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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Zeichnungen von Hugo Kauffmann (Stuttgart, ebendaselbst) – beide Werke mit Dichtungen in oberbaierischer Mundart von Karl Stieler. Wo sich Kauffmann und Stieler zusammenthun, ein Zeichner von so feinem instinctivem Gefühl für alles Volksthümliche und Charakteristische und ein Dichter von so innigem Verständnisse für die Eigenart seines Heimathsvolkes, da kann das Resultat kein anderes sein, als es hier in der That geworden ist: ein ebenso lebenswahres wie poesievolles, ebenso kräftiges wie zartsinniges Werk. Solche Werke sind die beiden oben bezeichneten gemeinsamen Hervorbringungen Stieler’s und Kauffmann’s in jeder Linie, in jeder Zeile. Es läßt sich gar nichts Anmuthigeres und Herzerwärmenderes denken, als diese auf das Sauberste ausgestatteten zwei Bücher – wahre Cabinetsstücke für den Weihnachtstisch.

Wilhelm der Erste, deutscher Kaiser“. Mit einer einleitenden Dichtung von Julius Wolff und Illustrationen von A. von Heyden. (München, Friedrich Bruckmann’s Verlag.) Ein schönes und würdiges Lorbeerreis für die Stirn unseres Kaisers Barbablanca! Zwanzig Lichtdruckportraits aus den Jahren 1862 bis 1882, welche Wilhelm den Ersten in allen Lebensaltern darstellen, und zwar von seinem fünften Jahre an bis heute. Das schwungvolle, warme Gedicht Julius Wolff’s und die arabeskenartigen einrahmenden Zeichnungen A. von Heyden’s verleihen dem schätzenswerthen Album einen erhöhten Reiz. Patriotische Leser und Beschauer werden ihre Freude haben an diesem Kaiserbuche.

Die deutsche Bühne, deren geschichtliche Entwickelung in Bild und Wort von einem Weimaraner“ (Dresden, Wilhelm Streit), darf allen Freunden der dramatischen Kunst als ein illustrirter Führer durch die allgemeine Geschichte des Theaters empfohlen werden. Das Buch erhebt keinen Anspruch auf wissenschaftliche Bedeutung, sondern will nur anregend unterhalten; es bietet dem Publicum den großen Stoff der Bühnengeschichte wohl zum ersten Male in leicht übersichtlicher und allgemein lesbarer Form. An wirklich Neuem enthält der Artikel „Italien“ mancherlei. Der Bericht über das Weimarer Liebhabertheater ist hier zum ersten Male im Original gegeben, wie auch die Mittheilungen über das verdeckte Orchester dem Leser viel des Interessanten bringen.

Eine anmuthige Weihnachtsgabe bringt uns ferner der Friedrich Bruckmann’sche Verlag in München. Es sind dies „Deutsche Lieblings-Lieder“. Mit zehn Vollbildern in Phototypie und zahlreichen Textbildern nach Alexander Zick. Die Auswahl der Lieder wurde sehr glücklich getroffen, und wir bedauern sehr, daß es uns unmöglich ist, den Reiz der größeren Illustrationen unseren Lesern vor Augen zu führen. Im „Blumengruß“ und „Mailied“ ist es dem Maler vor Allem gelungen, den poetischen Hauch, der in diesen kurzen Gedichten des Altmeisters Goethe weht, auch über die Gestalten seiner Bilder zu zaubern.

Hieran fügen wir den Hinweis auf das illustrirte Werk „Culturgeschichtliches Bilderbuch aus drei Jahrhunderten.“ Herausgegeben von Georg Hirth, dessen erster Band uns vorliegt. Es ist dies ein „Bilderbuch für Erwachsene“, und zwar für Solche, die der historischen Entwickelung der Kunst ein besonderes Interesse entgegenbringen. Der Herausgeber bietet uns Facsimilewiedergaben von Kupferstichen, Holzschnitten und Radirungen alter Meister, wie Dürer, Bergckmair, Cranach, Holbein, Schäufelein, Behaim etc. Wir erachten es für unsere Pflicht, den hohen kunsthistorischen Werth dieses seltenen Werkes ganz besonders zu betonen. Möchte doch demselben die Gunst des Publicums nicht fehlen!

Von allen Zweigen“ (Berlin, H. W. Müller). Unter diesem Titel veröffentlicht Sophie Verena eine beachtenswerthe Anthologie neuerer lyrischer Gedichte, welchen unsere besten Zeichner eine ansehnliche Reihe von Illustrationen hinzugefügt haben. Sind die meistens dem Gebiete der sangbaren Lyrik entnommenen Gedichte mit vielem kritischem Geschicke und Verständnisse ausgewählt und gruppirt, so verdienen die zeichnerischen Beiträge, unter denen wir die von Meister Woldemar Friedrich besonders auszeichnend hervorheben, zum großen Theil das Lob poetischer Empfindung und künstlerischer Ausführung. Wir legen diese elegant ausgestattete Anthologie namentlich den deutschen Frauen warm an’s Herz.

