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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Man war sich im Allgemeinen wohl bewußt, von woher die Befreiung kommen müsse: die Kant’sche Philosophie, Herder’s Wiederaufnahme der Volksdichtung, Lessing’s und Winckelmann’s Studien über die Antike, Goethe’s und Schiller’s Dichtungen zeigten den Weg, und die neuen Anschauungen, welche dadurch überall hervorgerufen wurden, erregten auch in Schweden eine große Gährung, aber im Ganzen fehlte der Richtung jede zielbewußte Klarheit und kräftige Concentration – es tauchte aus dem gährenden Chaos irrlichterirender Bestrebungen keine geniale Kraft auf, welche aus den zerstreuten Elementen etwas Ganzes hätte schaffen können.

Die Opposition, unklar wie sie war, zerfiel in zwei Parteien, in die „Phosphoristen“ und in die „gothische Schule“. Die Ersteren, die ihren Namen von der von ihnen herausgegebenen Zeitschrift „Phosphorus“ erhalten und deren Führer der junge Peter Daniel Amadeus Atterbom war, repräsentirten die deutsche Romantik in ihrer auf die Spize getriebenen Einseitigkeit, während die gothische Schule unter der Führerschaft Erik Gustav Geijer’s das nationale Banner erhob und sich auf das nordische Alterthum stützte, um, durch seinen Geist gekräftigt, eine volksthümliche Dichtung zu schaffen.

Mitten in die Streitigkeiten hinein, welche zwischen der alten Schule auf der einen und den beiden neuen Richtungen auf der andern Seite entbrannt waren, leuchtete plötzlich der hell aufgegangene Stern Tegnér’s; mitten in das lärmende Kriegsgeschrei der Parteien hinein erscholl die gewaltige Stimme des Predigersohnes von Kirkerud; im Jahre 1809 warf Tegnér seinen „Kriegsgesang für die schonische Landwehr“ in die literarische Bewegung seines Vaterlandes, und mit einem Schlage war die Aufmerksamkeit der ganzen Nation auf ihn gelenkt – Schweden bewunderte seinen großen Dichter.

In der That spricht eine große Energie und Begeisterung, ein bedeutsamer und hoher Geist aus den geharnischten Strophen des Gedichtes, deren einige im Folgenden[1] hier Platz finden mögen:

„Wie die Räuber mit dem Dolche, schleichen
Die Verräther her in stiller Nacht;
Plötzlich weh’n die Kriegeszeichen
Ob dem Volk, noch unbewacht;
Unsre Ernten kamen sie zu mähen,
Treten auf der Ahnen bleich Gebein,
Unsre Weiber frech zu schmähen,
Unsre Söhn’ dem Tod zu weih’n.

Das Thal uns ernähre,
Der Fels mach’ uns stark!
Im Herzen lebt Ehre –
Die Knochen voll Mark.
Wir thun uns zusammen,
Zu schützen das Land;
Die Brust ist voll Flammen,
Von Eisen die Hand.

Manch’ gestohl’ne Krone setzte
Seiner Stirn’ der Sieger auf;
Schwache Völker blutig hetzte
In den Tod sein Henkerhauf;
Doch kein Zelt hat aufgestecket
Je der Feind an unsrem Strand,
und kein feindlich Roß gelecket
Einen Quell im Gotenland;
Unsre Mädchen zum Altare
Führt noch frei die eigne Hand;
Nordens Stern, der ewig klare,
Leuchtet auf ein freies Land.

Die Herzen sind muthig;
Der Wille bleibt warm.
Wir heben den Arm
Und rächen uns blutig. –
Wir werfen, mag ziehn
Der Däne, der Russe,
Dem Schicksalsschlusse
Den Handschuh hin.

– – – – – – – – – – –
Droh’n die Vermess’nen mit schmachvollem Eisen
Uns, die nichts fürchten, uns, die nicht flieh’n –
Eher vom Himmel die Sterne sie reißen,
Eh’ sie dem Lande ein Dorf nur entziehn.
Doch sie sind zahllos – die Erde mag schlürfen
Zahlloser Blut; frei bleibt ihr Schooß.
Zahllos? – die Streiter nicht zählen wir dürfen,
Die Erschlagenen zählen wir blos.
– – – – – – – – – – –“

„Diese kriegerische Dithyrambe,“ sagt mit Recht Tegnér’s Biograph, „hallte wie eine Sturmglocke in allen vaterländisch gesinnten Herzen wieder. Töne, die zugleich so trotzig und rein waren, hatte man noch nie von der schwedischen Lyra gehört. Dieser elektrisirende Gesang flog wie ein Lauffeuer durch Land und Reich, als ein Zeugniß dessen, daß der Norden seinen Tyrtäus habe.“

