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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Dauerversuchen pflegt man den Tauben auch eine Depesche an eine Schwanzfeder zu heften, wie dies für den Ernstfall vorgesehen ist.

Als Futteral für die Depeschen dient der Kiel einer stärkeren (Gänse-)Feder, in welchen die Depesche, auf feines Papier oder auf ein Collodiumhäutchen geschrieben, gedruckt oder durch Mikrophotographie auf Letzteres gebracht, gesteckt wird. Die Oeffnungen des Kiels sind durch Wachspfropfen zu schließen, um das Hereindringen von Feuchtigkeit zu verhindern; der Kiel selbst aber wird sorgfältig an einer der mittleren Schwanzfedern der Taube, mittelst fester Faden, wie es die Abbildung (S. 717) zeigt, befestigt. Letztere Arbeit ist sehr sorgfältig auszuführen, da hierbei leicht die Schwanzfeder in ihrer Hautfalte gelockert werden, beim Fliegen der Taube herausfallen und mit ihr die Depesche verloren gehen kann. Um derartige Zufälligkeiten nach Möglichkeit zu verhindern oder doch zu beschränken, werden im Ernstfall stets mehrere Tauben mit derselben Depesche abgesandt; denn es dürften ja Verluste der geflügelten Couriere selbst eintreten, indem sie einem Raubvogel, vielleicht sogar einem vom Feinde abgerichteten, zur Beute fallen oder dem Blei eines wachsamen feindlichen Postens erliegen könnten.

Doch die zarten Boten der Luft, welche im Laufe der Zeit aus dem Dienste der Venus in das rauhe Lager des Mars übergehen mußten, werden bei der einsichtsvollen Schulung, welche sie in Deutschland genießen, schon nach Möglichkeit ihre Pflicht und Schuldigkeit thun. Bis jetzt hat freilich unsere Kriegsgeschichte noch keine Erfolge auf dem Gebiete des Brieftaubenwesens aufzuweisen, hinter den Leistungen aber, zu welchen die französischen Brieftauben sich während der Belagerung von 1870 bis 1871 aufgeschwungen haben – hinter diesen Leistungen werden auch die jüngeren deutschen Schwestern sicherlich nicht zurückbleiben.

Vorläufig eine gründliche, unermüdliche Friedensschulung – vielleicht später einmal eine hohe Kriegsleistung!

F.


Musik der Berge und Thäler, Wälder und Wüsten.

II.
Der tönende Berg (Gebel Nakus) am Sinai. – Die Musik der Granitfelsen am Orinoko und die Memnonssäule. – Streit der Gelehrten über die Entstehung dieser Töne und neue Beobachtungen – Ein „Bramador“ (Schreier) genannter Berg in Chile. – Trompetenartige Töne der Sanddünen in der Wüste nach den Beobachtungen von O. Lenz.


Im ersten Artikel wurde bereits auf die eigenthümlichen Schwierigkeiten hingedeutet, welche die richtige Erklärung akustischer Naturerscheinungen bietet, deren Ursprung man weder mit den Augen sehen, noch mit den Händen greifen kann. Für diese Thatsache liefert der in den letzten Jahren auf Grund einiger neuen Besuche wieder vielfach in naturwissenschaftlichen und belletristischen Journalen, sowie in gelehrten Vereinen besprochene Glockenberg (Gebel Nakus) am Sinai einen höchst merkwürdigen Beleg, sofern er sich nicht nur durch den Streit um den Ursprung seiner Töne als ein Seitenstück zum singenden Thale von Thronecken darstellt, sondern sogar zeigt, wie neuere Besucher trotz der ihnen wohl bekannten richtigen Erklärung immer wieder nach anderen Deutungen suchen, sodaß für den unbefangenen Leser die Frage wirklich zweifelhaft werden kann, wie sie denn auch selbst in naturwissenschaftlichen Journalen neuerdings von einem sehr verkehrten Standpunkte behandelt worden ist. Angesichts der hierüber kürzlich vielfach in die Oeffentlichkeit gedrungenen falschen Auffassungen halte ich es daher für angezeigt, auf die nicht uninteressante Geschichte der Ergründung dieses Naturwunders ausführlicher einzugehen.