Original-Radirungen Düsseldorfer Künstler“ (Wien, Gesellschaft für vervielfältigende Künste). Ein reiches Leben und große Fülle der Gegenstände tritt uns in den künstlerisch auf’s Feinste ausgeführten Bilderheften des Düsseldorfer Radirclubs entgegen. Diese Original-Radirungen leisten an Feinheit der Ausführung etwas geradezu Bewunderungswürdiges. Die Düsseldorfer Künstler, welche sich vor vier Jahren bekanntlich zu einem eigenen Radirclub vereinigten, haben sich unlängst mit der „Gesellschaft für vervielfältigende Kunst“ in Wien in der Weise zusammen gethan, daß die genannte Gesellschaft die Platten der bereits ausgegebenen drei Jahrgänge der „Original-Radirungen“ als Eigenthum erworben hat und in Zukunft jährlich ein Heft mit mindestens zehn Platten der ausübenden Mitglieder des Clubs veröffentlichen wird. Zu dem soeben zur Ausgabe gelangten vierten Hefte, das mit den drei bisher erschienenen Heften ein imposantes Ganze bildet, finden wir die bekanntesten Namen der Düsseldorfer Schule mit zehn prächtigen Radirungen vertreten. Es geht ein vorwiegend realistischer Zug durch die Publicationen des Düsseldorfer Radirclubs; die Naturwahrheit in der Ausführung jeder Linie dieser ebenso präcis radirten, wie exact gedruckten Bilder deckt sich auf das Trefflichste mit dem Naturalismus der Sujets. Das Werk wendet sich an feinere Kunstkenner. Mögen diese es nicht unbeachtet lassen!

Als letztes, aber darum nicht als geringstes, heben wir aus der Reihe der heute von uns registrirten Prachtwerke hervor: den zweiten und letzten Theil des von der „Gartenlaube“ schon früher in seinem ersten Theile gewürdigten Werkes „Die Hohenzollern und das deutsche Vaterland“ von Dr. R. Graf Stilfried Alcantara und Professor Dr. Bernhard Kugler (München, Friedrich Bruckmann’s Verlag), illustrirt von den ersten deutschen Künstlern. Dieser Theil umfaßt den Zeitraum vom Tode Friedrich’s des Großen bis zur Gegenwart. Wir empfehlen das treffliche Werk der allgemeinen Beachtung.

Unter den Bilderbüchern für unsere Kleinen sticht uns besonders lockend in die Augen ein schönes Liederbuch von F. Werckmeister, mit Reimen von Victor Blüthgen: „Jung Mieze“ (Berlin. Photographische Gesellschaft). Die höchst liebreizenden, geschmackvoll colorirten Werckmeister’schen Zeichnungen und die im besten Sinne des Wortes naiven, eine wahrhaft bestrickende Anmuth athmenden Verse unseres allbeliebten Mitarbeiters Victor Blüthgen bilden ein anziehendes Ganze, dem so leicht kein Kinder- und – fügen wir es nur gleich hinzu! – auch kein Frauenherz widerstehen wird; denn nicht nur für die Kleinen ist „Jung Mieze“ geschaffen, auch für die Harmlosen unter den Großen, und das sind ja meistens unsere Frauen. Möge das prächtige Buch auf keinem Weihnachtstische fehlen!

Das Kind und seine kleine Welt“ nennt sich eine Sammlung von zweiunddreißig Originalzeichnungen in Farben von Wilhelm Claudius, mit Versen von Johannes Trojan (Dresden, C. C. Meinhold und Söhne), das in Wort und Bild dem Werckmeister-Blüthgen-Buche an Werth nicht viel nachsteht. Daran fügen sich:

Allerlei nette Pflanzen“. Heitere Kinderlieder von Schmidt-Cabanis, mit farbigen Bildern von Lothar Meggendorfer (München, Braun und Schneider), ein Werkchen, das in den Zeichnungen zwar viel burlesker und derber gehalten ist, als die eben erwähnten beiden Bücher, dem Texte nach aber so viel des Ergötzlichen und Humorvollen, des zart Empfundenen und Originellen bietet, daß wir uns freuen würden, diese „Netten Pflanzen“ zu Weihnachten in tausend und abertausend Kinderhänden zu sehen. Endlich:

Wer für ein illustrirtes Kinderbuch nur wenig Geld ausgeben kann und doch etwas wirklich Anmuthiges seinen Kleinen bieten möchte, dem empfehlen wir das reizende Büchlein: „Für kleine Leute. Bilder und Reime von L. v. Kramer“ (München, Fr. Bassermann); es wird am Weihnachtsabend Alt und Jung gewiß Freude bereiten.

