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Verschiedene: Die Gartenlaube (1882)

Gärtlein dahinter? Hatten wir ihn nicht Alle gar so lieb, und bracht’s ihm nicht Ehr’ und Ansehen, da man ihn, so jung noch, geküret zu des Vaters Amt? Was mag es sein? Was mag es sein? wiederholete ich die Frage laut, just als Base Wieschen schier geräuschlos über die Schwelle trat.

Das alte Weiblein setzete sich in den hochlehnigen Stuhl, den ich verlassen, ich aber schwang mich auf die breite Fensterbank und schlug die Arme in einander. Sie gab sich ein Ansehen, als habe sie meine Frage nicht gehöret, und ich sagte auch nichts mehr.

,Du bist nun siebenzehn Jahr alt,‘ begann sie nach langem Schweigen, ‚alt genung, um das Ding zu wissen; haben Andere doch schon Mann und Kind in Deinem Alter. Aber versprechen mußt Du mir, es Niemanden nicht zu verrathen, noch zu thun als wissest Du, was ich Dir itzt erzählen will; sonsten kann sich gar Schlimmes ereignen. Willst Du das geloben, so sag zwomal „Wahrhaftiglich!“ und reich mir die Hand zum Verspruch!‘

‚Wahrhaftiglich!‘ sagte ich zwomal.

,Hörest Du, da singt eine Nachtigall,‘ wisperte die Alte, ‚wie das süße schallt! In meiner Jugend, ei, da klang’s süßer noch und schöner – kennst Du das Lied von der Nachtigall – sag’ an! – kennst Du’s?

Es stund eine Lind’ in der Maiennacht.
Die Luft ward weich und trübe;
Die Beiden haben geküßt und gelacht;
Die Nachtigall sang von Liebe.

Sie haben sich ewiger Treu’ geweiht;
Sie sprachen von bangem Sehnen,
Doch trug ein falsches Herz die Maid –
Die Nachtigall sang von Thränen.

O Minne falsch, o Minne traut;
Sie koseten unter der Linde.
Die Nachtigall sang bang und laut
Ein Lied von Schuld und Sünde.

Er ist nicht Dein Bruder, Kind,‘ raunete sie und bog sich vor. ‚Ei, was thust Du so erschreckt? Bist noch niemalen darauf gekommen?‘

Und dann faßte sie meine Hände; denn ich war von der Fensterbank geglitten und stund bebend vor ihr, und schier mit Gewalt drückete sie mich auf das Bänklein zu ihren Füßen.

‚Brauchst Dich nimmer zu entsetzen; der Conradus ist ein ehrlicher Gesell, was kann er davor, daß seine Mutter ein ehrvergessen untreu Weib war? Ist ein lang Capitel, das sich melden ließe über Geschichten, so anfangen mit Jugend und Schönheit, mit Rosen und Nachtigallen und aufhören mit viel Reue und groß Herzeleid. – Dem Conradus sein Vater ist lange todt – Gott hab ihn selig! seine Mutter aber, lieb Mägdelein, seine Mutter, die lebet in Glanz und Pracht und allen Ehren; lachen thut sie annoch immer so fröhlich, wie dazumalen, und schön ist sie blieben bis auf diesen Tag: nur mannigmal wird ihr’s wohl um’s Herze zucken, wenn sie sein jung blaß Antlitz geschauet hat. Darum ist er so traurig, der Conradus: es kreiset Blut in seinen Adern, rascher denn Euer; es empöret sich gegen das Joch, darein er gezwungen, gegen das karge Loos, das seiner wartet. Er möchte hinaus in das bunte, frische Leben, und die, so ihn geboren, sie leidet das nimmer; er soll Deines Vaters Nachfolger werden; er soll seine Augen nicht dahinauf wenden, allwo seine Mutter stehet. – Da hast Du nun seinen Kummer. Gott geb’, daß es eine gute Endschaft nehme! Ein Blumenstock in zu enger Scherben zersprenget den Topf, verwelket und gehet ein; ist ein gefährlich Spiel, so man treibet mit dem armen Burschen.‘

,Um Gott, Base,‘ drängete ich, ‚wer ist seine Mutter – wer?‘

Das Blut saß mir heiß im Kopfe, und das Herz klopfte mir schier ungestüm.

‚Red’ leise!‘ flüsterte die Alte. ‚Bist Du unvernünftig, Christiane? Hab’ gemeinet, Du seist ein verständig Mägdlein. Wer sie ist? Daß ich es sagen dürft’ – aber Dein Vater thät mich steinigen und aus dem Hause weisen, käm’ ihr Name über meine Lippen. Wart’ – will Dir etwas zeigen; errathest’s vielleicht.‘

Und sie erhob sich eilfertig und ging an das Ende des Gemaches; dort stund aber eine Truhe, wunderlich bemalet mit rothen Tulipanen und Rosen. Die schloß sie auf und hockte davor nieder, und im festen purpurnen Abendschein nahm sie ein Bündelchen heraus, und als sie es aufknüpfete, waren kleine Sächlein darinnen, wunderfein und spitzenduftig, aber arg vergilbt. Die Base aber steckte mir ein Tuch in die Hand, so mit Brabanter Spitzen umsäumet und zierlich ausgenähet war; in der Ecken stund ein Wappen mit goldenen Fäden gesticket, und da ich es näher besah, erkennete ich den springenden Hirsch, so das Wappenthier unseres fürstlichen Hauses.

