haus kamen. Da blieb sie stehen.

„Nehmt meinen Dank, edler Junker,“ sagte sie mit zitternder Stimme, „daß Ihr mir so tapfer beigestanden habt!“

Und sie bot ihm schüchtern die Hand.

Er aber sagte gereizt:

„Ein Andrer würde Euch als Schützer lieber gewesen sein – gelt? Ihr mußtet schon fürlieb nehmen.“

Elsbeth schrak zusammen. Wußte der Haller schon von dem Heirathsplan mit dem Kriegsschreiber? Dann sprach sie in schmerzlichem Tone:

„Bald werde ich nur noch auf den Einen meine Hoffnung setzen, der uns in Ewigkeit treu bleibt.“

Wilhalm horchte auf. Damit konnte sie den Rotmund nicht meinen. Er schaute in ihre Augen; die sahen so weh und so wahrhaftig zu ihm auf, daß ihm eine Ahnung kam, wie er nach der Pfeife der Frau Rotmundin getanzt hatte, ohne es zu wissen. Aber so sehr ihn auch die Entdeckung freute, er nahm sich doch zusammen, daß er dem blonden Trotzkopf gegenüber Recht behalte.

„Es ist mir lieb,“ sagte er, „daß, ehe Ihr Euch dem himmlischen Bräutigam vermählt, ich Euch zeigen konnte, wie ich Eure Ehre wohl zu schützen vermöge.“

Sie schlug die Augen nieder.

„Ihr fahrt hart gegen mich einher! Aber wenn Ihr meine bösen Worte nicht vergessen habt, dann gedenkt auch, daß Ihr Ursache dazu gabt. Triebt Ihr nicht Kurzweil mit einer Ehefrau, zogt an einem Seil mit ihr, man weiß nicht was, und machtet eine spanische Reverenz ohne alle Ursach?“

Sie hatte sich in Eifer geredet und war dabei tief erröthet.

Wilhalm richtete sich beleidigt auf.

„An der Schnur hängt dort der kaiserliche Adler, und den Feston habe ich mit der Frau Rotmundin verabredet, die eine so ehrbare Frau ist wie ich ein rechtschaffner Junggesell. Eine spanische Reverenz aber,“ fuhr er mit Nachdruck fort, „kann ebenso gut manchmal eine Strafe sein für eine Jungfrau, die zuschaut, wie eine Huldigung für die Frau, welcher sie dargebracht wird.“

Elsbeth blickte tief beschämt nach dem Adler hin, der am Ende der dämmrigen Straße in der Abendluft sich schaukelte, und doch war ihr dabei, als fiele ihr ein Stein vom Herzen. Schüchtern lugte sie den Wilhalm an.

„Mußtet Ihr denn auch noch strafen? Habt Ihr mich nicht schon hart genug gescholten damals, an jenem Tage“ – die Stimme schwand ihr.

„Es ist das Recht des Mannes,“ antwortete Wilhalm fest, „seinen Willen kund zu thun und die Frau zu erziehen; das Weib aber hat sich zu fügen. So hat es Gott selbst gewollt, da er sprach: Er soll Dein Herr sein. Wenn die Frau sich auch hoffärtig erhebt, es wird immer der Augenblick kommen, wo sie des starken Mannes als Schutz und Schirm bedürftig ist. Wohl ihr, wenn sie dessen inne wird, bevor es zu spät ist!“

Sie senkte demüthig das Haupt, und er schaute mit Wohlgefühl auf sie herab. An den Rotmund – das sagte er sich mit Frohlocken – dachte die Elsbeth nicht, und er hütete sich seinen Verdacht einzugestehen; denn es behagte ihm sehr, den großen Mann zu spielen, der erst zürnte und schalt und dann mit nachsichtiger Güte das schwache Weib beglückte, das der zärtlichen Leidenschaft für ihn trotz alles Sträubens verfallen war bis zur Eifersucht wegen einer spanischen Reverenz.

„Und nun gehabt Euch wohl,“ sprach er in gütevollem Tone. „Beherzigt meine Worte, und möge der gehabte Schrecken nicht als Alb in der Nacht sich Euch aufhucken, sondern ein liebliches Traumbild zu Euch niederschweben!“

„Geruhsame Nacht!“ sprach auch sie.

Er verneigte sich auf Augsburgische Manier demüthig hoffärtig. Dann wartete er noch, bis auf ihr Klopfen aufgethan wurde; darauf schritt er gehobnen Hauptes davon.

Aus Elsbeth’s Seele aber war die Erinnerung an das Kloster gänzlich entschwunden – andere Dinge erfüllten ihren Sinn.

Als sie in’s Haus trat, löste sie den Sturz und rief die Magd:

„Schaffe ihn mir aus den Augen, auf den Kehrichthaufen oder in den Lumpensack! Ich habe ihn in einem Gelübde verschworen. Er hat mich nit geschützt, mit meinem brävsten Freund entzweit und ist mir allweg ganz zuwider.“

(Fortsetzung folgt.)




Clara Schumann.[1]

Von La Mara.


Wir sind im Gewandhaussaal zu Leipzig. Die berühmten classischen Musikräume prangen heute – wir schreiben den 24. October 1878 – in heiterem Festglanz. Grün- und Blumengewinde hangen hernieder; umkränzt stehen Claviersessel und Flügel, und die alte Inschrift zu Häupten des Orchesters, das „Res severa est verum gaudium“, (Eine ernste Sache ist eine wahre Freude) sieht einem festlich erregten Publicum in’s Angesicht. Wem wohl die seltene Feier gilt? Der Concertzettel, der heute auch ein Festgewand angelegt und neben dem lorbeergeschmückten Doppelmedaillon Robert und Clara Schumann’s die Jahreszahlen 1828 und 1878 nennt, giebt darauf Antwort: Clara Schumann’s goldenes Künstlerjubiläum begehen wir.

Da ist sie selber, die Gefeierte. Das Haupt mit dem milden, sinnenden Ausdruck ein wenig geneigt, das Haar vom ersten Reif des Lebenswinters schon gestreift, so grüßt sie ein tausendstimmiger Jubelruf, ein Blumenregen ohne Ende. In dieser Blumenspende,

  1. Aus dem gegenwärtig unter der Presse befindlichen fünften Bande von La Mara’s Werke „Musikalische Studien- und Charakterköpfe“: „Die Frauen im Tonleben der Gegenwart“ (Leipzig, Breitkopf und Härtel). Wir empfehlen diesen neuesten Band des vortrefflichen Werkes der allgemeinsten Beachtung unserer Leser.
    D. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 604. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_604.jpg&oldid=- (Version vom 21.4.2023)