Noch mächtiger war der Erfolg des Tegnér’schen Gedichtes „Svea“, vor dem sich selbst die Akademie beugen mußte, indem sie ihm 1811 ihren Preis zuerkannte. Es ist dies eine ergreifende, großartige Dichtung, gleich ausgezeichnet durch mächtigen, phantasievollen Inhalt, wie durch die schöne, kühne Form. Mit gebietender Kraft wendet sich der Dichter an sein schwächliches Zeitalter, zeigt ihm wie in einem Spiegel das thatenreiche Leben der Vorfahren und fordert es mit feurigen Worten auf, in die Fußstapfen Jener zu treten, ihm als Lohn dafür eine große und herrliche Zukunft verheißend. In höchst charakteristischer Weise tritt in der Form des Gedichtes der Bruch mit den alten Regeln hervor. Es beginnt nämlich in den traditionellen Alexandrinern, denen Tegnér indessen einen ganz anderen Schwung zu verleihen versteht als seine akademischen Zeitgenossen und Vorgänger, weil sie bei ihm einen wirklichen Inhalt bergen und nicht wie bei Jenen nur die innere Hohlheit und Leere verdecken. Aber bald wird ihm die traditionelle Form zu eng. In schwellender Fülle sprudeln die mächtigen Gedanken hervor und machen sich Luft in freieren Rhythmen. Durch dieses Gedicht ward Tegnér’s Ruhm begründet, ja, es war sogar von entscheidender Bedeutung für die Entwickelung der gesammten poetischen Literatur Schwedens, indem es einerseits die Nation für die Vorzüge eines wirklich poetischen Inhalts, der mit der tiefsten Sehnsucht und den geheimsten Gedanken des Volkes im innigsten Zusammenhange steht, empfänglich machte und andererseits zeigte, daß es dichterische Formen gäbe, in denen ein großer und bedeutungsvoller Stoff in ganz anderer Weise zu seinem Recht gelange, als in den akademischen, die bisher als die allein zulässigen betrachtet worden waren. Mit „Svea“ hielt die neuere Dichtung, welche bisher meistens nur in den gedachten beiden Schulen eine Zufluchtsstätte gefunden hatte, einen glorreichen Einzug beim schwedischen Volke.

Ein Jahr nachdem Tegnér diesen großen Sieg errungen, kam er nach Stockholm, wo er außerordentlich gefeiert wurde; sowohl die Phosphoristen, wie auch die gothische Schule suchten ihn für sich zu gewinnen. Er schloß sich zunächst der letzteren an, wobei er jedoch unerschrocken und scharf sowohl die Einseitigkeit dieser Schule, wie diejenige der Phosphoristen kritisirte und andererseits es nicht unterließ, die Vorzüge, die er bei den Männern aus Gustav des Dritten Zeit fand, gebührend hervorzuheben; dies that er namentlich in einem seiner berühmtesten Gedichte, einer in Versen abgefaßten Rede aus Anlaß des fünfzigjährigen Jubiläums der Akademie. Diese seine Stellung zwischen den Parteien zog ihm natürlich oft literarische Streitigkeiten zu. Besonders energisch trat er dabei gegen die Phosphoristen auf, deren Einseitigkeit und Unklarheit er mit beißendem Witz geißelte.

Er trug in der That sehr viel dazu bei, daß die Phosphoristen allmählich ihre hyperromantischen und überspannten idealistischen Tendenzen aufgaben, was in erster Reihe seinen eigenen poetischen Erzeugnissen, namentlich seinen größeren Dichtungen zu verdanken war; denn diese, die vom Volke mit Begeisterung aufgenommen wurden, ließen die Schwächen und Verkehrtheiten, die der alten und den beiden neueren Schulen anhafteten, nur um so stärker hervortreten.

Die erste von Tegnér’s größeren Arbeiten ist die religiöse Idylle „Die Abendmahlskinder“, die 1820 erschien. Dieses Gedicht zeichnet sich ebenso sehr durch tiefen religiösen Ernst, wie durch schöne stimmungsreiche Naturschilderungen aus und ist wohl dasjenige von Tegnér’s Gedichten, in dem er die höchste Meisterschaft bewiesen, weil der Stoff so ganz besonders mit seinem eigenthümlichen

  1. Diese Strophen wurden einer dankenswerthen deutschen Festgabe zu dem hundertjährigen Jubiläum des Dichters entnommen, dem soeben erschienenen kleinen Buche: „Esaias Tegnér, sein Leben und Dichten nebst einem Blüthenkranz aus seinen lyrischen Gedichten von Eugène Peschier“ (Lahr, Schauenburg). Wir ergreifen mit Vergnügen die Gelegenheit, die Aufmerksamkeit unserer Leser auf diese Publication hinzulenken, welche ihnen neben einer gehaltvollen Biographie und Charakteristik des nordischen Sängers eine Reihe seiner schönsten Gedichte in gewandter und stilvoller Verdeutschung bietet.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 748. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_748.jpg&oldid=- (Version vom 8.8.2023)