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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)


No. 39.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.


Gefunden – nicht gesucht

Novelle von E. Laddey
(Schluß.)
6.

Der Badecur folgte als Schluß der diesjährigen Sommerreise ein Aufenthalt in Berchtesgaden, und je schöner sich dieser gestaltete, um so bänger sah man seinem Ende entgegen. Der Urlaub des jungen Officiers war abgelaufen, und wenige Tage später mußte auch Mimi in ihrem Stifte eintreffen, um sich nach langen Freiheitswochen wieder dem Schulzwange zu fügen.

Die zwei Monate waren doch nicht spurlos an ihr vorübergegangen; ihr Aeußeres war mädchenhafter und ihre Manieren waren zurückhaltender geworden.

Elfriedens Verlobung war nun auf die ersten Tage nach der Rückkehr in die Stadt festgesetzt worden, und begreiflicher Weise interessirte dieses Ereigniß Mimi sehr; der Wunsch erwachte in ihr, sie möchte lieber der Feier anwohnen und sie vorbereiten helfen, als noch so lange das Schulmädchen machen.

Man nutzte die letzte Zeit noch gehörig aus; die ganze herrliche Umgebung Berchtesgadens wurde nun durchstreift und dann zuletzt noch für ein paar Tage an den Königssee gegangen.

Was Mimi auch bisher gesehen, tiefer prägte sich ihr kein Bild ein, als der wunderbare, klare, tiefgrüne See, eingerahmt von fast senkrecht herabfallenden Kalkfelswänden, über welche des Watzmanns glitzernde Eiskrone ragt.

Es war an einem schönen etwas schwülen Augustnachmittage, als die Baronin Waldenburg mit ihren jungen Verwandten – Mr. Billings war schon abgereist – nach dem westlichen Ende des Sees, nach Bartholomä, fahren wollte. Ein passendes Boot war gerade nicht vorhanden und nur noch drei Plätze in dem großen Fahrzeuge frei, das von einer anderen Gesellschaft schon in Beschlag genommen war und von vier tüchtigen Mädchen gerudert wurde. Es blieb nichts übrig, als sich zu theilen. Zwei von der Gesellschaft mußten es in einem kleinen Boot wagen, das nur von einem Schiffer gerudert wurde.

„Wer hat Muth genug, das kleine Ding da mit mir zu besteigen?“ fragte Felix.

„Ich,“ entgegnete Bertha ohne Zögern und stieg zu dem Vetter in's Boot. Elfriede lächelte malitiös.

Die Fahrt war sehr angenehm, der Spiegel des Sees ruhig; nur die Sonne stach unangenehm und machte die Luft träge.

Im großen Boote herrschte munteres Leben; heitere Lieder wurden gesungen, und war Mimi nun auch geschult genug, um nicht gleich mit der fremden jungen Gesellschaft zu singen, so konnte sie sich doch nicht enthalten, die Melodien ganz leise mitzusummen; sie fand es unbeschreiblich schön, so bei des Gesanges Wogen über die Fläche des Sees hinzugleiten.

Eine Art von Heimweh ergriff sie, wenn sie daran dachte, dieser Herrlichkeit alsbald Valet sagen zu müssen.

Wie ganz anders Bertha! Sie freute sich als echtes Stadtkind auf die Rückkehr in die Stadt; die Natur ließ ihr Herz kalt; sie sehnte sich nach den belebten Promenaden, auf denen sie hoffentlich bald an seinem Arme glänzen sollte. Erst heute hatte sie wieder einen herzlichen Brief von der Mutter Felix’, die von jeher für die verwaisten Nichten ihrer Schwägerin warmes Interesse gezeigt hatte, erhalten. Sie erzählte ihrem jungen Begleiter von diesem Briefe. Er lächelte.

„Mama correspondirt gern,“ sagte er, „die Einsamkeit ihres Gutes ist so recht darnach angethan, diese Leidenschaft auszubilden; auch ich habe einen Brief erhalten, und er ist nicht weniger als zehn Seiten lang.“

„Das muß denn doch aber eine wichtige Angelegenheit sein, die Ihre Mama zu einer so langen Epistel veranlaßte.“

„Ja, eine sehr wichtige. Es handelt sich um nichts mehr noch weniger, als um meinen Abschied. Mama dringt allen Ernstes darauf, daß ich, sobald meine Ernennung zum Premier eintrifft, was vielleicht schon im Herbste, jedenfalls aber beim Armeebefehl des Frühjahrs erfolgen wird, aus dem activen Heere scheide, zur Reserve übertrete und nach Hause komme, um meinen Kohl selbst zu pflanzen, wie meine Vorfahren gethan haben.“

„Und was werden Sie auf solche Zumuthung erwidern?“ fragte Bertha erschreckt.

„Diese Zumuthung ist doch im Grunde ein so natürlicher Wunsch von Mama, daß mir nichts anderes übrig bleibt, als Ja dazu zu sagen.“

„Ich dachte, Sie wären Soldat mit Leib und Seele.“

„Das bin ich auch und werde niemals fehlen, wenn das Vaterland ruft. Das Soldatenleben im Frieden aber kenne ich jetzt genug und sehe ein, daß Mama Recht hat: es giebt auf unserem Gute genug für mich zu thun, und so werde ich denn den bunten Rock ausziehen und ein Bäuerlein werden.“

„Wie kann man nur in aller Welt in der Blüthe der Jahre daran denken, sich auf dem Lande zu begraben?“ entgegnete Bertha, und ein Zug des Unmuths streifte ihr hübsches Gesicht; die lebensvollen Lippen warfen sich schmollend auf, und die fein behandschuhte Hand zupfte ungeduldig an den rothen Schleifen des grauen Sommerkleides.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_637.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)