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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

daß der Stein wenigstens fünfhundert Scudi werth gewesen sei. Den Fremden aber hieß sie einen gewissenlosen Schurken. Die guten Heiligen hätten mich ein Vermögen finden lassen, ich aber hätte es in meiner Dummheit wieder aus der Hand und vor die Hunde geworfen. Und zuletzt riß sie die Nadel aus ihrem Haar, warf sie mir in’s Gesicht und rief mir zu, daß sie mich niemals wiedersehen und an Stelle eines solchen Dummkopfes lieber den ersten, besten blinden Bettler auf einem Kreuzwege heirathen wolle. Was sollte ich ihr antworten? Ist ihre Schwester doch Kammermädchen bei einer vornehmen Marchesa hier in Rom, und diese hat ein ganz unschätzbares Halsband aus lauter alten, kostbaren Steinen, die alle in der Campagna gefunden worden sind. Ich schlich davon, ließ den Kopf hängen und verwünschte meine Einfältigkeit; ich warf das Geld zur Erde und spie darauf.‘

Er schwieg einen Augenblick. ‚Endlich ging ich in die Osteria,‘ fuhr er dann fort, ‚um meinen Aerger und meine Scham im Wein zu ertränken. Da saßen am Tische drei meiner Bekannten; ich hieß sie trinken und bezahlte dann alles. Ich wollte das Geld los sein; es brannte mir in der Tasche. Natürlich fragte man mich auch hier, wie ich zu den blanken Scudi gekommen. Ich erzählte die Wahrheit und hoffte, hier eine andere Anschauung der Sache zu finden, als Ninetta sie gehabt. Meine Freunde aber stießen die Gläser auf den Tisch und lachten und verhöhnten mich, bis ich mich nicht mehr zu lassen wußte. Jeder Esel, sagten sie, der solch einen Schatz fände, nähme ihn zwischen die Zähne und brächte ihn denen, die klüger wären als er. An jenem Abend trank ich mir zum ersten Mal in meinem Leben einen Rausch. Den Tag darauf ging ich zu meinem Onkel; ich gab ihm den Rest des Geldes und bat ihn, es den Armen zu spenden oder aber dafür Messen für meine sündige Seele lesen zu lassen. Er fragte mich, ob das Geld erworben sei, und nun erzählte ich die Geschichte auch ihm. Er hörte mir schweigend zu und sah mir unverwandt über seine Brille hinweg in’s Gesicht. Als ich geendet hatte, ließ er das Geld aus einer Hand in die andere gleiten und saß dann drei Minuten lang mit geschlossenen Augen. Plötzlich drückte er mir das Geld wieder in die Hände. Behalt’s mein Sohn, behalt’s! sagte er, mit Deinen fünf Sinnen wirst Du Dir nie ein Stück Brod erwerben können; behalte also, was Du hast, so lange als möglich! Und seit der Zeit laufe ich herum wie im Fieber; ich kann an nichts anderes denken, als an das Vermögen, um das man mich betrogen hat.‘

‚Nun, nun – Vermögen!‘ sagte ich. ‚Sie übertreiben’s ein wenig.‘

‚Ich weiß, was ich sage. Für mich wär’s ein Vermögen gewesen. Tag und Nacht ruft mir eine Stimme in’s Ohr, daß ich mit Leichtigkeit tausend Scudi für den Stein hätte erhalten können.‘

Ich vermochte jetzt seinen Blick nicht mehr auszuhalten und wendete mich ab.

‚Ihr Freund ist ein Schurke,‘ fuhr Angelo heftig fort. ‚Ihnen will ich damit nicht zu nahe treten; ich sehe es Ihnen an, daß Sie mir helfen würden, wenn Sie es könnten; aber Ihr Freund ist ebenso schlecht, wie er häßlich ist. Der Teufel allein weiß es, warum ich ihm Vertrauen schenkte. Kommt er mir aber einmal vor die Augen und wagt er es dann noch, mir mein Recht zu verweigern, so stehe ich nicht für diese beiden Hände! Es wäre mir ein Leichtes, ihn zu erwürgen. – Ich verlange nur mein Recht; speist er mich aber wieder mit seinen deutschen Schimpf- und Spottreden ab, dann – Rache!‘

Und in leidenschaftlicher Erregung riß er den Hut herunter, warf ihn gewaltsam auf den Boden und wischte sich dann die Schweißtropfen von der heißen Stirn.

Ich antwortete ihm freundlich und begütigend; ich versprach ihm, mich seiner Sache anzunehmen, wenn er Rom verlassen und nach Ariccia zurückkehren wolle. Ich rieth ihm, sich irgendwie nützlich zu beschäftigen; dann würde er sich der peinigenden Gedanken schon erwehren können. Ich gestehe allerdings, daß ich, als ich diesen Rath aussprach, daran selber nicht glaubte. Seiner trägen Natur, die nur unter dem Drucke von Gefühlsausbrüchen sich zur Beweglichkeit aufraffen konnte, wäre eine regelmäßige, gesunde Arbeit unerträglicher gewesen, als das Unrecht, das ihm widerfahren.