Der Glockenberg oder Gebel Nakus ist, seitdem man im Anfange unseres Jahrhunderts durch Seetzen nähere Kunde von ihm erhielt, sehr häufig sowohl von Naturforschern wie von Touristen und Bibelforschern besucht worden, wozu freilich seine Lage zwischen zwei Wallfahrtsorten verschiedener Pilgerclassen viel beigetragen hat. Der eine dieser Wallfahrtsorte ist der Sinai, welcher stets Schaaren von jüdischen, christlichen und mohammedanischen Pilgern angezogen hat, der andere das armselige Fischerdorf Tor oder Tur am rothen Meere, welches wieder und wieder naturforschende Pilger zu sich lockte, weil das Ufermeer hier die herrlichsten Korallenklippen und eine Menge von darin hausenden Thieren darbietet, die (wie die gesammte Fauna des rothen Meeres) von denjenigen des Mittelmeeres, trotz des unbedeutenden, sie trennenden Erdstriches von Grund aus verschieden sind. Hier haben daher nach einander Ehrenberg, Frauenfeld, Ransonnet, Häckel, Panzeri und viele andere Zoologen ihr Arbeitsfeld aufgeschlagen und reiche Ausbeute gefunden. In einer Tiefe von zehn bis zwanzig Fuß erblickt man in dem krystallklaren Wasser unter dem Boote eine Thierwelt, die in ihrer Farbenpracht dem herrlichsten Blumengarten gleicht oder ihn vielmehr weit übertrifft. Häckel hat auf einer Farbentafel seines Prachtwerkes über die „Arabischen Korallen“ (Berlin 1876) versucht, uns diesen feenhaften Anblick im Bilde wiederzugeben. Der Hafendamm, ja das ganze Dorf ist aus den schneeweißen Skeleten von Korallen aufgebaut, und herrliche, wunderbar zierliche Blöcke dieser aus dem Meere gefischten Bausteine liegen überall umher. Manche der elenden Hütten dieses Ortes birgt in einer einzigen Wand, wie Häckel sagt, eine größere Sammlung von schönen Korallenarten, als sie in vielen europäischen Museen zu finden ist.

Natürlich haben verschiedene der mit der Untersuchung dieser herrlichen Meeresfauna beschäftigten Naturforscher auch den nur drei Meilen weit entfernten Glockenberg besucht, und namentlich verdanken wir dem berühmten Naturforscher Ehrenberg, welcher 1823 hier zoologischen Studien oblag, die genaueste Untersuchung des Phänomens. Außerdem ist er vielfach von Sinai-Reisenden, denen er sozusagen am Wege lag, aufgesucht worden, und als solche waren Seetzen, Gray, G. H. von Schubert, Wellstedt, Palmer und viele andere weniger bekannte Reisende dort, die uns mehr oder weniger ausführliche Schilderungen des tönenden Berges hinterlassen haben. Es ist ein nur wenige tausend Schritte vom Ufer entfernter, höchstens dreihundert Fuß hoher, steiler Sandsteinkegel, der etwas aus der hinter ihm belegenen höheren Gebirgswand hervorspringt und auf seinen beiden Seiten Abhänge von hundertfünfzig Fuß Höhe und so starker Neigung darbietet, daß der durch Verwitterung des porösen Felsens entstehende, sehr gleichmäßig grobe Quarzsand sich eben noch auf demselben im Gleichgewicht erhalten kann, so lange er nicht durch äußere Veranlassung in seiner Ruhelage gestört wird.

Die Erkletterer dieses Felskegels vernehmen ziemlich regelmäßig eigenthümliche, glockenartige Töne, die denen am ähnlichsten sind, welche man durch Anschlagen größerer metallener Lineale oder Teller mit einem hölzernen Hammer erzeugt, wie man sich dieser sogenannten Gong-Gongs oder Tamtams in den chinesischen und arabischen Tempeln und auch in den Sinai-Klöstern statt der Glocken bedient, um die Gläubigen an bestimmten Stunden zum Gebete zu rufen. Die Sage der Beduinen berichtet darnach, daß innerhalb des Felsens ein verzaubertes christliches Kloster liege, dessen Mönche unterhalb der Erde auf wunderbare Art fortleben und deren Nakus- oder Tamtamgeläute man besonders an Sonn- und Feiertagen aus dem Berge vernehme, welcher hiervon seinen Namen erhalten habe. Einzelne Beduinen hätten an bestimmten Tagen den Berg offen gefunden und von den schönen unterirdischen Gärten und Springbrunnen daselbst Kunde gebracht.

Man sieht, es hat sich hier zur Erklärung der Glockentöne ein Märchen nach Art der arabischen Erzählungen der Scheherazade gebildet, wobei das Katharinen-Kloster am Sinai mit seinen festungsartigen Mauern und seinen schönen, dahinter verborgenen Gärten und Brunnen offenbar als Vorbild gedient hat. Natürlich gelten die in dem Felsen eingeschlossenen Mönche für verdammt, und daher erkläre sich die Wuth, in welche die Kameele gerathen, wenn sie die Töne aus dem Berge vernehmen. Wegen seiner merkwürdigen Eigenschaften und der daran sich knüpfenden Sagen ist der Berg wahrscheinlich schon in früheren Jahrhunderten besucht worden; denn auf den benachbarten Felswänden finden sich koptische, griechische und arabische Inschriften und Namen aus dem alten Geschlechte Derer von Kieselack.

Der erste Europäer, welcher von dem Wüstenwunder Kunde gab und, was noch bemerkenswerther ist, auch sogleich die richtige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 718. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_718.jpg&oldid=- (Version vom 2.8.2023)