‚Darinnen lag er den Tag, da man ihn Deinen Eltern gebracht. Ein gar feines Windelchen nicht wahr? Sie mochten’s – ihm in der Eile umgethan haben. Hab das Ding wohl aufgehoben, und nimmer ohne Absicht – kannst es glauben, Christel; zeig’s ihm auch noch einmal, später, später dann, wenn er hinaus ist über seine heiße Jugendsehnsucht, wenn’s ihm einsten nutzen kann. Aber sag’s Deinem Vater nimmer nicht, Kind – beileibe nicht!‘

Ich hielt noch immer das feine Sacktuch in der Hand und starrete auf das goldgestickte Wappen, und allgemach entwirreten sich die sonderbar verschnörkelten Buchstaben, so darunter stunden, vor meinen Augen. L. C. Louise Charlotte, ging es mir erschreckend hell durch den Kopf, und ,Liselotte!‘ schrie ich auf, daß es gar gellend durch die Kammer hallete.

Die alte Frau aber riß mir das Tüchlein aus den Händen und warf es hastiglich in die Truhe. ,Hast Du Tollkraut getrunken?‘ flüsterte sie; ‚soll die Mutter kommen oder der Vater fragen, was Du also zu schreien habest? Geh her, setz Dich an’s Fenster!‘

Und sie zog mich empor und drückete mich kräftiglich in den Lehnstuhl und nahm ihr duftig Riechfläschlein aus der Tasche und ließ mich den flüchtigen Geist einathmen; denn ich vermocht des Bebens schier nicht Herr zu werden.

‚Ei, wer wird gar so zimperlich thun!‘ schalt sie. ‚Aendert’s was an der Sach’, daß seine Mutter ein fürnehm Weib? Es bleibet beim Alten, und ist er Dir kein Bruder anmehro, kann er Dir halt was Anderes werden, so noch lieber und schöner ist. War schon längst mein Plänlein, das ich geheget. Du bist ein fein hübsch Dirnlein worden, Christel; Deine Zöpfe leuchten prächtiglich wie Gold, und eine Haut hast Du wie Kirschenbluhst, und verständig und ernst bist Du auch. Hab Acht, Lammelein! Und wann es kommt, dann denk’ an mich, wann ich etwa nicht mehr leben sollt – weißt Du, Christel, auf Eurem Hochzeitstag!‘

Und sie streichelte mich gar zärtlich und wollt’ mir zureden, und ich that ruhig, damit sie gehen sollt. Und sie ging nach einem Weilchen. Dann schob ich den Riegel für und verbarg mein glühend Gesicht in die Kissen des Lehnsessels und weinete, wie wohl kaum je in meinem Leben, daß mir schier der Athem stockte. Stunden waren vergangen; als ich aber den Kopf wieder hob, da war es Nacht worden, dunkle, warme Maiennacht; schwül wehete sie in’s Fensterlein, und die Nachtigall, die sang lauter noch in der Linde. Das klang mir viel anders denn zuvor – viel anders! Und nun auf einmal kunnt’ ich Conradus verstehen, mich selbsten aber verstund ich nicht mehr.


Es war ein Träumen über mich kommen, das mich lähmete in meinem sonst frischen Thun und mir manch hart Scheltwort eintrug von der Mutter. Sie fragte auch den medicum; der sprach, ich sei zu einsam unter viel älteren Leuten; ich solle mir halt eine Gespielin suchen und lachen und derb fröhlich sein, wie es meiner Jugend wohl geziemete. Mochte aber von keiner nicht wissen und saß am liebsten ganz allein unter der Linde im Garten. und hörete die Nachtigall singen und dacht’ an Prinzeß Liselotte und dacht’ an Conradus und dacht’ an alle Dinge und doch schier an nichts. Und als die Nachtigall dann verstummet war und auf ihrem Nestlein saß in dem Gestrüpp der Hollunderbüsche, da dacht’ ich immer noch an ihr süß Singen und an das Lied, das Lied von Schuld und Sünde.

Im Julimond, da kam eines Morgens ein arm Weib in das Haus und bracht ein Brieflein; das war aber von meines Vaters einzig Geschwister, die in Harzgerode an einen Förster verheirathet gewesen. Sie schrieb, es gehe mit ihr zum Sterben, und heischte von dem Bruder, daß er sich ihres einzigen Töchterleins solle erbarmen. Die Frau, so die Kunde brachte, meldete aber auch schon den Tod von meines Vaters Schwester und daß das Mägdlein verzweifelt über der Verstorbenen liege und Niemand da sei, sie zu getrösten. Da wurden die Pferde flugs angespannt,

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