Und damit der Gesang unter den lichterstrahlenden Weihnachtsbäumen nicht fehle, lenken wir zum Schluß die Aufmerksamkeit unserer Leser auf ein musikalisches Kinderbuch, auf das „Weihnachts-Album für die musikalische Jugend“ von Karl Seitz (Quedlinburg, Chr. Friedr. Vieweg), das eine reiche Auswahl von Gesang- und Clavierstücken bietet, unter deren Componisten wir den Namen Karl Reinecke’s und anderer bekannter Tondichter begegnen.



Erinnerungen eines liberalen Achtundvierzigers.[1] Wenn wir bei Erwähnung der „Erlebnisse eines alten Parlamentariers im Revolutionsjahre 1848, von Peter Reichensperger“ neulich (S. 771) den Wunsch aussprachen, es möge auch von freisinniger Seite aus recht bald eine Beleuchtung der denkwürdigen Zeit von 1848 im Buchhandel erscheinen, so ist dieser Wunsch überraschend schnell in Erfüllung gegangen: vor uns liegen die „Erinnerungen“ eines Mannes, welcher der Theilnahme unserer Leser sicher ist, weil er ein treuer Freund der Freiheit und der „Gartenlaube“ war. Als solchen haben wir ihn noch an seinem Grabe gefeiert, als wir ihm (Jahrg. 1881, S. 823) unsern Nachruf widmeten. Es ist unser J. D. H. Temme.

Temme’s „Erinnerungen“ beschränken sich zwar nicht auf die Darlegung seiner Erlebnisse während des Revolutionsjahres von 1848, sondern sie enthüllen uns das ganze Bild seines Lebens von seiner Kindheit auf der rothen Erde Westfalens an bis zu seinen Greisentagen auf dem freien Boden seiner zweiten Heimath, der Schweiz. Mehr als die Hälfte des Buches behandelt die Zeit der Revolution von 1848 und die Folgen derselben; da aber den heutigen Nachkommen seiner nunmehr größtentheils heimgegangenen Zeit- und Kampfgenossen Temme fast nur als Revolutionsmann und Romandichter vor Augen steht, so ist es ein besonderes Verdienst dieser „Erinnerungen“, auch die erste, vor der Revolutionszeit liegende Hälfte seines Lebens zu allgemeinerer Kenntniß zu bringen, die uns eine Reihe höchst interessanter Bilder erschließt und mit dem schnöden Lohn endigt, den die Reactions-Justiz jener Zeit ihm für dreiunddreißig in hohen Richterwürden und mit anerkannter Gewissenhaftigkeit vollbrachte Dienstjahre zu Theil werden ließ.

Wenn Reichensperger in seinem Buche aus der Geschichte von 1848 die Lehre zieht: „wie ohnmächtig sich der ungezügelte Freiheitsdrang der Völker erwiesen, aus sich heraus gesunde und dauernde Schöpfungen zu begründen“ - so zeigt uns Temme, wie schwach auf der entgegengesetzten Seite die Fähigkeit zur Gesetzgebung war und wie gemeine Wege oft die Reaction ging, um wieder obenauf zu kommen. Hier und da ergänzen sich auch Beide in Ver- und Enthüllungen.

Wir haben uns durch die lockende Parallele gleich in das Jahr 1848 leiten lassen. Der Raum gestattet uns nicht, den Leser an den zwanzig Abschnitten des Buches auch nur vorbeizuführen. Da aber Temme der gegenwärtigen Generation als Romandichter am nächsten steht, so wollen wir ihn hier lieber die Frage beantworten lassen, die er selbst stellt: „Wie ich belletristischer Schriftsteller wurde?“ Temme war als Marburger Student krank bei einem Freund in Halle. Als er sich im Zustande der Genesung befand und Beide der Geldmangel drückte, schlug der Freund vor, man solle gemeinsam einen Roman schreiben, in dem abwechselnd Jeder ein Capitel übernähme. Wirklich kam das Manuscript glücklich zu Stande, wurde an Gottfried Basse in Quedlinburg geschickt und erzielte ein hübsches Honorar und aufmunternde Einladung zu weiterem Schaffen. Dieser Erfolg gab Temme den Muth, später, nachdem er als Gerichtsassessor mit 600 Thalern Gehalt geheirathet hatte, seine Einnahme durch eine Reihe von Erzählungen und Novellen zu vermehren. Da er als Beamter seinen Namen nicht nennen durfte, schrieb er unter dem

  1. „Erinnerungen von J. D. H. Temme“. Herausgegeben von Stephan Born. Mit Temme’s Bildniß. Leipzig, Ernst Keil, 1883.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 819. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_819.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)