Er starrte trüb und stumpf vor sich hin, versprach mir aber schließlich, Rom zu verlassen. Wenn ich gute Neuigkeiten für ihn hätte, sagte ich ihm, dann wollte ich ihm nach Ariccia Nachricht geben. Und so erfuhr ich auch seinen vollen Namen, einen Namen, der seinem Inhaber eigentlich ein Talisman hätte sein müssen gegen der Welt Sorge und Noth – Angelo Beati. – –

Wilhelm Wenzel blickte finster drein, als ich ihm von meiner Begegnung mit unserm alten Bekannten erzählte. Er schalt den armen Teufel einen affectirten, theatralischen Narren, ließ sich schließlich aber dennoch dazu herbei, mich zu beauftragen, an Angelo zu schreiben und denselben auf einige Tage später zu einer Unterredung zu bestellen. Er war also gewissenhaft genug, sich auch der unangenehmen Seite der Angelegenheit nicht zu entziehen. Ich schrieb drei Zeilen nach Ariccia, in sehr mangelhaftem, aber höflichem Italienisch, und lud Angelo zu einer Zusammenkunft mit Wenzel in das Coliseo ein.

Es wäre besser gewesen, wenn diese Zusammenkunft nicht stattgefunden hätte. Als Wenzel von derselben zurückkam, ersuchte er mich, ihm eine Schilderung der widerwärtigen Einzelheiten zu erlassen; Angelo wäre ein unverschämter Mensch, dem er nie wieder zu begegnen hoffe. Wie ich dann später erfuhr, hatte Angelo im Zorne die Auslieferung des Edelsteins gegen Rückgabe der elf Scudi verlangt, worauf ihm Wenzel entgegnete, daß er absolut nichts erhalten werde, wenn er keinen bescheideneren Ton anschlage. Hierauf war Angelo, im Gefühl des ihm angethanen Unrechts, in beleidigende Drohungen ausgebrochen, und noch heute ist es mir nicht recht erklärlich, warum die beiden Hitzköpfe damals nicht an einander geriethen. Wahrscheinlich mochte es dem Italiener doch nicht so leicht erschienen sein, den Anderen so ohne Weiteres zu erwürgen, und die vorsichtige Klugheit, die selbst in der Höhe der Leidenschaft nie ganz aus den Gedanken jener Südländer weicht, veranlaßte ihn wohl, seine Rache auf einen gelegeneren Zeitpunkt zu verschieben.

Wenn ich auch die Sache nicht sehr tragisch auffaßte, so fürchtete ich doch, daß meinem Freunde ein böses Ungemach daraus erwachsen könne. Und wenn Angelo auch weiter nichts that, als daß er die Geschichte von dem Stein allenthalben in Rom erzählte, so mußte auch dieses allein schon zu allerlei ernstlichen Unannehmlichkeiten führen.

Einige Abende später stand ich an den Flügel gelehnt, auf welchem Fräulein Helene ein neues Musikstück übte. Wenzel saß abseits am Fenster.

‚Er hat mir seinen wundervollen Topas gezeigt,‘ begann die junge Dame plötzlich halblaut, indem sie die Hände auf den Tasten ruhen ließ und mich mit ihren ernsten, weitgeöffneten Augen anblickte. ‚Er verschwieg mir beharrlich, wie er in den Besitz des Steines gekommen, sagte mir auch, daß Sie allein darum wüßten. Es ist hoffentlich kein Unrecht damit verknüpft.‘

Ich versuchte zu lachen.

‚Solchen Antiquitätenjägern darf man nie zu nah auf die Finger und in die Gewissen sehen,‘ antwortete ich. ‚Diese Sorte sieht manchmal gar kein Unrecht darin, wenn sie sich herumtreibende Gemmen, Cameen und andere Kostbarkeiten nach demselben Modus behandelt, den Taschendiebe auf anderer Leute Börsen in Anwendung bringen.‘

Helene sah mich mit so scheuem Erstaunen an, als habe ich mir einen wirklich grausamen Scherz mit ihr erlaubt. Dann fuhr sie halblaut fort:

‚Er wünscht, daß ich den Stein als Medaillon trage. Aber das mag ich nicht. Der Topas ist wunderschön, aber es wäre mir unheimlich, den Kaiser Tiberius so nahe an meinem Herzen zu tragen. Er war ein böser, ein verruchter Mensch, einer der schlimmsten Kaiser des alten Rom; ich würde mich besudeln, wollte ich ein Juwel tragen, das sein Gewand geschmückt, das seine Hand täglich berührt hat und das nun doch eigentlich fast unvermittelt aus seinem in unseren Besitz gekommen ist. Durch das Bild dieses Menschen verliert der Stein für mich seine ganze Schönheit, und ich bin wirklich froh darüber, daß Wilhelm ihn so verborgen hält.‘

Ich fand diese Auffassung der Sache sehr erklärlich und angemessen, wenn ich mir in’s Gedächtniß rief, daß die blonde junge Dame ein Kind des frommen Wupperthales war. – – –

Die Tage vergingen, und noch immer war von Angelo’s Rache nichts zu merken gewesen. Wenzel ging jeden Abend durch die dunklen Straßen, ohne daß er bis jetzt hinter einer Mauerecke seinem Schicksal, in Gestalt eines vermummten Meuchelmörders,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_775.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2023)